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Hinter der Diskussion um die Zahl der Krankenhäuser steht eine Grundfrage nach der Zukunft der gesamten medizinischen Versorgung – die Kolumne von Dr. Uwe Axel Richter

(c) hxdbzxy/Shutterstock.com

War das nur ein verirrter Silvester-Knallfrosch oder doch ein gezielt geworfener Kanonenschlag? Am 3. Juli 2021 erklärte Josef Hecken, der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), im Interview (€) mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) öffentlich: In Deutschland brauchen wir nur noch 1.200 Kliniken! Mithin wären 700 Kliniken überflüssig. Gründe nannte er keine.

Eine Woche später erschien die Roland Berger Krankenhausstudie 2021 mit dem vielsagenden Titel: „Verspielte Zukunft? Warum Deutschlands Kliniken jetzt investieren müssten, es aber nicht können“. Eine Studie, die eine dramatische Situation für die Kliniken in Deutschland beschreibt. Im Kern geht es um die Frage, wie dicht das Netz der medizinischen Versorgung in Deutschland sein soll – und in welchen Strukturen. Gibt es damit auch Schnittmengen zur Zahnmedizin?

Ob 50 oder 1.500 Betten – alles Krankenhäuser

Bei der Frage zur richtigen, ausreichenden oder wie auch immer Anzahl der Krankenhäuser in Deutschland fühlen sich viele berufen, mitzureden: Sei es die Bertelsmann-Stiftung, die 2019 mit der Zahl aufwartete, dass 600 Kliniken ausreichend seien. Die Leopoldina kam in ihrem Papier auf gerade mal 300 Kliniken und laut Josef Hecken wären es nun 1.200. Derzeit gibt es in Deutschland noch 1.900 Kliniken. Wobei mit nur den beiden Worten Kliniken oder Krankenhäuser extrem unterschiedliche Leistungskonstellationen bezeichnet werden.

Gemäß seiner Jobbeschreibung ist – nicht „sollte sein“ – der Vorsitzende des G-BA unparteiisch. Was im übertragenen Sinne wohl so viel bedeuten soll wie parteipolitisch (und gegenüber den Parteien im G-BA) nicht fixiert. Unterstellt, dass dem so sei, dann ist nachvollziehbar, warum der alte Politfuchs Hecken keine Gründe für seine Maßzahl von 1.200 Kliniken ausführte.

Ambulant und stationär

Umso interessanter sind dann die Antworten aus dem Kreis der „Betroffenen“. So äußerte sich unter anderem der Präsident des Verbands der Krankenhausdirektoren (VKD), Dr. Josef Düllings, wie folgt: „ […] Zumal zahlreiche Kliniken inzwischen auch die seit Jahren in vielen Regionen rückläufige Performance im ambulanten Bereich gerade in der Grundversorgung kompensieren müssen. Das weiß die Kassenärztliche Vereinigung, das weiß jeder Praktiker.“ Die Lücken im Ambulanten seien insgesamt zu groß – bei Ärzten ebenso wie in der Rehabilitation und in der Pflege.

Es geht um die Strukturen des Systems

Es geht also (mal wieder) um die Strukturen des Systems und die leider viel zu selten beantwortete Frage, wie diese den dynamischen Veränderungen sinnhaft, also effizient und effektiv, angepasst werden können. Ständig steigende Krankheits- und Gesundheitskosten können in einem von Beitragszahlern solidarisch finanzierten System nur durch Verzicht auf weniger sinnvolles aufgefangen werden. In diesem Sinne ist die Anpassung der Versorgung eine conditio sine qua non. Das ist letztlich auch die Aufgabe des G-BA, und wie bei jedem Wirtschaftsunternehmen eine Aufgabe, an der permanent gearbeitet werden muss. Nur dass die Antworten angesichts der Komplexität anderen Zeitlinien folgen.

Doch zurück zu der Krankenhausstudie 2021 der Unternehmungsberatung Roland Berger. Ob ein zeitlicher Zusammenhang mit den Äußerungen von Hecken besteht – wer weiß?

Kliniken in der Klemme, auch die privaten

„Unsere Studie zeigt, dass sich die wirtschaftliche Lage in einer neuen Dimension verschlechtert hat. Die Mehrheit der befragten Kliniken erwartet, dass die Probleme über die nächsten Jahre weiter zunehmen werden“, so das Fazit der Unternehmensberatung Roland Berger. Wie kommt es zu dieser Einschätzung?
In der regelmäßig durchgeführten Krankenhausstudie ergab die aktuelle Befragung von 600 Krankenhausmanagern der größten Krankenhäuser so schlechte Ergebnisse wie nie zuvor. „Die finanzielle Situation war noch nie so angespannt wie heute und die Studie zeigt, dass die 600 befragten Krankenhausmanager pessimistischer denn je in die Zukunft blicken“. Jedes zweite Krankenhaus (49 Prozent) beendete das Jahr 2020 in den roten Zahlen, in der Gruppe der Krankenhäuser in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft sogar fast zwei Drittel. Und der Damm der in den vergangenen Jahren gut dastehenden Privatkliniken scheint, so Roland Berger „nun zu brechen“, denn 38 Prozent stehen nun auch im Minus, ein Zuwachs von 27 Prozentpunkten.

Wirtschaftliche Situation wird sich weiter verschlechtern

Dass die Situation nicht allein der Corona-Pandemie anzulasten ist, zeigt der Ausblick auf zukünftige Ergebnisse. Denn fast alle Krankenhäuser, immerhin 83 Prozent, erwarten in den nächsten fünf Jahren unabhängig von ihrer Trägerschaft eine weitere Verschlechterung der Liquidität – unter anderem aufgrund des Auslaufens des befristeten Krankenhausentlastungsgesetzes – sowie der wirtschaftlichen Situation.

Also lautete die Frage an die Krankenhausmanager: Was tun angesichts permanent steigender Kosten? Neben den Klassikern Kosten senken und Erlöse erhöhen – was in den vergangenen Jahren bereits nur begrenzten Erfolg gebracht hatte – werden als Maßnahmen Digitalisierung, Ausbau stationäres Portfolio, Ausbau ambulantes Portfolio, Kooperationen, Konsolidierung der Standorte sowie Zukäufe/Fusionen genannt. Doch die dazugehörige Überschrift in der Studie lautet: „Strategische Reorientierung: Der Ausbau des ambulanten Portfolios rückt immer mehr in den Fokus.“

Ausbau des ambulanten Portfolios

Die Studienautoren beschreiben es so: „Deutlich an Boden gewonnen hat auf der Agenda der Klinikmanager/-innen auch der Ausbau des ambulanten Portfolios, zum Beispiel in den MVZ-Strukturen oder ambulanten spezialärztlichen Versorgung. Sie reagieren damit auf den sich seit Jahren beschleunigenden Trend sinkender Fallzahlen im stationären Bereich.“

Womit wir am Dollpunkt der „Geschichte“ sind. Denn an dieser Stelle treffen sich nun drei Entwicklungen: Vorgenannte stationäre „Expansion“, ein ambulantes System, welches zunehmend unter demografischer Auszehrung leidet, und die MVZ-isierung in der stationären und ambulanten medizinischen Versorgung. Oder mit anderen Worten: Eine passgenaue regionale Versorgung erfordert nicht immer auch kleine Krankenhäuser, sondern integrierte Versorgungsangebote. Somit würde an die Stelle der Versorgungseinheit „Bett“ die spezialisierte ambulante Versorgung rücken, höchstwahrscheinlich in der Organisationsform MVZ, ob mit Fremdkapital oder in kommunaler Trägerschaft.

Politik hat keine Angst vor Fremdkapital im Gesundheitswesen

Ob man es gut oder schlecht findet – angesichts dieser Entwicklung verliert das Wort Fremdkapital für viele Beteiligte seinen Schrecken. Die Politik hat schon seit mehr als zwei Jahrzehnten keine Berührungsängste – egal wo auf der Skala von rechts nach links der jeweilige politische Standort zu verorten ist.
Dass damit die Frage nach der richtigen Anzahl der Kliniken nicht beantwortet ist, liegt auf der Hand, denn darauf kann es nur eine Antwort geben: So viele wie notwendig.

MVZ-Strukturen in der Zahnmedizin

Womit wir bei der Schnittmenge zur Zahnmedizin wären – Großstrukturen, MVZs und Fremdkapital. Abgesehen von der Tatsache, dass junge Zahnärztinnen und Zahnärzte keine Berührungsängste mit MVZs im speziellen und Investoren-MVZs im Besonderen zu haben scheinen, gilt es, eine zeitgemäße und den Interessen der nachwachsenden Zahnärztegeneration gerecht werdende und vor allem politisch durchsetzbare Positionierung zu finden.

In den „Gesundheitspolitischen Positionen zur Bundestagswahl 2021“ fordert die Bundeszahnärztekammer deshalb den Erhalt der Versorgungsstrukturen und die Zurückdrängung der Einflüsse des Fremdkapitals auf ein vertretbares Maß. Was das vertretbare Maß sein wird, gilt es intensiv mit den Share- wie auch Stakeholdern zu diskutieren. Und noch ein wenig Wunschdenken zum Schluss: Eine Möglichkeit zu finden, die Investoren-MVZ in die berufsrechtlichen Strukturen der Zahnärztekammern einzubinden und den Industrie- und Handelskammern kein neues Tätigkeitsfeld zu überlassen.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

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