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Dr. Uwe Axel Richter mit einem kritischen Blick auf die Bilanz von Noch-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im November 2019 auf der Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung in Berlin

(c) KZBV/Spillner

Jens Spahn ist in wenigen Tagen als Bundesgesundheitsminister Teil der bundesrepublikanischen Geschichte. Nach der SPD hat am Sonntag auch die FDP mit großer Mehrheit dem Ampel-Koalitionsvertrag zugestimmt. Am heutigen Montag folgte das Votum der Grünen. Und auch die Antwort auf die Frage, wer denn nun für die SPD das Bundesgesundheitsministerium leiten soll, ist da: Prof. Dr. med. Karl Lauterbach. Angesichts der das Land beherrschenden Coronapandemie und deren Folgen ist das eine der wichtigsten politischen Personalien der kommenden Legislatur.

Doch zurück zu Noch-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Für einen positiven Abgesang auf seine Dienstzeit – der Wortteil Dienst hatte in seiner Amtszeit allerdings herzlich wenig mit „dienen“ zu tun –  wird es jedoch, egal wie man es dreht und wendet, kaum reichen. Denn die negativen Folgen seines Wirkens werden uns noch lange, ich fürchte sehr lange Zeit begleiten. Und das betrifft bei weitem nicht nur das grandios vergeigte Gesundheitsmanagement der Corona-Pandemie, der derzeitige Impfstoffmangel spricht Bände.

Lernen aus Fehlern? Doch nicht von unserem mit übergroßem Machtwillen ausgestatteten Vollgasminister, der auch das letzte digitale Großprojekt seiner Regentschaft – ein mit Bedacht gewähltes Wort – sehenden Auges an die Wand fährt.

Halbfertige TI-Produkte mit Strafen in die Versorgung gedrückt

Wobei es das Wort „letzte“ nicht wirklich trifft. Denn keine der vielen angeschobenen Digitalisierungsbaustellen kann als beendet bezeichnet werden. Selbst das Basisprojekt, das Rückgrat wenn man so will, die TI 1.0, läuft nicht fehlerfrei und gilt bereits wieder als veraltet. Und das nicht nur, weil die TI 2.0 bereits vor der Türe steht.

Wie ein roter Faden zieht sich durch alle Spahn‘schen TI-Digitalprojekte, dass sie nicht ausreichend getestet und mit vielen Kinderkrankheiten behaftet in das Versorgungssystem gedrückt wurden, weil der Minister mehr als ambitionierte Einführungstermine gesetzlich festlegte und gleichzeitig mit happigen Konventionalstrafen belegte.

Management à la Gutsherrenart

Ich habe mich mehr als einmal gefragt, woher der Minister seine Überzeugung nimmt, dass solch ein Gebaren die betroffenen Leistungserbringer motivieren würde – ohne direkten Nutzen, dafür aber einer Menge zusätzlicher Aufwendungen und Probleme im Praxisalltag. Ganz abgesehen von den zusätzlichen Kosten, die ja nicht nur aus Hardware und Installation bestehen, sondern auch aus bis dahin nicht notwendigen Arbeitsaufwendungen. In jedem Seminar zum Thema Praxisführung wird aufgezeigt, wie entscheidend wichtig motivierte Mitarbeiter für den Unternehmenserfolg sind. Motivierte Leistungserbringer waren für den Machtmenschen Spahn wie auch für eines der wichtigsten Projekte der vergangenen Jahrzehnte im Gesundheitswesen offensichtlich nicht notwendig. Management à la Gutsherrenart.

Groteske Situation beim E-Rezept

Nun also das kalendarisch letzte Projekt, das E-Rezept. Auch für dieses gilt: Gut gedacht ist ungleich gut gemacht. Ab 1. Januar 2022 soll es an den Start gehen. Die Apotheker sehen sich selbst als startklar. Was allerdings nur ein kleiner Teil der Wahrheit ist. Deutschlands oberste Apothekerin, ABDA Präsidentin Gabriele Overwiening, beschrieb die Situation laut „Apotheke adhoc“ so: „Viele Kolleginnen und Kollegen fühlen sich derzeit wie Piloten auf einem neuen Flughafen, der offensichtlich nur über eine Startbahn verfügt, der aber weder eine Landebahn noch eine qualifizierte Organisation des Flugverkehrs durch den Tower anbieten kann.“ Eine nette Beschreibung für eine Situation, die geradezu grotesk ist.

Denn von den angestrebten 1.000 echten und abgerechneten E-Rezepten hätten es gerade mal 42 über die Ziellinie geschafft. Das seien umgerechnet, so die Pressemeldung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) vom 3. Dezember, „nicht einmal zwei E-Rezepte pro Testwoche – und das bei einer Anwendung, die ein bis zwei Millionen Mal pro Tag genutzt werden solle. Und trotzdem halten Gematik und Bundesgesundheitsministerium eisern am Starttermin 1. Januar fest“, sagte Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der KBV. Was leider nicht neu, aber eben typisch ist und auch für die eAU, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, gilt.

Gematik muss die Startprobleme nicht ausbaden

Vor diesem Hintergrund bekommt das öffentliche Gejammer der Gematik über die bisherige geringe Beteiligung der Kassen und EDV-Anbieter an der am 1. Dezember gestarteten bundesweiten einmonatigen Testphase eine ganz eigene Note. Aber da die Gematik die ab 1. Januar des neuen Jahres auftretenden Startprobleme nicht wird ausbaden müssen – als Sündenböcke bieten sich wie bekannt und erprobt die Leistungsanbieter an –, hält man auch an offensichtlich nicht leistbaren Terminen fest. Die Probleme, die sich aus diesem Verhalten für alle bereits aufgrund der Pandemie am Anschlag arbeitenden Menschen im Gesundheitswesen zusätzlich ergeben, sind Spahn offensichtlich egal. Verantwortungsvolles Management, vor allem in Krisenzeiten, geht definitiv anders.

Impfen: Abgrund aus Versagen und Inkompetenz

Ob es durch die Entscheidung im Vorfeld der kommenden Ampelkoalition, zusätzliche Impfkapazitäten durch Zahnärzte und Apotheker für die Impfkampagne zu schaffen, wirklich zu Entlastungen und zu einer Beschleunigung des Impfgeschehens kommen wird, hängt ganz entscheidend von der Verfügbarkeit der Impfstoffe ab – und zwar für die Grundimmunisierung ebenso wie für die zwingend notwendige Boosterung. Und da sieht man, trotz vieler Nebelkerzen, in einen Abgrund aus Versagen und Inkompetenz. Man kann es leider nicht freundlicher ausdrücken.

Im Sommer baute man wider besseres Wissen die Impfzentren ab und die eingespielten Logistikketten gleich mit. Noch im Anstieg der vierten Welle spendete die Bundesregierung rund 40 Millionen Impfstoffdosen an die Initiative Covax. Gleichzeitig wurde der in Deutschland am häufigsten verwendete Biontech-Impfstoff für das vierte Quartal in geringerer Menge bestellt und gedeckelt. In Kombination mit der Verkürzung der Zeitdauer bis zur Auffrischungsimpfung, in Berlin beispielsweise auf fünf Monate, der enormen Zahl der erstgeimpften Gruppe der über 60-Jährigen sowie des permanenten Drucks auf die Ungeimpften stieg der Nachfragedruck und das Chaos nahm seinen Lauf. Impfstoffakquise und die ausufernde Koordination der Impfwilligen lassen Apotheken und Praxen im wahrsten Sinne des Wortes „rotieren“. Von den trotz dramatisch steigender Preise fehlenden Tests etc. pp. ganz zu schweigen.

Verwirrender Regelungswust

Egal wohin man derzeit schaut, ob Bund oder Länder, ob informierter Bürger oder Healthcare Professionals, kaum einer steigt durch den Regelungswust noch durch. Mit dazu beigetragen haben auch die steten Definitions- und Regeländerungen des politisch weisungsgebundenen Robert-Koch- wie auch des Paul-Ehrlich-Instituts. Ob die dabei entstehende mangelnde Vergleichbarkeit der Daten Absicht war? Angesichts eines solchen, noch weit in die Zukunft reichenden Desasters bedürfen die Entscheidungen seiner politischen Zeit als Bundesgesundheitsminister einer konsequenten Aufarbeitung. Und nicht des von ihm schon postulierten viel Verzeihens.

Spahn scheint für die CDU unverzichtbar

Eines ist jedoch gewiss: Die politischen Brötchen werden für den einstigen Shooting-Star und zeitweiligen großen Hoffnungsträger der CDU erheblich kleiner. Allein durch das derzeitige Desaster rund um das E-Rezept verscherzt Jens Spahn es sich nicht nur erneut mit den Leistungserbringern, sondern diesmal auch mit der Industrie. Und das wird nicht ohne Konsequenzen bleiben. Aber er wird „uns“ nicht verloren gehen. Einige einflussreiche Granden der CDU/CSU sehen Jens Spahn für die nächste Zeit zwar erstmal im „Abklingbecken“. Er scheint mit seinen Qualitäten für die C-Partei wohl unverzichtbar. Vielleicht wird es in nicht allzu ferner Zukunft heißen: Er ist wieder da. Vielleicht war er aber auch nie weg … Aber die Scherben mussten dann andere auflesen.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

 

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