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Bundesrat legt Vorschläge vor, Ampel uneins – BÄK-Präsident Reinhardt hält Regulierung rechtlich möglich – Praxen in Private-Equity-Besitz oft hoch verschuldet

(c) jd8/Shutterstock.com

„Eine gesetzliche Regulierung von investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ) ist rechtlich möglich und aus Versorgungsgesichtspunkten dringend geboten. Eine solche Regulierung würde mit dazu beitragen, MVZ als sinnvolles Versorgungsangebot vor negativen Folgen einer auf Rendite ausgerichteten Patientenversorgung zu schützen.“ So kommentiert Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt die Ergebnisse eines Mitte Mai 2013 von einem MVZ-Interessenverband initiierten Gutachtens zur Rechtmäßigkeit einer stärkeren Regulierung von investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren.

Nicht nur das Gutachten wird aktuell in Standespolitik, Kassen und MVZ-Verbänden diskutiert, auch in der Ampel-Koalition gibt es divergierende Ansichten zu den Ankündigungen von SPD-Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach, die Spielräume für Fremdinvestoren im Gesundheitswesen einzugrenzen. So meldete sich der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Prof. Dr. Andrew Ullmann – selbst Mediziner –, gegenüber der „Ärzte Zeitung“ (25. Mai 2023) dazu zu Wort.

Ullmann: Breitere Datenbasis nötig

Er forderte eine breitere Datenbasis zu möglichen Fehlwirkungen: „Ich bin Wissenschaftler. Das heißt, ich sage: Zeigen Sie mir die Daten. Und da stelle ich fest: Da ist fast gar nichts, was belegt, dass die Versorgung dadurch schlechter geworden ist.“ Er sehe dort „keine Heuschrecken fliegen“, auch wenn es dort sicher auch schwarze Schafe gebe. Eine Grenze zieht der FPD-Gesundheitspolitiker allerdings bei Freiberuflichkeit der Ärzte und der Patientensicherheit, diese dürften nirgendwo in Frage stehen. „Jedwede Arztentscheidung dem Patienten gegenüber muss rein medizinisch sein“, sagte Ullmann im Interview.

Gutachten sieht enge Grenzen für schärfere Reglementierungen

Das Gutachten wurde im Auftrag des Bundesverbands der Betreiber medizinischer Versorgungszentren e.V. (BBMV) von Professor Dr. iur. Martin Burgi, Ordinarius für Öffentliches Recht und Europarecht an der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität, München, erstellt und befasst sich mit den verfassungs- und europarechtlichen Grenzen für die MVZ. Es wurde am 23. Mai 2023 in Berlin in einer Veranstaltung des Verbands mit Podiumsdiskussion vorgestellt.

In seiner Kurzzusammenfassung hält der Autor folgendes fest: „Nicht grundsätzlich verfassungs- beziehungsweise europarechtlich zu beanstanden, sondern (teilweise) nach noch notwendigen Präzisierungen beziehungsweise Modifikationen statthaft wäre ein Verbot der sogenannten Konzeptbewerbung im Nachbesetzungsverfahren und (unter Umständen) ein Verbot der weiteren Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung bei fehlender Gewährleistung ärztlicher Entscheidungsfreiheit sowie die Überprüfung der Versorgungsaufträge hinsichtlich der Kernleistungen. Auch (innerhalb eines bestimmten Rahmens) verschärfte Transparenzvorgaben wären grundsätzlich möglich.“

Kritisch sieht der Gutachter zahlreiche von der Ärzte- und Zahnärzteschaft präferierte Regelungen sowie für iMVZ schon geltende Begrenzungen (Anteil an der vertragszahnärztlichen Versorgung in einer Region). Dazu heißt es:

„Die folgenden Verbotsvorschläge stießen hingegen an unüberwindbare verfassungs- beziehungsweise europarechtliche Grenzen:

  • ein Verbot von MVZ ohne örtlichen (und fachlichen) Bezug zu einer Klinik
  • ein Verbot von fachgleichen MVZ
  • ein Verbot von MVZ bei Überschreitung bestimmter Marktanteile
  • ein Verbot von Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen
  • ein Verbot des Arztstellenerwerbs im Wege des Zulassungsverzichts im Nachbesetzungsverfahren
  • Die rückwirkende Geltung insbesondere der intensivsten Verbote.

Ferner ließen sich die folgenden Beschränkungsvorschläge aus verfassungs- beziehungsweise europarechtlichen Gründen nicht realisieren:

  • Eine Unterstellung des MVZ-Trägers unter die Disziplinargewalt der Kassenärztlichen Vereinigung
  • Mehrere der bislang vorgeschlagenen Beschränkungen betreffend die Ausgestaltung der Rechtsstellung des ärztlichen Leiters in einem MVZ.“

Zum Thema Kontrolle durch die KVen/KZVen merkt Burgi an, dass diese Kontrolle nur dann möglich wäre, wenn die iMVZ auch in irgendeiner Form selbst Mitglieder der KV/KZV seien – dies ist aber in der derzeitigen Rechtsgestaltung der Selbstverwaltung nicht denkbar.

Kein Verbot fachgruppengleicher MVZ geplant

Der zuständige Leiter der Abteilung Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung im BMG, Michael Weller, erklärte in der Podiumsdiskussion laut Bericht der „Ärzte Zeitung“, keine Aussagen dazu machen zu wollen, welche konkreten Vorschläge das BMG in Sachen Fremdinvestoren und MVZ machen werde. Es werde aber Begrenzungen geben, soweit sie rechtlich zulässig seien. Zu den möglichen Grenzen verwies er auf das Burgis-Gutachten. Ein Verbot facharztgruppengleicher MVZ, wie von der BÄK gefordert, werde es nicht geben, so Weller.

BÄK-Präsident Reinhardt hält Vorschläge für verfassungsrechtlich gerechtfertigt

Bundesärztekammerpräsident Reinhardt verwies in seiner Reaktion auf das Gutachten auf die von der Bundesärztekammer im Januar 2023 vorgelegten Regulierungsvorschläge für iMVZ. Sie sollen gewährleisten, dass das Patientenwohl immer Vorrang hat vor kommerziellen Interessen. Einen Antrag mit gleicher Zielrichtung hatten unlängst die Länder Bayern, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz in den Bundesrat eingebracht. „Die in dem BÄK-Papier sowie in dem Bundesrats-Antrag enthaltenen Vorschläge dienen dem Gemeinwohl und sind verfassungsrechtlich gerechtfertigt“, stellte der BÄK-Präsident klar.

Der Bundesrat hatte sich in seiner Sitzung vom 12. Mai 2023 mit der Initiative der Gesundheitsminister der Länder befasst. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte Reinhart gefordert, der „Gesetzentwurf zur Regulierung von investorengetragenen MVZ muss noch vor dem Sommer kommen“.

Bundesrat hat Antrag eingebracht

Der Bundesrat hat den Antrag der Länder „Schaffung eines MVZ-Regulierungsgesetzes (BuRats-Drucksache 211/23, TOP 60) zur weiteren Beratung federführend dem Gesundheitsausschuss und den Ausschüssen für Innere Angelegenheiten und für Kulturfragen mitberatend zu. In der Beratung hatte die Gesundheitsministerin Prof.Dr. von der Decken für Schleswig-Holstein für den Antrag gesprochen. Sie erklärte, grundsätzlich sei gut, dass es neben den selbstständig tätigen Ärztinnen und Ärzten auch MVZ gebe, denn auch MVZ trügen zu einer funktionierenden Versorgung bei. Sie seien insbesondere für „jüngere Ärztinnen und Ärzte attraktiv, die nach geregelten Arbeitszeiten streben und daher gerade nicht selbstständig tätig werden möchten. Diesem Wunsch muss verstärkt Rechnung getragen werden.“

Gegen „problematische Vergewerblichung“

Man wolle jedoch die Rahmenbedingungen zur Gründung, zum Erwerb und zum Betrieb von MVZ ändern, da „seit einiger Zeit Investmentfirmen, häufig aus dem Ausland, MVZ als Renditeobjekte entdeckt und bereits in erheblichem Umfang Arztsitze erworben haben“. Von der Decken: „Diese Vergewerblichung ist aus mehreren Gründen problematisch. Investoren verlagern Versorgungskapazitäten tendenziell in lukrativere Ballungsgebiete, was die flächendeckende Versorgung in ländlichen Räumen gefährdet. Darüber hinaus legen sie einen stärkeren Fokus auf umsatzsteigernde Leistungen, sodass schlechter vergütete, aber essenzielle medizinische Leistungen häufig nur noch eingeschränkt angeboten werden. Durch den Ankauf eines Großteils der örtlichen Versorgungsaufträge in einer Fachrichtung können zudem lokale Monopole gebildet werden. Und eine Studie hat ergeben, dass Krankenkassen im Durchschnitt etwa 10 Prozent mehr für Behandlungen in investorengetriebenen MVZ bezahlen müssen. Das wiederum geht zulasten der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler.“

Quoten für MZV-Anteil an der Versorgung

Nach Auffassung der Länder sollen daher insbesondere Konzentration und Monopolbildung unterbinden. „Krankenhäuser sollen daher künftig nicht mehr deutschlandweit ein MVZ gründen können, sondern nur noch in Planungsbereichen, die in einem Radius von bis zu 50 Kilometern von ihrem Sitz entfernt liegen. Dies wird auch zu einer besseren sektorenverbindenden Versorgung beitragen. Ausnahmen soll es für unterversorgte und drohend unterversorgte Planungsbereiche geben.“ Außerdem sollen Quoten für den Anteil neu gegründeter MVZ an der Versorgung eingeführt werden.

Verträge sollen vorgelegt werden müssen

„Darüber hinaus soll die ärztliche Berufsausübung vor dem Einfluss von Kapitalinteressen geschützt werden, indem ein besonderer Abberufungs- und Kündigungsschutz zugunsten der ärztlichen Leitung eingeführt wird. Auch sollen Verträge mit der ärztlichen Leitung den Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtend vorgelegt sowie Vorgaben zum Tätigkeitsumfang gemacht werden. Ein bundesweites MVZ-Register und eine Kennzeichnungspflicht für Träger und Betreiber von MVZ auf dem Praxisschild schließlich sollen zu mehr Transparenz beitragen“, führte die Ministerin zum Antrag weiter aus.

BÄK: Gleiche Vorgaben für MVZ wie für Vertragsärzte und Apotheken

Aus Sicht der Bundesärztekammer muss für Medizinische Versorgungszentren das gleiche gelten, was auch für Vertragsärztinnen und Vertragsärzte sowie für Apotheken gilt. So sei für die Tätigkeit von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts notwendig, dass diese gegenüber ihren Patientinnen und Patienten sowohl im Bereich der eigentlichen Behandlungstätigkeit als auch im tatsächlichen und rechtlichen Umfeld dieser Behandlung in vollem Umfang unmittelbar verantwortlich sind. „Das setzt zwingend voraus, dass Vertragsärztinnen und -ärzte Inhalt und Umfang ihrer ärztlichen Tätigkeit und den Einsatz der der Praxis zugeordneten sachlichen und persönlichen Mittel selbst bestimmen und insoweit keiner maßgeblichen Einflussnahme durch andere unterliegen“, so die BÄK.

Verbot stiller Beteiligung wie bei Apotheken auch beim MVZ

Das Apothekengesetz verbietet Beteiligungen an einer Apotheke in Form einer Stillen Gesellschaft und Vereinbarungen, bei denen die Vergütung für dem Apotheker gewährte Darlehen oder überlassene Vermögenswerte am Umsatz oder am Gewinn der Apotheke ausgerichtet sind. Für Medizinische Versorgungszentren könne aus Sicht der Bundesärztekammer nichts anderes gelten. Das Vertragsarztrecht bestimme, dass für Medizinische Versorgungszentren die für Vertragsärztinnen und Vertragsärzte geltenden Regelungen entsprechend gelten.

BÄK: Regelungen nicht auf den Herbst verschieben

Reinhardt drängte in seinen Statements darauf, die Neuregelungen nicht auf den herbst zu verschieben, wie es ein Zeitplan aus dem Bundesgesundheitsminsterium vermuten lässt. „In vielen Bereichen der Gesundheitspolitik gibt es zwischen Bund und Ländern aktuell divergierende Positionen. Anders beim Thema ‚investorenbetriebene MVZ‘: Hier hat auch der Bundesgesundheitsminister den Handlungsbedarf klar benannt und ein Gesetz angekündigt. Es besteht also Einigkeit. Vorschläge für eine gesetzliche Regelung liegen sowohl von den Bundesländern als auch von der Bundesärztekammer vor. Wir sind aus diesem Grund auch sehr dafür, dass die Regelungen bereits in das sogenannte Versorgungsgesetz I aufgenommen werden, das nach der Vorhabenplanung des Bundesgesundheitsministeriums aktuell in der Vorabstimmung ist. Für eine Verschiebung in den Herbst, wie dies die Vorhabenplanung des BMG aktuell vorsieht, gibt es keinen Grund – erst recht nicht nach der aktuellen Bundesratsinitiative. Die Ärzteschaft warnt seit Jahren vor den Folgen einer fortschreitenden Kommerzialisierung in der ambulanten Medizin. Es ist höchste Zeit, im Sinne der Patientinnen und Patienten entschieden zu handeln. Deswegen muss der Gesetzentwurf gegen die Kommerzialisierung noch vor der Sommerpause kommen.“

Praxen in Private-Equity-Hand oft hoch verschuldet

Einen weiteren interessanten Beitrag zur Diskussion um die MVZ in Private-Equity-Hand zeigt eine Studie von „Finanzwende Recherche“, einer Tochter der Bürgerbewegung Finanzwende. Die Autorin Aurora Li gibt dazu im Interview mit dem Ärztenachrichtendienst (änd.de) vom 26. Mai 2023 Auskunft. Die Studie „Profite vor Patientenwohl – Private-Equity-Beteiligungen an Arztpraxen in Deutschland“ hat an fünf Beispielfällen genauer beleuchtet, mit welchen Mitteln Private Equity Profite im Gesundheitsbereich erzielt. „Das zentrale Ergebnis: Durch den Einstieg von Private-Equity-Firmen kann es bei den Praxen-Konzernen zu hohen Schulden kommen. Sie können auch negative Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit und die Qualität der ärztlichen Behandlung haben“, so der änd.

Die Studie steht auf der Internetseite von Finanzwende Recherche zum Download zur Verfügung und bietet neben der sehr interessanten Analyse der Strukturen und der Aktivitäten der Private Equity-Unternehmen im Gesundheitsmarkt auch Betrachtungen zu verschiedenen Lösungsvorschlägen. Auch ein Beispiel aus der Zahnmedizin wird analysiert: Zahneins, die seit 2019 einem Private Equity Fonds gehören.
 

Quelle: Quintessence News Politik Wirtschaft Nachrichten med.dent.magazin

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