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Das Problem der Notfallmedizin und der Flatrate-Mentalität ist ohne höhere Inanspruchnahme-Schwelle nicht zu lösen, meint Dr. Uwe Axel Richter

(c) Ralf Liebhold/Shutterstock.com

Der in der Überschrift zitierte Gassenhauer reicht nicht – jedenfalls nicht, um wenigstens im medialen Wasserglas einen veritablen Sturm auszulösen. Nun wird der oberste Kassenarzt Deutschlands, Dr. Andreas Gassen, in der Medienwelt durchaus als Klartexter wahrgenommen, „haut“ er doch hier und da unangenehme, teils sogar als politisch inkorrekt eingestufte Meinungen (und auch Wahrheiten) zur Gesundheitsversorgung „raus“.

In der nachösterlichen Woche war es mal wieder so weit. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung äußerte sich gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland im Rahmen der Diskussionen zu der von Lauterbach geplanten Krankenhausreform zum Thema Notaufnahme in der für ihn typischen Art: „Wer noch selbst in eine Notaufnahme gehen kann, ist oft kein medizinischer Notfall“. Wenn er das Wörtchen „oft“ weggelassen hätte, hätte dieser Spruch glatt politische Gassenhauer-Qualität.

Apropos Gassenhauer. Ursprünglich bedeutete „Gassen hauen“ „in schnellem Gang geräuschvoll auftreten“. Wer nachts gern lärmend unterwegs war, den nannte man entsprechend einen Gassenhauer. Später übertrug man diese Bezeichnung einer Person auf die Tänze und Lieder, die man in der Gasse spielte und/oder sang. Heute wird Gassenhauer auch – je nach Sprecher leicht bis stärker abwertend – für einen „populären Schlager“ oder „großen Hit“ verwendet. Soweit die unter wissen.de zu findende Erläuterung.

Wie immer nur ein bisschen schwanger

Was also verbirgt sich hinter der einschränkenden Sentenz „oft kein medizinischer Notfall“? Nichts anderes, als dass die Notfalleinschätzung von Patientinnen und Patienten nicht immer – oder gar häufiger, als wir alle wahrhaben wollen – mit dem tatsächlichem medizinischen Befund in Deckung zu bringen ist. Stimmt letzteres, dann beschreibt das harte Wort vom „Verstopfen der Notfallambulanzen“ angesichts der zur Verfügung stehenden Kapazitäten ein echtes Ressourcenproblem. Und zwar auf der Versorgerseite.

Wirklich Triage am Telefon?

Um diese Ressourcenproblem zu reduzieren, wäre die naheliegende Lösung eine höhere Schwelle für die Inanspruchnahme der „medizinischen“ Dienstleistung. Und damit sind wir mal wieder bei einer wie auch immer zu nennenden Gebühr. Damit das Ganze sozialverträglicher klingt, soll laut Gassens Vorschlag künftig eine Gebühr anfallen, wenn Versicherte und/oder Patienten (man achte auf den kleinen Unterschied) ohne vorherige telefonische Ersteinschätzung die Notaufnahme aufsuchen. Dafür soll nun die „Elfennummer“ 116 117 (Sie erinnern sich noch an die Werbung zur Bekanntmachung der bundeseinheitlichen Servicenummer für den ärztlichen Notdienst [Bereitschaftsdienst], Arztsuche oder Terminvereinbarung) mit der Rettungsnummer 112 zusammengeschaltet werden– so jedenfalls Überlegungen aus dem Hause Lauterbachs zur Neustrukturierung der Notfallversorgung. Ziel ist eine telefonische Ersteinschätzung des Sachverhalte, um die Anrufer richtig zu leiten.

Theoretisch klingt das gut, aber wirklich kniffelig – und da muss man wirklich kein Prophet sein – wird die reale Umsetzung werden. Schon heute ist es so, dass in Praxen verbale Gewalt seitens der Patienten zunimmt. Und am Telefon soll nun ein Nein einer „Elfe“ akzeptiert werden?

Gebühren in anderen Ländern durchaus üblich

Doch zurück zur der von Gassen geäußerten Überlegung, in Anbetracht der politisch induzierten Flatrate-Mentalität vieler GKV-Versicherten und der viel zu häufig wegen Bagatellen in Anspruch genommenen Notfallaufnahmen diese mittels direkt zu zahlender Gebühr zu entlasten. „Bösartig“ ist dieser Gedanke jedenfalls nicht, da auch andere dem Sozialstaatsprinzip frönende Länder wie die Schweiz oder Schweden solche „Gebühren“ regelhaft ihren Versicherten auferlegen. Beispielsweise verlangen die Schweizer diese bei Inanspruchnahme durch den Versicherten, ohne das ein Notfall vorgelegen hat, und die Schweden sogar generell.

Nur zur Orientierung: In Schweden beträgt die Höhe der Gebühr das Zweifache der ehemaligen hiesigen Praxisgebühr. Ist deshalb die Notfallversorgung in diesen Ländern schlechter als bei uns in Deutschland, weil die Menschen, um Geld zu sparen, auf die Nutzung einer solchen Einrichtung verzichten würden? Nun, die Zahlen sprechen eine andere Sprache.

Flatrate-Mentalität wird nicht angetastet

Aber da wir uns ja gemäß dem Werbespruch der CDU zur Bundestagswahl 2017 „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ befinden, sind solche Gedanken sakrosankt. Sogar in Anbetracht der Lauterbach‘schen Bemühungen um eine Krankenhausreform, welche die Anzahl der Kliniken in Deutschland reduzieren soll, um einerseits die Versorgungsqualität zu steigern und andererseits der aus dem Ruder laufenden Kosten der Kliniken Herr zu werden.

Die üblichen Dementi der Politik

Die auf den Vorschlag Gassens folgenden Antworten und Stellungnahmen aus den verschiedensten Lagern des Gesundheitswesens – von Lauterbauch bis zum Vorsitzenden der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß – machten wieder einmal deutlich, wie politisch verfahren die ganze Situation ist. So teilte Karl Lauterbach gemäß FAZ noch am gleichen Tage mit: „Daher wird der Vorschlag, der hier von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vorgetragen wird, keine Umsetzung finden“. Die DKG in Gestalt ihres Vorsitzenden hing aus naheliegenden Gründen ihr Fähnlein opportunistisch auch sogleich in den politischen Wind und warnte davor, dass sich die Versorgung durch eine kurzfristig eingeführte Notaufnahmegebühr verschlechtern könnte. Und sprach sogar von einer Strafgebühr, die man erst verlangen könnte, wenn eine medizinische Ersteinschätzung durch die integrierten Leitstellen kurzfristige Terminvermittlung in umliegende Arztpraxen und unmittelbare Hausbesuche durch den KV-Notdienst erfolgt sei.

Und keinesfalls möchte ich Ihnen vorenthalten, zu welcher Aussage sich diesbezüglich der der für die Grünen im Bundestag sitzende Dr. Janosch Dahmen gemäß Ärztenachrichtendienst verstieg: „Die derzeit lückenhafte, insbesondere hausärztliche Grundversorgung lässt manches medizinische Problem überhaupt erst zum Notfall werden“. Überfüllte Notaufnahmen, weil die hausärztliche Grundversorgung nicht funktioniert? Wenn Herr Dahmen das wirklich ernst meint, möchte ich dieses Kraut auch – rauchen.

Vorprogrammiertes Chaos

An dem Faktum der allseits beklagten verstopften Notfallaufnahmen rütteln die zitierten Wortspenden jedoch nicht. Vielmehr setzt Lauterbachs Krankenhausreform zwingend eine baldige Lösung dieses Problems voraus. Kostenneutral – und damit sind wir bei des Pudels Kern – wird diese mit hundertprozentiger Sicherheit nicht zu haben sein. Egal, wie das bereits gestartete Schwarze-Peter-Spiel ausgehen wird – die „Elfen“ werden es nicht umfänglich richten können. Schon gar nicht, indem man nach dem typischen deutschen Muster für alles und jedes Ausnahmeregelungen formuliert. Denn welche „Elfe“ kann denn neben der telefonischen Einschätzung des medizinischen Sachverhaltes auch noch die Liste der Ausnahmetatbestände „unangreifbar“ abarbeiten?

Andere „Wahrheiten“ verlangt

Aber da die vorgenannten Zitate eben nur vorgeschobener Natur sind, darf man auf die politische Lösung gespannt sein. An einer höheren Inanspruchnahmeschwelle für Versicherte wird man jedoch meines Erachtens nicht vorbeikommen. Vor allem dann nicht, wenn man die Krankenhauslandschaft durch Lauterbachs geplante Reform auf die Fläche bezogen dramatisch verändern wird. Was per se nicht falsch sein muss, aber bei der gleichzeitigen Nichtvermehrbarkeit von ärztlichen „Versorgern“ – und das gilt mittelbar auch für die Zahnmedizin und die Apotheken – eben auch andere „Wahrheiten“ für das bei den Patienten gewohnte(!) und von ihnen eingeforderte Versorgungsniveau verlangt.

Deshalb mag Gassens Vorschlag derzeit „kein Gassenhauer“ sein. Aber das gilt nicht für die (nahe) Zukunft.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

Quelle: Quintessence News Politik Nachrichten

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