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Für 2023 erwartet die GKV eine Finanzlücke von 17 Milliarden Euro – Dr. Uwe Axel Richter über die Pläne für das erste Kostendämpfungsgesetz des neuen Bundesgesundheitsministers

(c) fotandy/Shutterstock.com

Keine 100 Tage im Amt hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach gebraucht, um mit einem ersten Vorschlag für ein neues Kostendämpfungsgesetz die physische und psychische Belastbarkeit einiger relevanter Teilnehmer des Gesundheitssystems, sagen wir, „zu testen“. Angesichts einer für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) für das kommende Jahr prognostizierten Finanzlücke von mindestens 17 Milliarden Euro versucht das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mehr oder weniger kreativ einen Teil der Kosten erneut im Arzneimittelbereich einzusparen. Gemäß dem breit in Berlin zirkulierenden, offiziell als nicht abgestimmt klassifizierten Referentenentwurf sollen diesmal vornehmlich die Apothekerschaft – wie auch die Pharmaindustrie – zur Ader gelassen werden.

Medikamente und Schnittblumen auf Augenhöhe

Und so ist auch der für das neu zu entwickelnde Gesetz vorgesehene Name im Vergleich zu seinen Vorgängern alles andere als unterscheidungsstark: „GKV-Finanzstabilisierungsgesetz“ oder kurz „GKVFinStG“. Im Maßnahmenpaket ist neben der Erhöhung des Bundeszuschusses um weitere fünf Milliarden Euro noch ein ordnungspolitischer Knallervorschlag enthalten, der jedoch selbst in guten Zeiten bis dato politisch nicht realisiert werden wollte. Doch nun soll auch der Staat nach nunmehr fast 40 Jahren steter Diskussionen einen „System“-Kostensenkungsbeitrag in Form einer von 19 auf 7 Prozent reduzierten Mehrwertsteuer auf Arzneimittel leisten – ein reduzierter Satz, der unter anderem für Schnittblumen, Bücher, Zeitungen und Zeitschriften und Kinokarten gilt. Diese Senkung müsste im Übrigen in einem weiteren Gesetz erst geregelt werden.

Mehr Geld vom Bund, weniger Beitragssteigerung

Man braucht nicht viel Phantasie, um sich die Reaktion aus dem Bundeswirtschaftsministerium vorzustellen. Angesichts des für 2023 erneut erheblich steigenden Bundeszuschusses zur GKV auf prognostizierte knapp 20 Milliarden Euro mag man das Timing als unglücklich bezeichnen. Vielleicht war es aber auch nur der berühmte Schuss in den Tunnel. Denn immerhin plant Minister Lauterbach, die Kassenbeiträge für die Versicherten anzuheben, um die Finanzlage der Krankenkassen zu „stützen“. Und diese Anhebung wird er angesichts der erheblichen Kostensteigerungen für die Bürger aus parteipolitischem Kalkül sicher liebend gerne vermeiden wollen.

Die geplanten Maßnahmen

Betrachten wir also die im BMG entwickelten Vorstellungen zur Kosteneinsparung bei den Apothekern und der Pharmaindustrie und wundern uns einmal weniger, warum die GOZ unverändert in ihr 35. Jahr geht. Folgende Maßnahmen neben der Absenkung der Kassenrücklagen werden in dem Entwurf genannt:

  • Verlängerung des seit 2010 bestehenden Preismoratoriums für Arzneimittel um weiterer vier Jahre
  • Temporäre Anhebung des bestehenden Herstellerabschlags auf patentgeschützte Arzneimittel
  • Verkürzung des von den Herstellern bei neuen Wirkstoffen frei bestimmbaren Preises von zwölf auf sechs Monate
  • vollständige Nutzenbewertung für Orphan Drugs bereits ab 20 Millionen Euro Umsatz
  • Kombinationsabschlag bei Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen von 15 Prozent, die noch keine vollständige Nutzenbewertung durchlaufen haben.
  • Erhöhung des gesetzlich vorgeschriebenen Kassenabschlags für verschreibungspflichtige Arzneimittel, den die Apotheker zugunsten der Kassen zu leisten haben, für Dauer von zwei Jahren von 1,77 Euro auf zwei Euro pro Packung

Der letzte Vorschlag trifft nun einen Leistungserbringer, der angesichts der derzeitig erheblichen steigenden Kostenbelastungen und gekürzten Konditionen seitens des Großhandels sowieso schon unter Druck gerät. Und das bei noch nicht kalkulierbaren Auswirkungen des E-Rezepts, Stichwort Online-Apotheken. Kein Wunder, dass sich die Apotheker besonders irritiert zeigen, sogar von einem Schlag ins Gesicht sprechen. Schließlich wähnten sie sich ob der im Koalitionsvertrag genannten Optionen hinsichtlich des Ausbaus pharmazeutischer Dienstleistungen samt dem politischen Lob für ihre Leistungen in der Coronakrise in einer auch imagemäßig bei der Politik verbesserten Position. Und nun das.

Pferdefuß Mehrwertsteuersenkung

Laut Gesetzentwurf soll ein erhöhter Apothekenabschlag – nennen wir das Ding beim Namen: gesetzlich verordneter Honorarabzug – 170 Millionen Euro Einsparung für die GKV bringen. Die Apotheker sehen hingegen nur ein Einsparpotential der GKV von 115 Millionen Euro. Sollte es jedoch zur Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel kommen, würden sich die finanziellen Einbußen der Apotheken auf bis zu 230 Millionen Euro erhöhen, da der Kassenabschlag die derzeitige Mehrwertsteuer beinhaltet. Für eine Durchschnittsapotheke bedeute dies eine Senkung des Betriebsergebnisses um 12.500 Euro, so die Berechnungen der Deutschen Apotheker Zeitung – da greift das Gesetz der kommunizierenden Röhren.

Ein Problem übrigens, dass sich ebenso für Generikahersteller in Rabattverträgen ergeben kann und damit bestehende Rabattverträge unwirtschaftlich machen wird. Zusätzlich soll auch hier der gesetzliche Herstellerabschlag bis Ende 2026 erhöht werden, genauso wie das seit 2009 bestehende Preismoratorium verlängert werden soll.

An dieser Stelle soll nun nicht das gesamte gesetzliche Maßnahmenpaket aufgeführt werden, aber das Einsparvolumen bei der Pharmaindustrie soll sich auf rund 4,5 Milliarden Euro summieren. Glaubt eigentlich irgendjemand, dass solche Einsparvolumina ohne Nachteile zu bekommen seien? Der Versorgungssicherheit – immer wieder ein großes Thema in der Politik, wenn mal wieder ein Wirkstoff nicht lieferbar ist – ist das für die deutsche Pharmaindustrie vorgesehene Maßnahmenpaket definitiv nicht zuträglich. Kommunizierende Röhren halt.

Problematische Denke im BMG

Egal, ob es nun Lindner oder das Kanzleramt war: Der Referentenentwurf wurde jedenfalls schnell wieder einkassiert. Doch der Geist war aus der Flasche und lieferte erneut ein Beispiel für die Denke im BMG und deren „Wert“-Vorstellungen. Und leider auch für das ursächliche Problem: Dass zwar permanent von einem Gesundheitssystem gesprochen wird, aber das Systemische, die sprichwörtlichen kommunizierenden Röhren nicht zur Kenntnis genommen werden (wollen). Genau für dieses Problem ist der Referentenentwurf „GKVFinStG“, soweit er Öffentlichkeit erlangt hat, leider mal wieder exemplarisch.

Maßnahmen reichen nicht und schwächen wichtige Leistungserbringer

Denn gemessen an der für 2023 erwarteten Deckungslücke im GKV-System reichen die vorgeschlagenen Maßnahmen bei weitem nicht aus. Und sie haben eine unschöne Nebenwirkung: Schwächen sie doch die Widerstandsfähigkeit der Apotheken und der Pharmaindustrie in einem derzeit wirtschaftlich immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Umfeld. Denn es gibt zur „Wirtschaft“ einen erheblichen Unterschied: die derzeit massiv ansteigenden Kosten können weder zeitgerecht weitergegeben noch die Erlöse in dem notwendigen Maß gesteigert werden. Da ist die Regelungssystematik vor. Ein Problem, das ebenso auf Ärzte und Zahnärzte zukommen wird, auch wenn deren coronabedingten Zusatzkosten zu einem Teil durch GKV und PKV abgefedert werden konnten.

Versicherungsferne Leistungen raus für mehr Kostentransparenz

Statt sich also mit dem mittlerweile vollständig abgenutzten Schwert der Kostendämpfung an den immer gleichen Stellen abzuarbeiten, macht es mehr Sinn, die GKV endlich von den versicherungsfernen Leistungen zu befreien. Allein die Finanzierung der Gesundheitsversorgung der Empfänger von Arbeitslosengeld-II und Hartz-IV kostet die Kassen Milliarden. Hier endlich einmal klar Schiff zu machen, würden die Kosten für den Bund nicht oder nur unwesentlich im Vergleich zu dem Bundeszuschuss erhöhen.

Klingt wie rechte Tasche, linke Tasche, ist es aber nicht. Denn es wäre der entscheidende Schritt zur Kostentransparenz. Aber welcher Politiker will die schon. Die öffentlichkeitswirksam präsentierte, zwar mit Steuergeldern geförderte Problemlösung bringt halt die besseren Nachrichten. Hat nur leider nichts mit Resilienz des Gesundheitssystems zu tun. Aber das ist ja nicht unser Thema.

Dr. Uwe Axel Richter, Fahrdorf


Foto: Verena Galias
Dr. med. Uwe Axel Richter (Jahrgang 1961) hat Medizin in Köln und Hamburg studiert. Sein Weg in die Medienwelt startete beim „Hamburger Abendblatt“, danach ging es in die Fachpublizistik. Er sammelte seine publizistischen Erfahrungen als Blattmacher, Ressortleiter, stellvertretender Chefredakteur und Chefredakteur ebenso wie als Herausgeber, Verleger und Geschäftsführer. Zuletzt als Chefredakteur der „Zahnärztlichen Mitteilungen“ in Berlin tätig, verfolgt er nun aus dem hohen Norden die Entwicklungen im deutschen Gesundheitswesen – gewohnt kritisch und bisweilen bissig. Kontakt zum Autor unter uweaxel.richter@gmx.net.

 

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