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Häufigkeit und Klassifikation der Kanalverläufe und ihre klinische Bedeutung – ein Überblick

In der Praxis stellen das Auffinden, die Präparation, Desinfektion und Obturation von Aufzweigungen von Wurzelkanälen gelegentlich eine Herausforderung für den Zahnarzt dar. In der vorliegenden Übersicht von Dr. Gabriel Tulus et al. für die Endodontie 4/18 werden neben Erläuterungen zur Häufigkeit und Klassifikation von Aufzweigungen vor allem deren klinische Bedeutung, die sich daraus ergebenden Konsequenzen und die Behandlungsstrategien vorgestellt.

Fast jede zahnärztliche Maßnahme tangiert das endodontische System, und jährlich ca. zehn Millionen in Deutschland durchgeführte Wurzelkanalbehandlungen belegen den Stellenwert der Endodontie in der Zahnmedizin. Die Zeitschrift „Endodontie“ hält ihre Leser dazu „up to date“. Sie erscheint vier Mal im Jahr und bietet praxisrelevante Themen in Übersichtsartikeln, klinischen Fallschilderungen und wissenschaftlichen Studien. Auch neue Techniken und Materialien werden vorgestellt. Schwerpunkthefte zu praxisrelevanten Themen informieren detailliert über aktuelle Trends und ermöglichen eine umfassende Fortbildung. Die „Endodontie“ ist offizielle Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), des Verbandes Deutscher Zertifizierter Endodontologen (VDZE) und der Österreichischen Gesellschaft für Endodontie (ÖGE). Abonnenten erhalten kostenlosen Zugang zur Online-Version (rückwirkend ab 2003 im Archiv) und zur App-Version. Mehr Informationen zur Zeitschrift, zum Abonnement und kostenlosen Probeexemplaren im Quintessenz-Shop.

Einleitung

Ziele einer Wurzelkanalbehandlung sind die möglichst vollständige Reinigung, Desinfektion und ein bakteriendichter Verschluss des Wurzelkanalsystems1. Eine optimale Reinigung des komplexen Kanalsystems ist nur möglich, wenn alle Wurzelkanäle aufgefunden, dargestellt und erschlossen werden. Eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Wurzelkanalbehandlung ist daher die umfassende Kenntnis der anatomischen Verhältnisse. Bereits Hess2 stellte an 2.800 menschlichen Zähnen mit Hilfe von plastifiziertem Kautschuk die vielfachen Verästelungen des Wurzelkanalsystems dar. Die Komplexizität der Anatomie des Wurzelkanalsystems ist immer eine klinische Herausforderung und birgt zuweilen Schwierigkeiten, die das Therapieziel gefährden3.

Anatomie

Die Form von Wurzelkanälen wird primär durch die Genetik bestimmt, darüber hinaus jedoch unter der Voraussetzung einer vitalen Pulpa auch durch externe und interne Reize beeinflusst. Je älter ein vitaler Zahn ist und je mehr mechanische, chemische, thermische oder mikrobielle Reize auf ihn einwirken, desto weiter schreitet die Produktion von Sekundär- und Tertiärdentin fort. Daraus können nicht nur Ein­engungen oder partielle Obliterationen resultieren, sondern auch Separationen von Wurzelkanalstrukturen4,5.

Ein Beispiel für dieses Phänomen sind die Unterkieferschneidezähne, die typischerweise eine Wurzel mit approximalen, diskreten Einziehungen entlang der Wurzellängsachse aufweisen. Mit fortschreitender Bildung von Sekundärdentin verkleinert sich das Pulpakavum im Querschnitt. und kann sich n zwei oder auch mehr teilweise voneinander getrennte Wurzelkanäle separieren6.

Abb. 1 Die vier Typen der Wurzelkanalkonfiguration in einer Wurzel (nach Weine).
Abb. 1 Die vier Typen der Wurzelkanalkonfiguration in einer Wurzel (nach Weine).

Vertucci et al. führten an einer großen Zahl mit Aufhellungstechniken transparent gemachter Zähne Untersuchungen zur Häufigkeit und zum Verlauf von Haupt- und Seitenkanälen und Aufzweigungen durch7. Schon 1969 stellte Weine eine Klassifizierung vor8, die bis heute Verwendung findet. Er differenzierte folgende vier Situationen (Abb. 1):

  • Typ I: ein Wurzelkanal, ein Foramen
  • Typ II: zwei Wurzelkanäle, die sich vor dem Apex vereinigen und ein gemeinsames Foramen aufweisen
  • Typ III: zwei Wurzelkanäle, zwei getrennte Foramina
  • Typ IV: ein Wurzelkanal, der sich vor dem Apex in zwei Wurzelkanäle verzweigt.

Auf diese Klassifikation wird im Folgenden zurückgegriffen.

Röntgenbefund

Hinweise zu Aufgabelungen finden sich in der Einzelzahnaufnahme höchst selten. Die zweidimensionale Darstellung der Zahnstrukturen auf einem konventionellen Röntgenbild ermöglicht es selbst bei Anfertigung mehrerer exzentrischer Röntgenaufnahmen oft bei weitem nicht, alle erforderlichen Informationen für eine korrekte Diagnose und erfolgversprechende Behandlungsstrategie zu gewinnen.

Wenn nach primärer Röntgendiagnostik der Verdacht auf Vorhandensein einer atypischen Kanalkonfiguration besteht, würden sich daher unter Umständen weitere diagnostische Verfahren empfehlen. Hier gewinnt die Digitale Volumentomographie (DVT) für die Diagnostik9 und Auswahl der Therapiestrategie immer mehr an Bedeutung. Vor der Anfertigung einer DVT-Aufnahme sollte aber eine umfangreiche Basisdiagnostik durchgeführt worden sein10. Das Field of View sollte bei einer DVT auf die fragliche Region begrenzt und eine möglichst hohe nominelle Auflösung angestrebt werden, optimal ist eine Voxelgröße von 120 µm oder weniger10–12. Nach adäquater bildgebender Diagnostik empfiehlt sich klinisch die Einbeziehung des Dentalmikroskops, dies ermöglicht eine verbesserte intrakoronale und intrakanaläre Diagnostik13,14 mit deutlich erleichterter und erfolgreicherer Darstellung von Wurzelaufzweigungen.

Liegen Aufgabelungen im Hauptkanalverlauf und dadurch apikalwärts zwei Kanäle vor, können diese Aufgabelungen in vielen Fällen durch sondierendes Austasten mit geeigneten Instrumenten (Scouting, zum Beispiel Micro-Opener, Dentsply; C-Pilot-Feilen, VDW) ertastet und erschlossen werden.

Aufgabelungen (Weine Typ IV)

Besonders schwierig sowohl in der Diagnostik als auch in der Behandlung sind Zähne, die eine Wurzelkanalkonfiguration Klasse 4 nach Weine aufweisen, beziehungsweise deren Wurzelkanal sich im mittleren bis apikalen Wurzeldrittel aufgabelt (Abb. 2a bis c). Diese Konfiguration liegt häufig bei Unterkiefer-Prämolaren vor, ist aber auch bei unteren Inzisivi, Eckzähnen oder anderen Zahngruppen vorzufinden. In vielen Fällen wird zunächst nur einer der Wurzelkanäle gefunden und entsprechend katheterisiert, präpariert und gefüllt (Abb. 3a bis d).

Diagnostik von Aufgabelungen

Ein erster Hinweis auf diese eher atypischen Konfigurationen findet sich auf der präoperativen Röntgenaufnahme, wenn der Hauptkanal eine Unterbrechung des Verlaufs zeigt (Abb. 4).

Klinisch kann sich ein Verdacht auf eine Aufgabelung ergeben, wenn das Instrument während der Katheterisierung eines scheinbar einfachen Wurzelkanals auf ein stufenartiges Hindernis stößt, das den weiteren Weg in Richtung Apex blockiert. Dabei handelt es sich dann um die Stelle der Aufgabelung eines Wurzelkanals (Abb. 5).

Zeigen sich während der Präparation unterschiedliche Schwierigkeitsgrade, kann auch dies auf zwei unterschiedlich große oder gekrümmte Kanalsysteme hindeuten. Das Instrument gleitet abwechselnd in den präparierten und noch unpräparierten Wurzelkanal, der u. U. auch eine andere Arbeitslänge und damit auch eine andere endometrische Anzeige aufweist.

Hinweise auf eine solche Konfiguration geben manchmal auch exzentrische Röntgenaufnahmen aus verschiedenen Angulationen, wobei es in der Regel aus Gründen der Praktikabilität und des Strahlenschutzes nicht möglich ist, jeden endodontisch zu behandelnden Zahn bereits vor einer Behandlung in zwei oder drei unterschiedlichen Projektionen zu röntgen. Ein wertvoller röntgenologischer Hinweis ergibt sich aus einer genauen Betrachtung der sogenannten Röntgenkontrastaufnahme, vor allem, wenn diese exzentrisch erstellt wird. Wenn das Kontrastmedium (z. B. Feile, Silberstift) nicht zentriert in der Wurzel bzw. im Wurzelkanal abgebildet ist, besteht ein dringender Verdacht auf das Vorliegen eines weiteren Wurzelkanals (Abb. 6).

Weitere wertvolle Hinweise auf das Vorhandensein von Aufgabelungen gibt die mikroskopische Diagnostik (Abb. 7a bis f).

Management von Aufgabelungen

Besteht der Verdacht auf das Vorliegen einer Aufgabelung, muss zunächst versucht werden, diese zu lokalisieren und so darzustellen, dass eine gezielte Instrumentation möglich wird.

Mit vorgebogenen Instrumenten wird der Wurzelkanal sorgfältig in kleinsten Schritten zirkumferent und von koronal nach apikal sondiert. Am Stopper und am Griff des Instruments lässt sich nachvollziehen, ob das Instrument in unterschiedliche Richtungen gleitet (Aufgabelung) oder sich immer wieder in dieselbe Position dreht (keine Aufgabelung).

Ist eine Aufgabelung aufgespürt und dargestellt, bedarf es zur sachgerechten Präparation spezieller Instrumente und Methoden. Eine erste Option stellt der Versuch der Erschließung mit vorgebogenen Handinstrumenten dar, eventuell in einem Nadel- oder Feilenhalter, oder mit Mikroopenern oder Mikrodebridern (Dentsply, Ballaigues, Schweiz). Aufgrund der Biegung der Instrumente ist es möglich, sich jeweils in die Aufgabelungen des Kanals vorzuarbeiten und eine Präparation mit zunehmenden Feilendurchmessern durchzuführen.

Form und Verlauf der Kanäle erlauben eine Präparation auch nicht mit vorgebogenen Instrumenten, wenn sie zu stark abknicken, mehrfach gebogen oder verdreht sind. In solchen Fällen bleibt nur noch die Möglichkeit einer intensiven chemischen Bearbeitung (Abb. 8a bis c). Dabei wird der Wurzelkanal intensiv mit Natriumhypochlorit gespült, wobei die Wirkung der Spüllösung durch eine Aktivierung erhöht werden kann18. Die so erzielte chemische Reinigung ermöglicht gelegentlich die Füllung dieser nicht instrumentierten Areale mithilfe thermoplastischer Wurzelfülltechniken.

Obturation

Nicht minder problematisch als die chemo-mechanische Bearbeitung der sich aufgabelnden Wurzelkanäle ist gelegentlich deren Obturation. Meist ist die Zugangskavität, vor allem bei Frontzähnen und Prämolaren, für die gleichzeitige Platzierung mehr als einer Guttapercha-Spitze zu eng, die beiden Guttapercha-Spitzen, die für die Füllung der Kanäle notwendig sind, können also unter Umständen nicht zusammen eingeführt werden. Bringt man deshalb zunächst nur eine Guttapercha-Spitze in eine der Abzweigungen ein und kürzt diese dann im koronalen bis mittleren Bereich des Wurzelkanals, blockiert man dadurch den Zugang, der für das Füllen des zweiten abzweigenden Kanals aber notwendig wäre.

Dieses Dilemma lässt sich mit einer Modifikation der klassischen Schilder-Technik lösen. Für jeden präparierten Wurzelkanal wird ein Masterstift vorbereitet. Die zum Füllen der abzweigenden Kanäle notwendigen, bereits apikal kalibrierten Guttapercha-Spitzen werden nun einzeln intrakanalär geprüft und anschließend extraoral für die Obturation vorbereitet, wobei man sie vorab auf die Länge der Abzweigungen zuschneidet.

Um die Länge der Wurzelkanalabschnitte zwischen Gabelung und Apex zu ermitteln, wird zunächst die jeweilige Länge vom apikalen Endpunkt der Aufbereitung bis zu einem vorher bestimmten Referenzpunkt auf der okklusalen Ebene der Zugangskavität auf der Guttaperchaspitze markiert (Gesamtlänge des Kanals). Dann wird ein etwas breiteres endodontisches Instrument so tief in den Wurzelkanal eingebracht, bis es auf den stufenartigen Widerstand bei der Abzweigung trifft, und so die Länge des Wurzelkanalabschnittes koronal der Aufzweigung bis zum Referenzpunkt gemessen. Die Differenz zwischen Gesamtlänge des Kanals und der Distanz vom koronalen Referenzpunkt zur Gabelung ergibt die jeweilige Länge der abzweigenden Wurzelkanalabschnitte von der Gabelung bis zum Apex (Abb. 9).

Nachdem die Guttaperchaspitzen passend zugeschnitten sind, wird an den jeweiligen Abzweigungen zunächst vorsichtig etwas Sealer mit kreisförmigen, leicht pumpenden Bewegungen auf die Kanalwände aufgebracht. Zum Einbringen der vorbereiteten Guttapercha-Spitzen in die aufzweigenden Kanäle eignen sich Plugger, an deren Spitze die entsprechend zugeschnittene Spitze nach einer leichten Erwärmung des Pluggers durch ihre thermische Plastifizierung fixiert wird (Abb. 10a und b).

Die Guttaperchaspitzen werden nun einzeln (Abb. 11a und b) und sukzessiv in die abzweigenden Wurzelkanäle eingeführt. Da die erste Guttapercha-Spitze vollständig in dem entsprechenden abzweigenden Kanalabschnitt verschwindet, bleibt der Zugang zum anderen abzweigenden Teil des Kanals frei. Eine Röntgenkontrolle nach Downpack zur Überprüfung ist zu empfehlen (Abb. 12).

Der koronale Anteil des Wurzelkanals wird anschließend mit Hilfe der Guttapercha-Injektionstechnik (Back-Fill) gefüllt.

Sollte sich die Notwendigkeit einer Stifteingliederung ergeben, so muss die Position der Aufgabelung beachtet und die Präparation des Stiftbetts nur bis 1–2 mm koronal der Aufgabelung vorgenommen werden.

Schlussfolgerung

Wesentliche Voraussetzung für das Auffinden von Aufgabelungen sind die Kenntnis der Anatomie des Endodonts, eine gute radiologische Bildgebung und Erfahrung in deren Interpretation sowie die Verwendung adäquater Vergrößerungshilfen mit guter Beleuchtung. Die Erschließung identifizierter Aufgabelungen bedarf oft neben einer systematischen Planung spezielle Instrumente, für deren erfolgreichen Einsatz präzise Technik und Erfahrung erforderlich sind.

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Ein Beitrag von Dr. Gabriel Tulus, Viersen, Thomas Weber, Krumbach, Andreea Petrovits und Bogdan Mihai Galbinasu, beide Bukarest, Rumänien

Quelle: Endodontie 4/18 Endodontie

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