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Eine interessante Studie in der aktuellen Dentista 3/19


PD Dr. Dr. Christiane Gleissner

Aktuell  gibt es neue Erkenntnisse über die möglichen Zusammenhänge von bakteriell induzierten Entzündungsreaktionen und atherothrombotischen Ereignissen wie Hirnblutungen und Hirninfarkten. PD Dr. Dr. Christiane Gleissner hat die neuen Studienergebnisse einer Forschergruppe aus Finnland aufbereitet und eingeordnet. Ihr Beitrag erscheint auch in der neuen Dentista 3/19, die die Themenschwerpunkte Mundschleimhaut, steigender Anteil der Oralchirurginnen und Arbeitsverträge als Visitenkarte der Praxis hat.

Das Fachjournal DENTISTA ist die einzige deutschsprachige Zeitschrift mit Fokus auf Zahnärztinnen. Es stellt praxisrelevante Themen rund um Zahnmedizin, Medizin, Familie und Berufstätigkeit in kurzen und prägnanten Beiträgen dar und lädt zum Informieren und Schmökern ein. DENTISTA versteht sich als informierende und serviceorientierte Begleiterin durch Wissenschaft, Praxis, Labor und Leben. DENTISTA erscheint seit 2007 viermal jährlich. Sie ist offizielles Organ des Verbandes Dentista e.V. und wird an dessen Mitglieder verschickt. Interessierte Leser können die DENTISTA auch unabhängig von einer Mitgliedschaft direkt vom Verlag beziehen. Weitere Informationen und die Möglichkeit, ein aktuelles Probeheft kostenfrei anzufordern, finden Sie hier.


Kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Erkrankungen gehören weltweit [1] und auch in Deutschland zu den häufigsten Todesursachen. Die Ein-Jahres-Mortalität eines Schlaganfalls liegt bei 40 Prozent; die Invaliditätsrate bei 30 bis 35 Prozent. Man unterscheidet hämorrhagische (Hirnblutungen) von ischämischen Schlaganfällen (Hirninfarkt); unter den jährlich etwa 270.000 Neuerkrankungen in Deutschland sind Hirninfarkte mit 78 Prozent deutlich häufiger als Hirnblutungen (13 Prozent) oder Subarachnoidalblutungen (4 Prozent) [2]. Wesentliche Fortschritte der Schlaganfallbehandlung in den vergangenen zwei Jahrzehnten sind die modernen diagnostischen (CT) und therapeutischen Maßnahmen (Thrombektomie via Stent). Neben bekannten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Hypercholesterinämie, Diabetes mellitus, Rauchen und Adipositas wird auch diskutiert, dass bakteriell induzierte Entzündungsreaktionen zur Entstehung einer Atherosklerose und zu atherothrombotischen Ereignissen beitragen könnten [3].

Originalartikel:
Oral bacterial signatures in cerebral thrombi of patients with acute ischemic stroke treated with thrombectomy. Patrakka O, Pienimäki JP, Tuomisto S, Ollikainen J, Lehtimäki T, Karhunen PJ, Martiskainen M. J Am Heart Assoc 2019;8:e012330.


Korrelationen mit schwerer Parodontitis

Bereits 1989 wurde durch Syrjänen et al. eine epidemiologische Verbindung zwischen ischämischen Hirninfarkten und Parodontitis erstmals beschrieben [4]. Seither wurden zahlreiche Querschnittsstudien, Fall-Kontroll- und Kohortenstudien durchgeführt. Eine aktuelle Meta-Analyse ergab für Patienten mit Parodontitis ein 1,6-fach erhöhtes Schlaganfallrisiko und für Patienten mit Zahnverlust ein 1,4-fach erhöhtes Risiko [5]. Grau et al. fanden für deutsche Patienten mit schwerer Parodontitis ein um den Faktor 4,3 erhöhtes Hirninfarktrisiko, selbst nachdem das Risikomodell für die üblichen Risikofaktoren adjustiert wurde. Dieser Zusammenhang bestand für Männer, nicht aber für Frauen, und für Patienten unter 60 Jahren [6].


Parodontalpathogene Bakterien können im gesamten Körper wirken. Bild: proDente e.V./Johann Peter

Die genauen Mechanismen sind zwar noch ungeklärt, doch gibt es zahlreiche Hinweise auf einen Einfluss parodontaler Entzündungsprozesse und parodontalpathogener Bakterien auf das Infarktgeschehen (Abb. 1). So korreliert die Konzentration des C-reaktiven Proteins (CRP) mit der Inzidenz von kardiovaskulären Erkrankungen und Schlaganfällen [7]. CRP ist bei Patienten mit Parodontitis erhöht, und kann durch parodontaltherapeutische Maßnahmen gesenkt werden [8]. Das Vorkommen von Serumantikörpern gegen P. intermedia wurde mit Hirninfarkten in Verbindung gebracht [9]. Es ist auch bekannt, dass Lipopolysaccharide aus der Zellwand gramnegativer Bakterien Haupttrigger der Entzündungsantwort sind: Bildung von proinflammatorischen Zytokinen, Störung des Lipidmetabolismus und CRP-Erhöhung. Vermutlich fördert CRP die Komplementaktivierung und die Bildung von Schaumzellen, und darüber hinaus die Entstehung atherosklerotischer Gefäßläsionen [5].

Material und Methoden

Die hier vorgestellte Arbeitsgruppe aus Finnland hatte bereits in früheren Arbeiten bakterielle DNA von oralen Viridans-Streptokokken und parodontalpathogenen Bakterien in Thrombusaspiraten aus Herzkranzgefäßen bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt nachgewiesen sowie in zerebralen Aneurysmen und Thrombusaspiraten aus Gefäßen der unteren Extremitäten. Sie verfolgte nun das Ziel, erstmalig über eine quantitative Real-Time-PCR bakterielle DNA in Thromben aus Zerebralgefäßen von Patienten mit einem ischämischen Schlaganfall nachzuweisen. Die Autoren untersuchten dazu die im Rahmen der Revaskularisation gewonnenen Thromben von 75 Patienten (52 männlich, 23 weiblich) mit Oligonukleotid-Sonden für Streptokokken der mitis-Gruppe, P. gingivalis, A. actinomycetemcomitans und einer universellen bakteriellen Sonde als Referenz.

Ergebnisse

84 Prozent der untersuchten Thromben waren positiv für bakterielle (Referenz-) DNA, 16 Prozent negativ. 78,7 Prozent der Thromben enthielten DNA von Streptokokken der mitis-Gruppe. DNA von P. gingivalis oder A. actinomycetemcomitans wurde nicht nachgewiesen. Referenz-DNA-positive Patienten waren häufiger männlich, hatten Diabetes und eine bestehende zerebrovaskuläre Erkrankung verglichen mit den DNA-negativen Patienten; solche Unterschiede fanden sich nicht für die Streptokokken-DNA-positiven bzw. -negativen Patienten.

Schlussfolgerungen

Die hohe Zahl positiver Thromben überrascht insofern nicht, als orale Streptokokken häufig im Blut nachgewiesen werden können, sowohl als klinisch symptomlose transiente Bakteriämie wie auch als Ursache einer infektiösen Endokarditis oder Sepsis. Sie gelangen nach einem Trauma, zahnärztlichen Maßnahmen wie Wurzelkanalbehandlung oder Zahnextraktion in den Blutkreislauf, aber auch durch alltägliche Manipulationen wie das Zähneputzen, insbesondere bei Patienten mit Parodontitis (Abb. 2). Hier könnten sie durch Phagozytose in die atherosklerotischen Plaques gelangen, oder direkt über die vasa vasorum. Orale Streptokokken verfügen über eine Vielzahl pathogener Eigenschaften: Sie können Endothelzellen zur Produktion von proinflammatorischen Zytokinen anregen, die in die Pathogenese der Atherosklerose involviert sind und die Ablösung der Plaques befördern können. Sie können toll-ähnliche Rezeptoren aktivieren, direkt mit Blutplättchen reagieren, diese über Immunglobulin G indirekt aktivieren, und Gingipaine bilden, die die Aktivierung und Aggregation von Thrombozyten und darüber die Thrombenbildung fördern. Die hier verwendete Methode hat den Vorteil, dass sie genau und kosteneffektiv ist, verglichen mit dem traditionellen Nachweis über die Bakterienkultur. Es ist damit allerdings nicht möglich, lebende von phagozytierten Bakterien zu unterscheiden; wie genau die Bakterien die Thrombose beeinflussen, kann mit der PCR nicht geklärt werden. Desweiteren ist das untersuchte Kollektiv klein; da keine klinische zahnärztliche Untersuchung durchgeführt wurde, fehlen Daten zur oralen und parodontalen Gesundheit. Dies mag auch erklären, warum parodontalpathogene Bakterien wie P. gingivalis und A. actinomycetemcomitans nicht nachgewiesen wurden.

Insgesamt ist die vorgestellte Arbeit ein weiterer kleiner Baustein zum Verständnis des Zusammenhangs zwischen ischämischem Schlaganfall und bakteriellen Infektionen, an denen orale Bakterien möglicherweise beteiligt sind. Bisher ist jedoch unklar, ob diese Bakterien die atherothrombotischen Ereignisse verursachen, oder lediglich unbeteiligte, zufällig in die Thromben inkorporierte Zuschauer (Bystander) sind. Gleichwohl kann aus den Ergebnissen die Empfehlung zu einer regelmäßigen zahnärztlichen Betreuung und Anleitung zu einer sorgfältigen häuslichen Mundhygiene als Baustein einer Primärprävention des ischämischen Schlaganfalls abgeleitet werden.

PD Dr. Dr. Christiane Elisabeth Gleissner, Mainz

Literatur
1.Katan M, Luft A. Global burden of stroke. Semin Neurol 2018;38: 208–211.
2.Hensler S, Barzel A, Knoneczny N. Schlaganfall. DEGAM-Leitlinie Nr. 8, 2012. AWMF-Register-Nr. 053-011. https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlini- en/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-abgelaufen.pdf; Letzter Zugriff: 26.06.2019.
3.Rosenfeld ME. Inflammation and atherosclerosis: direct versus indirect mechanism. Curr Opin Pharmacol 2013;13:154–160.
4.Syrjänen J, Peltola J, Valtonen V, Iivanainen M, Kaste M, Huttunen JK. Dental infections in association with cerebral infarction in young and middle-aged men. J Intern Med 1989;225:179–184.
5.Lafon A, Pereira B, Dufour T, Rigouby V, Giroud M, Béjot Y, Tubert-Jeannin S. Periodontal disease and stroke: a meta-analysis of cohort studies. Eur J Neurol 2014;21:1155–1161.
6.Grau AJ, Becher H, Ziegler CM et al. Periodontal disease as a risk factor for ischemic stroke. Stroke 2004;35:496–501.
7.Rost NS, Wolf PA, Kase CS et al. Plasma concentration of C-reactive protein and risk of ischemic stroke and transient ischemic attack: the Framingham study. Stroke 2001;32:2575–2579.
8.D’Aiuto F, Parkar M, Andreou G, Suvan J, Brett PM, Ready D, Tonetti MS. Periodontitis and systemic inflammation: control of the local infection is associated with a reduction in serum inflammatory markers. J Dent Res 2004;83:156–160.
9.Hosomi N, Aoki S, Matsuo K et al. Association of serum anti-periodontal pathogen antibody with ischemic stroke. Cerebrovasc Dis 2012;34:385–392.


Das Titelbild zeigt die typische Mundsituation eines Parodontitispatienten. Bild: Quintessenz
Quelle: Quintessence News Parodontologie Zahnmedizin Interdisziplinär Aus dem Verlag

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