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Der angehende Zahntechniker Berkay Irkil ist einem Alltagsproblem nachgegangen und hat viel für sich gelernt

Täglich bekommen wir im Dentallabor Zahnprothesen für Unterfütterungen, Reparaturen und Erweiterungen auf den Tisch gelegt, an denen wir arbeiten dürfen. Oft war ich erschüttert darüber, wie ungepflegt oder mit Zahnstein bedeckt manche Prothesen waren. Ich fragte mich, ob es wirklich schwer ist, seine Prothese anständig zu pflegen und auf die Reinigung zu achten. Die Prothese sitzt nachher im Mund, daher sollte es doch möglich sein, sie hygienisch sauber zu halten.


Berkay Irkil, Zahntechnikerlehrling, Pfullingen

Oft unterhalte ich mich nach Feierabend mit einer Klassenkameradin aus der Berufsschule über die tägliche Arbeit. Im Hinblick auf die Prothesen ging es ihr nicht anders als mir. Allerdings hat sie über einen Patienten zu einem späteren Zeitpunkt erfahren, dass er dement ist. Über krankheitsbedingte Gründe für die mangelnde Hygiene hatte ich mir bisher keine Gedanken gemacht, nun schämte ich mich wegen meines schnell gefällten Urteils und versuchte, mehr über die Hintergründe mangelhaft gepflegter Prothesen herauszufinden.

Recherche zu Pflegeheimen

Ich begann im Internet zu recherchieren mit Fokus auf Pflegeheimen. Dabei stieß ich auf den Zahnarzt Dr. Elmar Ludwig, der sich schon seit Längerem mit der Mundhygiene bei pflegebedürftigen Senioren beschäftigt. Ich nahm Kontakt zu ihm auf und er lud mich zu seinem Kurs: „Alterszahnheilkunde – das Wichtigste in Kürze“ nach Stuttgart ein. Der Intensivkurs fand am 5. Juni 2019 im Zahnmedizinischen Fortbildungszentrum Stuttgart statt und diente den Zahnärzten, wie auch den Kolleginnen und Kollegen in der Zahnheilkunde zur Aufklärung der zahnärztlichen Betreuung pflegebedürftiger Menschen. Auch für mich als angehender Zahntechniker war diese Fortbildung sehr informativ, da ich nun verstehe und mir erklären kann, warum manche Arbeiten so in die zahntechnischen Labore eintreffen.

Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland 2017 betrug 3,4 Millionen Menschen. Drei Viertel (75,8 Prozent) aller Pflegebedürftigen wurden Zuhause gepflegt und nur fast ein Viertel (21,4 Prozent) vollstationär in Heimen.

Trends und Entwicklungen

Bis 2030 kann man laut Ludwig von mehr als 4 Millionen pflegebedürftigen Menschen ausgehen. Schaut man sich die Mundgesundheit von älteren Senioren nach der Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) 2016 an, klingen die Zahlen erst einmal erfreulich, wenn man die völlige Zahnlosigkeit mit 32,8 Prozent (davon 53,7 Prozent mit Pflegebedarf) oder die erforderliche Hilfe bei der Mundhygiene der Befragten mit 6,7 Prozent (davon 29,8 Prozent mit Pflegebedarf) in Betracht zieht. Nur mussten die Menschen zur Begutachtung selbst kommen und gerade die schwer Pflegebedürftigen wurden entsprechend nicht berücksichtigt. Auch wurde die Frage nach der Hilfsbedürftigkeit bei der Mundhygiene von eigenen Angaben erhoben, ohne diese zu prüfen.

Die Zahnlosigkeit in der Pflege mit dem Schwerpunkt auf Soor, Parotitis und Druckstellen war im Jahr 1987 noch die Regel, nach 30 Jahre zahnärztlicher Prävention sieht das anders aus. Inzwischen ist in der Altersklasse zwischen 65 und 74 Jahren nur noch jeder Achte zahnlos. Dafür steigen in dieser Altersklasse die Fälle von Parodontitis und Wurzelkaries stark an. Doch ist die Ausbildung in der Pflege darauf ausreichend vorbereitet?

Der Kooperationsvertrag

Derzeit gibt es 4.700 Kooperationsverträge von Zahnärzten mit Pflegeeinrichtungen, damit haben rund 32 Prozent der mehr als 11.000 Pflegeheime einen solchen Vertrag geschlossen (Zahlen der KZBV von der Vertreterversammlung am 25. und 26. Juni 2019 in Köln, Anm. d. Red.).

Ein Kooperationsvertrag regelt die koordinierte und kooperative Zusammenarbeit (in diesem Fall zwischen Zahnarzt und Pflegeheim) zur Sicherstellung einer regelmäßigen zahnärztlichen Versorgung zur Erhaltung und Verbesserung der Mundgesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner stationärer Pflegeinrichtungen. Viele Bewohner in den Pflegeeinrichtungen schaffen es aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr, den Besuch in der Zahnarztpraxis zu realisieren und sind daher auf eine aufsuchende Betreuung des Zahnarztes angewiesen.

Es ist kein Geheimnis, dass wir in Deutschland einen Mangel an Pflegekräften haben – nun sollen sich die Pflegerinnen und Pfleger auch um die Zähne der Senioren kümmern und dabei die nötige Kompetenz aufweisen? Im Alltag sieht es eher so aus: Prothese raus, kurz abwaschen und wieder rein damit. Mehr ist da nicht drin. Genau hier fängt die Misere an: Es fehlt den Pflegekräften nicht nur die Zeit, sondern auch das Grundwissen, wie man mit einer Prothese umzugehen hat und was hierbei zu beachten ist.

Mund- und Allgemeingesundheit

Anschließend listete Dr. Ludwig die Effekte guter Mundhygiene auf die Allgemeingesundheit auf. Eine Lungenentzündung ist in Pflegeeinrichtungen neben Harnwegsinfekten die häufigste Infektionserkrankung, der häufigste Einweisungsgrund ins Krankenhaus und die häufigste Todesursache. Wussten Sie, dass man mit einer ausreichend guten Mundhygiene das Risiko einer Pneumonie um bis zu 40 Prozent senken kann? Werden Prothesen über Nacht herausgenommen, halbiert sich das Risiko einer Aspirationspneumonie. Soll die Prothese nachts im Mund verbleiben, ist die Reinigung der Prothese und der Mundhöhle vor dem Schlafengehen wichtig.

Auch die kognitiven Fähigkeiten können durch gutes Kauvermögen positiv beeinflusst werden. Das Kauen fördert den zerebralen Blutfluss und aktiviert den Hippocampus und präfrontalen Kortex, Regionen, die wichtig für das Lernen und das Gedächtnis sind. Es wurden zudem positive Effekte auf die sogenannte Stressachse durch gutes Kauvermögen beobachtet. Eine gute parodontale Gesundheit kann demnach helfen, Diabetes, koronare Herzkrankheit, Polyarthritis und Adipositas besser zu kontrollieren.

Umsetzung im Pflegealltag

Auf der anderen Seite sind Pflegerinnen und Pfleger keine Zahnmediziner und können auch nicht diese Verantwortung tragen. Mit der jeweiligen Hilfestellung jedoch können sie dem Zahnarzt entgegenkommen und helfen, die Mundgesundheit der unterstützungsbedürftigen Menschen zu erhalten, was sich auch im Pflegealltag insgesamt positiv auswirkt – haben die zu Pflegenden weniger Mundgeruch, besteht weniger Abwehr beim Essen oder Füttern, mehr soziale Teilhabe und mehr Lebensqualität sind die Folgen.

Dr. Ludwig gab zu bedenken, dass man die Patienten zu einer Mundkontrolle nicht zwingen kann. Darüber hinaus ist darauf zu achten, dass sich die Patienten bei der Mundpflege nicht verschlucken. Bei der aufsuchenden Betreuung ist schließlich noch auf eine ergonomische Arbeitsweise zu achten.

Praktische Maßnahmen

In der Praxis kann der Alltag in den Pflegeheimen zum Beispiel mit einem Mundhygieneplan in Form einer Pflegeampel strukturiert werden. Hier findet die Pflegekraft Informationen darüber, ob der Patient eine Unterstützung bei der Mundpflege braucht, darüber hinaus können spezielle Pflegehinweise und die Kontaktadresse des jeweiligen Zahnarztes hier notiert werden. Der Fokus von Dr. Ludwig lag auf der Schulung und der Betreuung der Pflegekräfte.

Angehende Pflegerinnen und Pfleger in der Ausbildung müssen auf dieses Thema aufmerksam gemacht und motiviert werden. Dabei ist zu bedenken, dass wir früher oder später alle davon betroffen sein können und auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass professionell und kompetent mit mir gearbeitet wird und ich nicht wegen meines Alters abgeschrieben werde.

Berkay Irkil, Pfullingen

Ich bedanke mich bei Dr. Elmar Ludwig für die Begleitung dieses Projekts und Überarbeitung des Manuskripts.

Bilder: Berkay Irkil
Quelle: Quintessence News Zahntechnik Menschen Fortbildung aktuell

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