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KZBV befürchtet mit dem GKV-FinStG das Aus für die moderne Parodontitistherapie – Ärzte sehen große Defizite durch Wegfall der Neupatientenregelung

Der Deutsche Bundestag verabschiedete am 20. Oktober 2022 mit den Stimmen der Regierungskoalition das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (Symbolbild).

(c) Deutscher Bundestag/Kira Hoffmann/Photothek

Der Deutsche Bundestag hat am 20. Oktober 2022 den von Karl Lauterbach vorgelegten Entwurf für das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) mit nur marginalen Änderungen verabschiedet. „Für die Mund- und Allgemeingesundheit in Deutschland ist das ein schwarzer Tag“, so die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung. Aber auch von Ärzten und Apothekern kommt scharfe Kritik.

Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz will die Bundesregierung die erwarteten Defizite von 17 Milliarden Euro bei den gesetzlichen Krankenkassen ausgleichen. Dazu wurden verschiedene Maßnahmen beschlossen. So wird der Bundeszuschuss zur GKV von 14,5 Milliarden Euro für 2023 um zwei Milliarden erhöht. Der Zusatzbeitrag für Beitragszahler wird ab 2023 um 0,3 Prozentpunkte angehoben. Bei Apotheken und Medikamenten sind Kürzungen vorgesehen. Die Neupatientenregelung bei den Vertragsärzten entfällt, dafür soll es Zuschläge für schnelle Termine geben.

Deckel bei Punktwerten und Gesamtvergütung für Zahnärzte

Bei den Vertragszahnärzten sollen Punktwert und Gesamtvergütung ohne Zahnersatz für 2023 und 2024 weniger stark steigen, als es die sogenannte Grundlohnsummensteigerung zulassen würde. Davon erhofft sich die Politik Einsparungen von rund 340 Millionen Euro. Ausgenommen von den Deckelungen sind Leistungen für Prävention und Pflegebedürftige, unter anderem die PAR-Behandlungen nach der neuen Richtlinie für diese Patientengruppen.
Vorgesehen ist zudem, dass die Auswirkungen der Honorar- und Punktwertdeckel auf die Behandlungen nach der neuen PAR-Richtlinie vom Bundesgesundheitsministerium untersucht werden sollen. Dazu heißt es neu im Gesetz in Paragraf 85 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V): „(2d) […] Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Leistungen nach den §§ 22, 22a, 26 Absatz 1 Satz 5, § 87 Absatz 2i und 2j sowie Leistungen zur Behandlung von Parodontitis für Versicherte, die einem Pflegegrad nach § 15 des Elften Buches zugeordnet sind oder in der Eingliederungshilfe nach § 99 des Neunten Buches leistungsberechtigt sind. Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert bis zum 30. September 2023 die Auswirkungen der Begrenzung der Anhebungen der Punktwerte (Absatz 3a: der Gesamtvergütungen, Anm. d. Red.) nach Satz 1 auf den Umfang der Versorgung der Versicherten mit Leistungen zur Behandlung von Parodontitis.“

Die KZBV hatte diese Kürzungen von Anfang an vor allem wegen der befürchteten negativen Auswirkungen auf die moderne Parodontitistherapie kritisiert und abgelehnt. In der Reaktion auf das jetzt verabschiedete Gesetz hebt die KZBV nochmal auf diese negativen Folgen ab: Mit der im Gesetz enthaltenen strikten Budgetierung für 2023 und 2024 werden der Versorgung die erst kürzlich zugesagten Mittel für die neue, präventionsorientierte Parodontitis-Therapie wieder entzogen. „Fast alle der rund 30 Millionen Patientinnen und Patienten, die an der Volkskrankheit Parodontitis leiden, werden damit faktisch eines Leistungsanspruchs beraubt, der erst im Vorjahr in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen und von allen Beteiligten als ein Meilenstein für die Mund- und Allgemeingesundheit begrüßt wurde. Durch die im Bundestag auf den letzten Metern eingebrachten Änderungen der Koalition werden alleine die Finanzmittel für die Behandlung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung zur Verfügung gestellt.“

Mehrheit der auf PAR-Therapie Angewiesenen bleibt auf der Strecke

Der Vorstandsvorsitzende der KZBV, Dr. Wolfgang Eßer, zeigte sich fassungslos angesichts dieses aus seiner Sicht zynischen und beispiellosen Vorgehens: „In zahlreichen Gesprächen und in der Expertenanhörung im Bundestag wurde klar dargelegt, dass die strikte Budgetierung das faktische Aus für diese wichtige Behandlung bedeutet. So wichtig die Versorgung vulnerabler Gruppen ist, eine Ausnahmeregelung für die Parodontitis-Therapie hätte alle GKV-Versicherten einschließen müssen. Die weit überwiegende Mehrheit der Patientinnen und Patienten, die dringend auf eine wirksame und auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft basierende Behandlung angewiesen ist, bleibt mit dieser Entscheidung auf der Strecke. Das, was uns die Ampel hier präsentiert, ist nichts anderes als ein politisches Feigenblatt und ein Frontalangriff auf die präventive Patientenversorgung."

Zur geplanten Evaluierung erklärt er: „Trial and error auf dem Rücken der Patienten ist der falsche Weg. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Sein Versprechen zu halten, eine Parodontitis-Behandlung für alle zu ermöglichen und dann zu evaluieren – das wäre verantwortungsvoll", kritisiert Eßer.

Politik verschließt wissentlich die Augen vor den Folgen

Eßer wies in diesem Zusammenhang auch auf die gravierenden Folgen einer Parodontitis für die Mund- und Allgemeingesundheit hin: „Parodontitis steht im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes und stellt zugleich ein Risiko für Schwangere, demenziell erkrankte Patienten sowie für schwere Verläufe bei Infektionen mit dem Coronavirus dar. Mit diesem Gesetz verschließt die Ampel wissentlich die Augen vor den gesundheitlichen Folgen für unsere Patienten und wirft gleichzeitig die von ihr gepredigten Prinzipien von Nachhaltigkeit und Prävention in der Gesundheitsversorgung vollständig über Bord. Das ist schlichtweg absurd und verantwortungslos."

KZBV und KZVen werden Spielräume ausloten

Die KZBV werde schnell mit den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen, die jetzt für ihre Mitglieder mit den regionalen Krankenkassen und Kassenverbänden über die Punktwerte und Vergütungen vor dem Hintergrund der Morbiditätsentwicklung verhandeln müssen, über das weitere Vorgehen beraten und mögliche Spielräume ausloten, hieß es nach Verabschiedung des Gesetzes aus KZBV-Kreisen zum weiteren Vorgehen. Die Folgen des Gesetzes werden mit Sicherheit auch Thema der nächsten Vertreterversammlung der KZBV am 23. und 24. November 2022 in München sein. Zu erwarten ist, dass auch die Bundesversammlung der Bundeszahnärztekammer am 3. und 4. November 2022 in München das Thema diskutieren wird – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der steigenen Belastungen für die Praxen durch Energiekosten und Inflation. Auch eine Abrechnungsempfehlung zur neuen PAR-Behandlungsstrecke ist „schon recht weit“, wie der Verbandsdirektor des Verbands der Privaten Krankenversicherungen (PKV), Dr. Florian Reuther, in seinem Grußwort auf der Hauptversammlung des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte am 13. Oktober 2022 in Bonn berichtete.

Lesen Sie zum neuen Gesetz auch die Kolumne von Dr. Uwe Axel Richter „Erneute Offenbarung fehlender Problemlösungskompetenz“.

DGDH: „Wir warnen vor einer PA-Triage!“

Vonseiten der Dentalhygienikerinnen/-hygieniker kommt ebenfalls Kritik: Die verabschiedete Budgetierung und Deckelung präventionsorientierter Leistung dürfe nicht unkommentiert bleiben. „Diese Entscheidung trifft unsere Patienten - insbesondere all die, bei denen die Parodontalbehandlungen in einem direkten Zusammenhang mit allgemeinen Erkrankungen, wie Diabetes & Co. stehen“, mahnt Sylvia Fresmann, 1. Vorstand der Deutschen Gesellschaft für DentalhygienikerInnen e.V. (DGDH).

Zur neuen PAR-Richtlinie heißt es: „Wir sehen bei den Patienten eine Verbesserung der Mundgesundheit – positive Effekte sind deutlich erkennbar. Und nun wird dieser richtige Weg wieder verlassen. Es droht eine PA-Triage. Nicht jeder, der von professionellen präventionsorientierten PA-Leistungen profitieren könnte, wird diese nun erhalten“, so der DGDH. „Wir werden – für unsere Patienten – in der Öffentlichkeit dafür eintreten, dass die getroffene Entscheidung schnell wieder korrigiert wird“, so Fresmann weiter. Die DGDH erhofft sich, dass sich die anderen Fachverbände dieser Kampagne anschließen und man gemeinsam eine starke Stimme sein wird.

Es wird Einschnitte geben – vor allem für die Patienten

Der Freie Verband Deutscher Zahnärzte hebt in seiner Reaktion auf die Folgen für die Patientinnen und Patienten ab. „Die Einschnitte für die medizinische Versorgung werden dramatische Folgen haben – für die Praxen, aber vor allem für die Patienten“, sagte der FVDZ-Bundesvorsitzende Harald Schrader nach der Abstimmung im Bundestag.

Patientinnen und Patienten mit Parodontitis seien besonders betroffen. „Deren Versorgung wird in Zukunft nur noch in sehr begrenztem Maße möglich sein, begonnene Behandlungen werden in weiten Teilen vermutlich nicht fortgesetzt werden können“, befürchtet Schrader. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach habe in der Bundestagsdebatte erneut betont, dass es keine Leistungskürzungen für die Patienten geben werde. „Dies wird nicht so sein: Bei der Parodontitis-Therapie wird den Patienten durch die neue gesetzliche Regelung die Leistung faktisch vorenthalten“, sagt Schrader. „Denn es gilt die alte Weisheit: Für begrenzte Mittel kann es keine unbegrenzten Leistungen geben.“ Die Patienten seien sogar doppelt betroffen, weil sie einerseits höhere Krankenkassenbeiträge bezahlen müssten, andererseits aber drastisch weniger zahnmedizinische und auch medizinische Leistungen bekämen.

Das Zugeständnis, Leistungen der Parodontitis-Therapie bei Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung „auszudeckeln“, sei für diesen Personenkreis zu begrüßen, geht nach Schraders Ansicht aber am Problem vorbei. „Das ist eher Kosmetik als echte Problemlösung.“

In den Praxen könnten die Lichter ausgehen

Die Wiedereinführung der strikten Budgetierung werde allerdings noch weitere Auswirkungen auf die zahnärztliche Versorgung haben. „In vielen Praxen werden schlicht die Lichter ausgehen“, prognostiziert der FVDZ-Bundesvorsitzende. „Die Kosten in den Praxen steigen ungebremst – Inflation, Energiekrise und Personalnotstand belasten nicht nur Kliniken. Das werden viele Niedergelassene nicht mehr durchhalten. Dass sich die medizinische Versorgung dadurch drastisch verschlechtern wird und dass mittelfristig die flächendeckende wohnortnahe Versorgung gefährdet wird, scheint den Gesundheitsminister nicht zu interessieren.“

Ärztinnen und Ärzte „maßlos enttäuscht“

„Die Kolleginnen und Kollegen in den Praxen, die aktuell mit immensen Kostensteigerungen zu kämpfen haben, sind frustriert und maßlos enttäuscht von diesem Beschluss. Ich gehe davon aus, dass es in den nächsten Wochen zu weiteren Protesten gegen die Streichung der Neupatientenregelung und die damit verbundenen Folgen für die Versorgung der Patientinnen und Patienten kommen wird“, kommentierte Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung das Parlamentsvotum.

„Lastesel der Versorgung“ ohne angemessene Ausstattung

Das vermeintliche Zugeständnis der Ampelkoalition, durch die Terminservicestellen den Wegfall der Neupatientenregelung zu kompensieren, sei „bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein“, fuhr Gassen fort. Die Abschaffung der Neupatientenregelung in Kombination mit der Beschränkung der Finanzierung der offenen Sprechstunde im Rahmen des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes sorge dafür, dass sich die Lage der ohnehin chronisch unterfinanzierten ambulanten Versorgung weiter verschlechtern werde. Zugleich sende sie das Signal, „dass Praxen zwar der Lastesel der Versorgung sind, aber im Gegensatz zu Krankenhäusern keine angemessene finanzielle Ausstattung bekommen.“

Apotheker sehen sich nicht als Kostentreiber

Düster ist die Stimmung auch bei den Apothekern, denn das Gesetz sieht vor, die Honorare für die Apotheken in den kommenden zwei Jahren zu kürzen. Der Abschlag, den Apotheken der GKV für jedes rezeptpflichtige Arzneimittel einräumen müssen, wird von 1,77 Euro auf zwei Euro steigen. Das entspreche einer Belastung der bundesweiten 18.000 Apotheken in Höhe von 120 Millionen Euro Jahr (netto).

ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening: „Dies ist ein schwarzer Tag für die Apotheken in Deutschland. Wir haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren der Politik geholfen, die Pandemie zu meistern. Als Dank dafür wird ausgerechnet jetzt, wo die Apotheken wegen Inflation und Energiekrise selbst Hilfe und Entlastung bräuchten, die Vergütung gekürzt. Dabei gab es bis zuletzt finanzielle Spielräume bei der Gestaltung des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes, die Bundesregierung und Parlament einfach nicht für die Apotheken vor Ort nutzen wollten. Um es noch einmal klipp und klar zu sagen: Die Apotheken sind keine Kostentreiber. Unser Anteil an den jährlichen GKV-Ausgaben liegt bei 1,9 Prozent. Seit 2005 ist die Tendenz sinkend. Das sind Fakten, die neben der Politik auch der GKV-Spitzenverband endlich anerkennen muss."

Politik ist in der falschen Richtung unterwegs

Im Hinblick auf die Gesetzgebung in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode sagt die ABDA-Präsidentin: „Die Politik ist in der falschen Richtung unterwegs. Sie muss umkehren und Apotheken entlasten. Dafür werden wir kämpfen. Dass wir das können, haben wir in dieser Woche eindrucksvoll mit den Schwerpunktstreiks in vier Bundesländern gezeigt, an denen sich enorm viele Apotheken beteiligt haben.“

 

Reference: Politik Praxis

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