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RAin Dr. Katharina Talmann zu den Auswirkungen einer aktuellen Entscheidung für die Bewertung von Aufklärungsfehlern

(c) shutterstock.com/nitpicker

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner Entscheidung vom 19. Mai 2020 (Az.: VI ZB 51/19) klargestellt, dass auch Fragen zu Inhalt und Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht Gegenstand eines selbstständigen Beweisverfahrens sein können.

Der Fall

Der antragstellende Patient begehrte von den Antragsgegnern Schadensersatz. Er behauptete anlässlich einer Klinikbehandlung im Juli/August 2013 Behandlungs-, Befunderhebungs-, Diagnose- sowie Aufklärungsfehler. Im selbstständigen Beweisverfahren hatte er beantragt, ein schriftliches Sachverständigengutachten zu einer Reihe von Beweisfragen einzuholen. Gegenstand des Verfahrens waren auch folgende Fragen:

13b) Ob und inwieweit hätte nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen über die in Beweisfrage 13a genannten Risiken sowie über die bei der Antragstellerpartei aufgrund der streitgegenständlichen Behandlung sonstigen eingetretenen Risiken/Komplikationen/Gesundheitsfolgen (vgl. Beweisfrage Ziff. 1) aus medizinischer Sicht aufgeklärt werden müssen?

13d) Ob und inwieweit stellen – nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen – aus medizinischer Sicht die in Beweisfrage 13c aufgeführten Behandlungsmöglichkeiten sogenannte echte Behandlungsalternativen dar, über die die Patientenseite (Antragstellerpartei) hier hätte aufgeklärt werden müssen?

Zu beiden Fragen stellte der Antragsteller eine weitergehende rechtliche Erläuterung für den Sachverständigen in das Ermessen des Gerichtes.

Das erstinstanzlich zuständige Landgericht (LG) Freiburg (Az.: 6 OH 3/16) wies den Antrag auf Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens hinsichtlich der beiden Beweisfragen zurück. Der Antragssteller legte gegen die Entscheidung sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe (Az.: 13 W 23/19) ein, diese blieb allerdings ohne Erfolg. Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit der vom OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde.

Die Entscheidung

Der BGH hat die Rechtsbeschwerde als zulässig und begründet angesehen und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht OLG Karlsruhe zurückverwiesen. Die Erwägungen, mit denen das OLG die Einholung eines Sachverständigengutachtens im selbstständigen Beweisverfahren bezüglich der Fragen, die auf Feststellung des Inhaltes und des Umfanges der ärztlichen Aufklärungspflicht gerichtet waren, abgelehnt hatte, konnten der rechtlichen Überprüfung nicht standhalten.

Damit hat sich der BGH nun der Auffassung in Literatur und Rechtsprechung angeschlossen, die Fragen zu Inhalt und Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht auch im Hinblick auf Behandlungsalternativen im selbstständigen Beweisverfahren nicht als grundsätzlich unzulässig angesehen hat (vgl. OLG Hamburg, 11.10.2016, Az. 1 W 68/16; OLG Nürnberg, 14.03.2017, Az. 5 W 1043/16; OLG Rostock, 01.10.2018, Az. 5 W 32/18; s.a. BGH, a.a.O., Rn. 9 m.w.N.).

Zur Begründung hat der BGH zunächst ausgeführt, dass auch an den medizinischen Sachverständigen gerichtete Fragen zu Inhalt und Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht die Ursache des Personenschadens betreffen und daher in der in § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) genannten Fallgruppe zugeordnet werden können. Nach § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO kann eine Partei, auch wenn ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist, die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass die Ursache eines Personenschadens, Sachschadens oder Sachmangels festgestellt wird.

Der BGH hat insoweit zutreffend klargestellt, dass auch Aufklärungsfehler im haftungsrechtlichen Sinne als Ursache eines Personenschadens in Betracht kommen. Zwar genüge für die Haftung die aufgrund der fehlerhaften Aufklärung unwirksame Einwilligung alleine nicht – die ohne Einwilligung durchgeführte Heilbehandlung müsse für den geltend gemachten Gesundheitsschaden auch ursächlich sein. Ob der Aufklärungsfehler für den geltend gemachten Personenschaden relevant geworden sei, könne der Sachverständige zwar in der Regel nicht abschließend feststellen, weil der Inhalt des Aufklärungsgespräches nicht durch Sachverständigenbeweis zu ermitteln sei. Zudem sei die Beurteilung der ordnungsgemäßen Aufklärung eine juristische Wertung, die nicht dem Sachverständigen obliege und auch nicht Gegenstand des selbstständigen Beweisverfahrens sein könne.

Allerdings könne die Frage, welche Aufklärung im konkreten Fall erforderlich sei und damit die Frage, ob für den Personenschaden ein relevanter Aufklärungsmangel in Betracht komme, nicht ohne die Beurteilung eines medizinischen Sachverständigen beantwortet werden (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 14). Insbesondere Fragen nach konkreten Risiken und Behandlungsalternativen bedürften der Feststellung durch einen Sachverständigen, denn Umfang und Intensität der Aufklärung seien nicht abstrakt festzulegen, sondern an der konkreten Situation und dem konkreten Patienten auszurichten.

Der BGH hat ferner verdeutlicht, dass es sich bei Fragen zum Inhalt der ärztlichen Aufklärungspflicht auch nicht um bloße Vorfragen für die Feststellung einer Haftung wegen Aufklärungsmängeln handelt. Schon zuvor hatte der Senat entschieden, dass ein rechtliches Interesse i.S.d. § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO auch anzunehmen sei, wenn die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen könne, selbst wenn eine abschließende Klärung durch das Gutachten nicht möglich sei und weitere Aufklärung notwendig würde (BGH, 24.09.2013, Az.: VI ZB 12/13 – juris, Rn. 18; s.a. BGH, 21.01.2003, Az.: VI ZB 51/02 – juris, Rn. 14). Diese Voraussetzung sei in der Regel erfüllt. Aufgrund des Sachverständigengutachtens stehe regelmäßig fest, welche Risiken und Behandlungsalternativen aus medizinischer Sicht bei Vornahme der Behandlung bestanden. Daher könnten die Parteien, die regelmäßig eigene Kenntnisse oder Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich des Inhalts des tatsächlich geführten Aufklärungsgespräches haben, in den meisten Fällen beurteilen, ob eine Aufklärung über diese Risiken und Alternativen stattgefunden hat. So könne die Patientenseite entscheiden, ob Ansprüche wegen Aufklärungsfehlern weiterverfolgt werden sollen und die Behandlerseite überlegen, ob eine vergleichsweise außergerichtliche Regelung in Betracht komme.

Sinn und Zweck der prozessualen Beweissicherung – die Entlastung der Gerichte von Prozessen und Förderung der außergerichtlichen Einigung – könne auch durch die Klärung medizinischer Fragen zur Aufklärungspflicht erfüllt werden.

Im selbstständigen Beweisverfahren müssten zwar die Tatsachen, über die Beweis erhoben werden soll, genau bezeichnet werden und dafür einen hinreichenden Bezug zum streitgegenständlichen Sachverhalt aufweisen. Eine rein abstrakte Fragestellung sei unzulässig. Die Frage der Zweckmäßigkeit eines selbstständigen Beweisverfahrens, die im Einzelfall „durchaus zweifelhaft“ sein möge, sei nicht mehr der Frage der Zulässigkeit zu vermengen.

Im vorliegenden Fall zielten die Beweisfragen aber nicht auf eine juristische Bewertung durch den Sachverständigen ab, sondern auf die Feststellung, ob die streitgegenständliche Heilbehandlung aus me­dizinischer Sicht mit bestimmten, näher benannten Risiken verbunden war und die genannten Behandlungsalternativen bestanden. Ein konkreter Bezug zum streitgegenständlichen Sachverhalt war vorhanden, es wurde auf die eingetretenen Risiken, Komplika­tionen und Gesundheitsfolgen abgestellt und Behandlungsalternativen benannt. Die Zurückweisung der Beweisfragen war daher nicht gerechtfertigt.

Kommentar

Die bis zur Entscheidung des Senats herrschende Rechtsunsicherheit zur Frage, ob auch Aufklärungsmängel Gegenstand des selbstständigen Beweisverfahrens sein können, ist nunmehr beseitigt. Ob man die Entscheidung im Ergebnis gutheißen will, ist eine andere Frage. Der Senat hat zwar Sinn und Zweck des selbstständigen Beweisverfahrens zutreffend herausgearbeitet. Die Annahme, dass die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens Gerichte entlastet, dürfte dennoch eher Theorie als Praxis sein. Dass im Anschluss an ein für den Patienten positives Gutachten nicht geklagt wird, wird nur ausnahmsweise vorgekommen. Denn häufig besteht weiterer Streit über den Inhalt des Aufklärungsgespräches und den Umfang des zu ersetzenden Schadens. Faktisch dient das selbstständige Beweisverfahren also eher der Vorbereitung als der Vermeidung eines Gerichtsverfahrens. Da der BGH seine Entscheidung mit Beschluss vom 06.07.2020 (Az.: VI ZB 27/19) bestätigt hat, ist nicht davon auszugehen, dass sich in absehbarer Zeit an der Rechtsprechung etwas ändert.

RAin  Dr. Katharina Talmann, Sindelfingen

Die Autorin ist Rechtsanwältin in der Anwaltskanzlei Ratajczak & Partner mbB, Berlin/Essen/Freiburg i. Br./Meißen/München/Sindelfingen.

Reference: Praxisführung Zahnmedizin Nachrichten

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