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Wesentliche Aspekte zur Durchführung der ersten Zahnarzttermine – wichtig sind regelmäßige Verweise von Kinderarzt zu Zahnarzt


Dr. Julian Schmoeckel

Durch die Einführung rechtsverbindlicher Verweise vom Kinderarzt zum Zahnarzt für Kinder vom 6. bis zum 64. Lebensmonat im gelben Kinderuntersuchungsheft zur Vermeidung Frühkindlicher Karies (Early Childhood Caries – ECC) werden zukünftig wohl mehr Kleinkinder in der Zahnarztpraxis vorstellig. In welchem Ausmaß Eltern mit ihren Kleinkindern bereits wie gewünscht ab dem 1. Milchzahn erscheinen, bleibt abzuwarten. Das zahnärztliche Personal sollte jedoch darauf vorbereitet sein. Die Autoren um Dr. Julian Schmoeckel stellen in ihrem Beitrag für das Quintessenz Team Journal 11/18 wesentliche Aspekte zur Durchführung der frühen zahnärztlichen Untersuchungen bei Säugling und Kleinkind vor. Sehr detaillierte Informationen sind im eigens dafür entwickelten ECC-Ratgeber unter anderem online verfügbar1.

Den Erfordernissen einer modernen Zahnarztpraxis entsprechend, wendet sich das „Quintessenz Team-Journal“ an das gesamte zahnärztliche Team: Zahnärztinnen, Zahnärzte sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von Auszubildenden bis zur Dentalhygienikerin. Neben dem Basiswissen für die Auszubildende sorgen Beiträge aus dem klinischen Bereich für ein Kompetenz-Plus. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.


Anamnese

Die Erhebung der Krankengeschichte sollte neben den Sozialdaten (Beruf/Schulbildung), der medizinischen Anamnese und dem Grund des Besuchs auch das bisherige zahnmedizinisch relevante Gesundheitsverhalten beinhalten:

  • Fluoridnutzung,
  • Putzgewohnheiten,
  • Ernährungsgewohnheiten (Nuckelflasche) und auch Stillen

Abb. 1 Der Anamnesebogen sollte auch Fragen zu Fluoridnutzung, Putzgewohnheiten, Ernährungs- und Trinkgewohnheiten inkl. Stillen enthalten. Ein zahnärztlicher Kinderpass ist bislang in einigen Bundesländern auf freiwilliger Basis verfügbar. (Abbildung: mit freundlicher Genehmigung, J. Schmoeckel)

Daneben können Erwartungen, Lieblingskuscheltier, Ängste etc. erfragt werden. Mit dem Verweis vom Kinderarzt zum Zahnarzt bietet sich insbesondere bei auffälligen Befunden eine Rückmeldung im U-Heft an. Beispielsweise in Rheinland-Pfalz werden die gelben U-Hefte um einen Aufkleber erweitert, damit eine Rückkopplung zwischen Zahnarzt und Kinderarzt leichter gewährleistet werden kann, die im U-Heft primär nicht vorgesehen ist. Bislang war in einigen Bundesländern ein getrennter „Zahnärztlicher Kinderpass“ verfügbar (Abb. 1), der jedoch im Gegensatz zum U-Heft nur auf freiwilliger Basis und daher kaum flächendeckend genutzt wird.

Bei dem initialen Dialog mit der Begleitperson sollten die im Anamnesebogen (Abb. 1) erhobenen Angaben wie die Wünsche und Erwartungen, aber auch mögliche Befürchtungen durchgegangen werden. Die Mundhygiene- und Ernährungsgewohnheiten sowie die häusliche Fluoridnutzung sollten durch offene W-Fragen verifiziert werden. Die Technik der motivierenden Gesprächsführung ist – wissenschaftlich belegt – wirksamer ist als eine reine Mitteilung der Sachinhalte.2 Dabei steht im Vordergrund herauszufinden, ob das Kleinkind regelmäßig insbesondere nachts süße oder zuckerhaltige Getränke um Beispiel über die Nuckelflasche zu sich nimmt und inwieweit die Eltern täglich die Kinderzähne mit fluoridhaltiger Zahnpasta nachputzen.

Zahnärztliche Untersuchung

Kleinere Kinder sitzen oder liegen meist auf dem Schoß der Eltern. Bei Bedarf kann auch kleinen (schüchternen) Kindern eine Orientierungszeit im Behandlungszimmer gegeben werden.

Für die zahnärztliche Frühuntersuchung selbst kann das Kind aus dem Schoß der Erziehungsperson auch in den Schoß des Zahnarztes gekippt werden (Abb. 2). Dabei kann das Kleinkind das Elternteil gut sehen und oftmals öffnet sich der Mund des Kindes reflektorisch. Größere Kinder können dafür mitunter auch schon alleine auf dem Stuhl sitzen beziehungsweise liegen (Abb. 3).

Mundhygienestatus inkl. Anfärben der Plaque

Dentale Plaque lässt sich besser feststellen und für die Eltern visualisieren, wenn sie mittels einer Plaqueanfärbelösung angefärbt wird. Deshalb sollte ein Anfärben des Biofilms idealerweise bei allen Kindern, aber vor allem bei Kindern, die Anzeichen von (Initial-)Karies, Gingivitis oder sichtbarer Plaque zeigen, erfolgen (Abb. 4). Ein wesentlicher Vorteil hierbei ist, dass bei der Mundhygieneins­truktion die angefärbte Plaque viel eindrücklicher durch die Eltern mit der Zahnbürste (Training) entfernt werden kann. Hilfreich ist bei Kleinkindern mit Sprachkompetenz eine Anwendung der Tell-Show-Do-Technik. Hierbei wird ein Gegenstand wie um Beispiel das Wattestäbchen mit der Plaqueanfärbelösung (Abb. 5) und die dazugehörige Tätigkeit kurz erklärt und gezeigt sowie abschließend durchgeführt. So kann nach der Demonstration am Finger des Kindes (Abb. 6) das Anfärben der Zahnbeläge mit „Zauberfarbe“ (Abb. 7) oftmals viel leichter und mit Freude erfolgen.

Putzinstruktion der Eltern

In liegender Position kann das abschließende Zähneputzen, also das erwähnte Nachputzen durch die Eltern, auch sehr gut durchgeführt werden (Abb. 8). Dabei sollte eine Systematik wie KAI (Kau-, Außen-, Innenflächen) beigebracht werden. Zudem ist die sogenannte „lift the lip“-Technik zu zeigen (vgl. Abb. 2), damit vor allem auch die Oberkiefer(front)zähne, die bei ECC meist am schwersten betroffen sind, gut gereinigt werden können.

Nach jedem erfolgreichem Untersuchungstermin sollte das Kind anschließend dafür mit einem kleinen Geschenk belohnt werden (Abb. 9). So wird das Kind den Zahnarztbesuch in positiver Erinnerung behalten.

Prävention und Management Frühkindlicher Karies

Wirksame Maßnahmen zum Erhalt eines gesunden Milchgebisses und zugleich auch zur Inaktivierung von Frühkindlicher Karies sind bekannt3,4:

  • Früherkennung von Ursachen und Symptomen der Frühkindlichen Karies durch regelmäßige Kontrollen beim Kinderzahnarzt ab dem Durchbruch des ersten Zahns.
  • Demonstration des Zähneputzens während der oben genannten Kontrollen durch die Eltern in der Praxis oder um Beispiel auch in Kindertagesstätten5 inklusive helfender Instruktionen.
  • zwei Mal tägliches häusliches Zähneputzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta durch die Eltern:

    - Kinderzahnpasta (500 ppm Fluorid) bei gesunden Milchzähnen und niedrigem Kariesrisiko.

    - Juniorzahnpasta (meist 1.450 ppm Fluorid) ab dem ersten permanenten Zahn oder vorher bei erhöhtem Kariesrisiko (bei ECC der Fall) nach Absprache mit den Eltern, insbesondere wenn das Kind bereits gut ausspucken kann.

  • Professionelle Fluoridapplikationen (fluoridhaltiges Gel oder fluoridhaltiger Lack alters- und risikogerecht im Rahmen der Gruppen- und Individualprophylaxe, Abb. 10b).
  • Keine nächtliche Gabe der Nuckelflasche beziehungsweise Saugerflaschen mit Obstsäften (auch nicht verdünnt), gesüßten Tees oder anderen süßen Getränken (auch nicht zwischendurch als Durstlöscher), das heißt, eine konsequente Getränkeumstellung auf Wasser und ungesüßten Beuteltee bei frühestmöglicher Umgewöhnung auf den Trinkbecher.
  • Ferner ist die Methode der motivierenden Gesprächsführung für eine gelingende kariespräventive Beratung erfolgsversprechend. Anstelle der einfachen Mitteilung der Sach­inhalte wird die intrinsische Motivation zur Zahngesundheit, das heißt, insbesondere zur Mundhygiene, Fluoridnutzung und Ernährung, angesprochen und gestärkt.

Abrechnung

Abgerechnet werden kann diese Untersuchung/Beratung bisher als Beratung (Ä1), Untersuchung (01) oder ab 30. bis 72. Lebensmonat insgesamt dreimal als Früherkennungsuntersuchungen (FU). Im Rahmen des Präventionsgesetzes von 2015, das die Implementierung zusätzlicher Früh­erkennungsuntersuchungen vor dem 30. Lebensmonat ermöglicht, können je nach Region und Krankenversicherung zwei zusätzliche FU zwischen 6. und 30. Lebensmonat erfolgen. Wegen formeller, versicherungsrechtlicher Probleme werden diese zum Teil allerdings wieder zurückgefahren. Dazu sollte der Zahnarzt sich individuell informieren.

Aktuell bestehende Lücke im Gebührenkatalog und Ausblick

In der Individualprophylaxe fehlen derzeit jegliche kariespräventive Maßnahmen im Gebührenkatalog vor dem 30. Lebensmonat, also im Kleinkindalter bis 2½ Jahre, was angesichts der hohen Raten von Frühkindlicher Karies und damit assoziierten Narkosesanierungen bei schweren Fällen für ein hoch entwickeltes Land kaum begründbar ist. Ein in Deutschland erfolgreich getestetes Modell liegt sogar schon vor6: In Jena wurden die Eltern aller Neugeborenen über den kommunalen Öffentlichen Gesundheitsdienst aufgesucht, über allgemeine medizinische und zahnmedizinische Gesundheit beraten und auf die zahnärztliche Individualprophylaxe vom ersten Zahn an aufmerksam gemacht. Das Programm enthielt folgende Elemente:

  • professionelle, regelmäßige zahnärztliche Kontrolle, Beratung zur Prävention und halbjährlicher Recall,
  • Bedeutung von regelmäßigen Besuchen beim Kinderarzt und des Screenings der Kariesentwicklung von kariespräventiven Maßnahmen,
  • Empfehlung zum einmal täglichen Zähneputzen mit Durchbruch des ersten Zahnes unter Nutzung von fluoridhaltiger Kinderzahnpaste (500 ppm F-), ab dem Durchbruch der Milchmolaren zweimal täglich mit einer erbsengroßen Menge Fluoridzahnpasta,
  • Broschüre zum richtigen Zähneputzen in der Muttersprache,
  • Beratung der Mütter zur Bedeutung des Stillens,
  • kostenlose erste Kinderzahnbürste, fluoridhaltige Kinderzahnpasta und Schnuller,
  • Empfehlungen zur Nutzung von Nuckelflaschen und Schnullern,
  • Empfehlungen für eine gesunde Ernährung,
  • Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko wurden zusätzlich vierteljährlich einbestellt und erhielten als einzige Kinder dann Fluoridlackapplikationen (vgl. „Therapeutische Fluoridierung“).

Kinder aus Jena, deren Familien an dem Programm teilnahmen (n = 563), zeigten insgesamt deutlich niedrigere Karieswerte nach fünf Jahren: Und diese Maßnahmen waren besonders bei niedrigem Sozialstatus hochwirksam (0,3 versus 5,6 dmfs). Entsprechende Leistungen sollten damit zügig in die GKV-Regelleistungen des BEMA-Katalogs überführt werden. 

Auf Antrag der KZBV wurde im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) die Einführung der „Therapeutischen Fluoridierung“ von kariösen Initialläsionen im Milchgebiss wissenschaftlich evaluiert, um gegebenenfalls auch für diese sehr kleinen Kinder insbesondere mit erhöhtem Kariesrisiko das Touchieren mit Fluoridlacken wirksam im vertragsärztlichen System zu implementieren. Im IQWiG-Bericht zur Fluoridlackapplikation im Milchgebiss zur Verhinderung von Karies wird geschlussfolgert: „Für den Endpunkt Karies ergab sich für Kinder mit und ohne (initial-)kariöse Läsionen im Milchgebiss ein Hinweis auf einen höheren Nutzen für die Applikation von Fluoridlack im Vergleich zur üblichen Versorgung ohne spezifische Fluoridierungsmaßnahmen.“7. Allein aus wirtschaftlichen Gründen könnte es allerdings geboten sein, wie bei den bisherigen Regelungen zur IP4 bei der FU (Initial)Karies als Auslöser für die Fluoridlacktouchierung festzulegen. Nun bleibt abzuwarten inwieweit diese aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur non-invasiven Kariestherapie beziehungsweise Kariesinaktivierung mit Fluoridlack im Milchgebiss in die Regelversorgung eingeführt werden.

In der Region Pirmasens-Zweibrücken läuft seit 2014 das Pilotprojekt „Frühkindliche Karies vermeiden“ der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) Rheinland-Pfalz, das die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses seit 1. Juli umsetzt. Zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen und Therapeutische Fluoridierungen für Kinder im Alter vom 6. bis zum 29. Lebensmonat (wie beschrieben entsprechend der Verweise im sogenannten gelben Heft) werden in der Region Pirmasens-Zweibrücken bereits angeboten und können von den Zahnärzten abgerechnet werden. Mit diesem zusätzlichen Angebot für die Pilotregion Pirmasens wollen Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) Rheinland-Pfalz und Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV RLP) die zahnärztliche Vorsorge bei Kleinkindern verbessern und die frühkindliche Karies vermeiden. Dieses Pilotprojekt zur Vermeidung Frühkindlicher Karies in Pirmasens-Zweibrücken (Rheinland-Pfalz) wird zurzeit bezüglich seiner Machbarkeit und Akzeptanz wissenschaftlich evaluiert.

Fazit

Durch regelmäßige Verweise der Kleinkinder vom Kinderarzt zum Zahnarzt für adäquate zahnärztliche Untersuchungen und Präventionsempfehlungen schon in diesen frühen Lebensjahren scheint das Ziel, insbesondere die schweren Formen von ECC (Abb. 10) zu vermeiden und ein gesundes Milchgebiss (Abb. 11) für alle Kinder zu gewährleisten, näher zu rücken. Diese gemeinsam erzielten strukturellen Fortschritte sind ein Meilenstein in der zahnmedizinischen Prophylaxe und ein gutes Beispiel für die Innovationsfähigkeit der Zahnmedizin bei einer modernen Versorgung in Deutschland.

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de


Ein Beitrag von Dr. Julian Schmoeckel, Ruth. M. Snatamaria und Christian H. Splieth, alle Greifswald

Reference: Quintessenz Team-Journal, Ausgabe 11/18 Team Zahnmedizin Prävention und Prophylaxe

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