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Ätiologie, Diagnostik, Behandlungsbedarf, Management und Überlebensraten – Blick in die Literatur und Empfehlungen


Dr. André Christoph Weiser

Durch Sekundär- und Tertiärdentinbildung wird das Volumen des endodontischen Systems zeitlebens reduziert. Eine Störung der neurovaskulären Versorgung der Pulpa, beispielsweise durch Traumata, chirurgische oder kieferorthopädische Eingriffe, kann zur irregulären Kalzifizierung führen. Der Beitrag von Dr. André Christoph Weiser und Prof. Dr. Michael Hülsmann aus der Zeitschrift „Endodontie“ 3/2018 fasst das aktuelle Wissen für die Praxis zusammen.

Die wichtigsten Fakten: Weniger als 20 Prozent kalzifizierter Zähne entwickeln innerhalb von 20 Jahren Pulpanekrosen. Nur bei klinischen Anzeichen einer apikalen Parodontitis ist eine Wurzelkanalbehandlung notwendig, die mit dem Risiko von Instrumentenfrakturen, Perforationen und dem Nichterreichen der Arbeitslänge einhergeht. Eine intensive Analyse präoperativer Röntgenbilder, anatomische Landmarken, die Verwendung eines Dentalmikroskops, gute Beleuchtung, Spülung mit Natriumhypochlorit-Lösung und Nickel-Titan-­Instrumente sind bei der Suche nach Wurzelkanaleingängen und der Wurzelkanalpräparation hilfreich. Kalzifikationsbedingte Verfärbungen sind zumeist gelblich. An vitalen Zähnen lässt sich durch ein externes Bleichverfahren in mehreren Durchgängen ein akzeptables Ergebnis erzielen.

Fast jede zahnärztliche Maßnahme tangiert das endodontische System, und jährlich ca. zehn Millionen in Deutschland durchgeführte Wurzelkanalbehandlungen belegen den Stellenwert der Endodontie in der Zahnmedizin. Die Zeitschrift „Endodontie“ hält ihre Leser dazu „up to date“. Sie erscheint vier Mal im Jahr und bietet praxisrelevante Themen in Übersichtsartikeln, klinischen Fallschilderungen und wissenschaftlichen Studien. Auch neue Techniken und Materialien werden vorgestellt. Schwerpunkthefte zu praxisrelevanten Themen informieren detailliert über aktuelle Trends und ermöglichen eine umfassende Fortbildung. Die „Endodontie“ ist offizielle Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Endodontologie und zahnärztliche Traumatologie (DGET), des Verbandes Deutscher Zertifizierter Endodontologen (VDZE) und der Österreichischen Gesellschaft für Endodontie (ÖGE). Abonnenten erhalten kostenlosen Zugang zur Online-Version (rückwirkend ab 2003 im Archiv) und zur App-Version. Mehr Informationen zur Zeitschrift, zum Abonnement und kostenlosen Probeexemplaren im Quintessenz-Shop.


Dentinbildung erfolgt zeitlebens

Zeitlebens wird im endodontischen System Dentin gebildet (Dentinogenese), wobei zwischen Primär-, Sekundär- und Tertiärdentin unterschieden wird. Die Primärdentinbildung dient der Ausbildung von Zahnkrone und Wurzel und ist mit der Zahneruption abgeschlossen. Es folgt die lebenslang andauernde, physiologische Sekundärdentinbildung, die deutlich langsamer und in okklusal-apikaler Richtung verläuft1. Sie führt zur Reduktion des Volumens von Kronen- und Wurzelpulpa sowie zur Bildung von peritubulärem Dentin2 (siehe Abb. 1 und 2). Kommt es zur Reizung der Odontoblasten, wird Tertiärdentin gebildet. Handelt es sich um eine reversible Verletzung der Odontoblasten, sezernieren diese Reizdentin. Gehen die Odontoblasten unter, differenzieren sich aus mesenchymalen Vorläuferzellen odontoblastenähnlichen Zellen, welche Reparaturdentin bilden3,4.

Nach Traumata kann es durch irreguläre Tertiärdentinbildung zur Kalzifikation der Kronen- und Wurzelpulpa kommen. Diese Kalzifikationen sind meist eine Folge von Konkussionen und Subluxationen und treten daher überwiegend an Frontzähnen in Erscheinung5,6. Das Kalzifikationsdentin ist durch eine stark irreguläre Struktur geprägt4,7,8. Kalzifikationen verlaufen generell in korono-apikaler Richtung6. Klinisch kann eine gelbliche Farbe des Zahnes auf eine Kalzifikation hinweisen6, radiologisch lässt sich eine Kalzifikation dadurch erkennen, dass das Kanallumen verengt oder sogar gänzlich obliteriert erscheint9. Auch wenn sich radiologisch ein vollständig obliteriertes endodontisches System zeigt, so bestehen histologisch dennoch Gewebeverbindungen zwischen Kronen- und Wurzelpulpa4. Auch an Milchzähnen können Kalzifikationen auftreten, sowohl im Front- als auch im Seitenzahnbereich10–12. Es wird zwischen partiellen und totalen Kalzifikationen unterschieden13.

Kalzifikationen des endodontischen Systems stellen den Zahnarzt vor eine besondere Herausforderung. Durch den verringerten Durchmesser des Wurzelkanals wird die Kanalpräparation erschwert und das Risiko des Nichterreichens der Arbeitslänge, von Frakturen der Wurzelkanalinstrumente und von Perforationen nimmt zu1,14. 

Im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen die folgenden Fragen:

  • Welche Faktoren begünstigen die Entstehung von Kalzifikationen im Wurzelkanalsystem?
  • Welche diagnostischen Methoden stehen zur Verfügung, um Informationen über Kalzifikationen und zur Kanaldarstellung zu erhalten?
  • Welche therapeutischen Konsequenzen ergeben sich bei vorhandenen Kalzifikationen?
  • Welche Risiken und Besonderheiten gehen mit Kalzifikationen der Wurzelkanäle einher?
  • Welche Prognose haben Wurzelkanalbehandlungen an kalzifizierten Zähnen?

Als Grundlage zur Beantwortung der Fragen dienten die Ergebnisse einer Literaturrecherche über den Zeitraum von Januar 1985 bis Januar 2018. 

Ätiologie und Inzidenz

Als Entstehungsfaktoren einer Kalzifikation werden kieferorthopädische Intrusion, Revaskularisierungstherapie, Glukokortikoidtherapie nach Lebertransplantationen und Pulpotomien an Milchmolaren genannt, die häufigste Ursache stellen aber dentale Traumata dar. 


Tab. 1 Übersicht über Studien zu Kalzifikationen an Zähnen mit Frontzahntrauma.

Dentale Traumata

Vor allem nach Extrusionen, lateralen Luxationen und Intrusionen traumatischer oder kieferorthopädischer Art wurden Kalzifikationen beobachtet. Aus einer Studie von Andreasen15 geht hervor, dass Wurzelkanalkalzifikationen (WKK) signifikant häufiger nach Extrusionen, lateralen Luxationen und Intrusionen entstanden als nach Konkussionen oder Subluxationen. Dabei traten sie vor allem an Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum auf. Ebenso stellten sich starre Schienungen mit kieferorthopädischen Drähten zum Zeitpunkt des Traumas als Ursache für die Entstehung von Kalzifikationen heraus15,16. Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen einer Schädigung der neurovaskulären Versorgung der Pulpa und dem Auftreten von Kalzifikationen. Weiterhin führten Le Fort I-Osteotomien in 2,3 Prozent der Zähne (14 von 617 Oberkieferzähnen bei 51 Patienten) zu Kalzifikationen. Als Grund wurden ebenfalls Änderungen in der Blutversorgung der Pulpa genannt. Eckzähne (6 Prozent) und Prämolaren (4,4 Prozent) waren am häufigsten betroffen17. 

Lee et al.18 untersuchten die Überlebensrate 55 stark extrudierter bleibender Oberkieferinzisivi in 35 Patienten nach durchschnittlich 10,5 Jahren. Eine WKK trat bei 35 Prozent der überlebenden Zähne auf (19 von 54 Zähnen). Davon zeigten 16 Inzisivi noch kein abgeschlossenes Wurzelwachstum. Zähne mit geringgradiger Extrusion (< 2 mm) hatten eine dreifach höhere Neigung zur Entwicklung einer Kalzifikation als Zähne mit starker (> 2 mm) Extrusion, die eher eine Pulpanekrose entwickelten. Nikoui et al.19 fanden Kalzifikationen in 23 von 58 (39,7 Prozent) lateral luxierten Frontzähnen bei 42 Patienten im Alter von 6,3 bis 17,8 Jahren. Weder das Stadium des Wurzelwachstums noch das Ausmaß der lateralen Luxation korrelierten signifikant mit dem Auftreten von Kalzifikationen.

In einer Longitudinalstudie20 mit stark intrudierten bleibenden Inzisivi wurde ein sechsmal höheres Risiko der Kalzifikation bei Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum im Vergleich zu Zähnen mit abgeschlossenem Wurzelwachstum festgestellt. WKK traten insgesamt in 26,7 Prozent der Fälle auf, Pulpanekrosen in 73,3 Prozent.

Pissiotis et al.21 verglichen verschiedene Arten von Frontzahntraumata (FZT), Komplikationen und Therapiearten bei bleibenden traumatisierten Zähnen mit singulärem Trauma und multiplen Trauma­episoden. Es wurden 158 Patienten im Alter von sechs bis 14 Jahren in die Studie eingeschlossen. Zähne mit multiplen FZT entwickelten signifikant häufiger WKK als Zähne mit singulärem FZT. Ferrazzini Pozzi und von Arx22 beobachteten 47 bleibende Frontzähne nach lateralen Luxationsverletzungen. Neun Zähne (24,3 Prozent) zeigten 48 Monate nach der Verletzung Kalzifikationen. Die Sensibilitätsprobe mit Kohlenstoffdioxidschnee fiel bei sechs dieser neun Zähne positiv aus. 

Um histopathologische Veränderungen an Milchzähnen nach Frontzahntrauma zu untersuchen, führten Robertson et al.23 eine Studie an 123 extrahierten Milchzahninzisivi von 98 Patienten (Durch­schnitts­alter zum Zeitpunkt des Unfalls: 3,5 ± 19,7 Monate) durch. Die Zähne wurden histologisch aufbereitet und mit einem Rasterelektronen- und Transmissionselektronenmikroskop untersucht. Intrusionen stellten mit 54 Prozent die häufigste Verletzung dar. In 24 Prozent der Zähne lag keine Obliteration vor, in 41 Prozent umfasste die Obliteration weniger als ¼ des Pulpalumens. 20 Prozent der Zähne wiesen eine Obliteration von ¼ bis ½ des Pulpalumens auf und bei 15 Prozent der Zähne war mehr als die Hälfte des Lumens obliteriert. Nach Intrusionsverletzungen waren stärker ausgeprägte histopathologische Veränderungen zu erkennen als nach Subluxationen und lateralen Luxationen. Hauptbefunde waren: Resorptionen im Dentin und Kalzifikationsdentin, Reparationsdentin, Nekrosen, zellfreies und fibröses Pulpagewebe und fibröses Obliterationsgewebe.

Gomes et al.24 fanden unter 125 stark parodontal geschädigten Unterkieferinzisivi (mehr als 2/3 Knochenverlust) 14 Inzisivi (12,7 Prozent) mit obliterierten Wurzelkanälen.

Störungen der Dentinogenese

Eine Untersuchung25 von 21 Probanden, welche zwölf Verwandtschaftslinien angehörten, legt eine Abhängigkeit des Phänotyps von Dentinogenesis imperfecta (Phänotyp DI-I, DI-II, DI-III) und Dentindysplasie (Phänotyp DD-I und DD-II) von der Lokalisation einer durch Leserasterverschiebung entstandenen Mutation im Dentin-Sialophosphoprotein-Gen (DSPP) nahe. In vier der zwölf Verwandtschaftslinien lagen Obliterationen von Kronen- und Wurzelpulpa in beiden Dentitionen vor. Anhand der Genanalysen wurde gezeigt, dass bei diesen Familien Mutationen in ähnlichen Lokalisationen des DSPP-Gens vorlagen. Die Untersuchung zeigte auch, dass Leserasterverschiebungen in Richtung des C-terminalen Endes mit stärkerer Involvierung der bleibenden Dentition in Zusammenhang stehen. Mutationen in Richtung des N-terminalen Endes (DPP-Region) führten zur Entstehung des Phänotypen DD-II.

Gefäß- und Nierenerkrankungen

247 digitale Panoramaschichtaufnahmen (OPTG) wurden auf eine mögliche Korrelation zwischen Kalzifikationen der Bifurkation der Arteria carotis und der Pulpa überprüft. Eine starke Korrelation zwischen dem Auftreten von Pulpakalzifikationen und Karotiskalzifikationen wurde nicht nachgewiesen26.

Kansu et al.27 fanden in Röntgenbildern von 60 Patienten mit terminaler Nierenerkrankung (29 Dialysepatienten und 31 Patienten vor Nierentransplantation) keinen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Pulpakalzifikationen und Kalzifikationen der Arteria carotis.

Endodontische Therapie

Indikation zur Wurzelkanalbehandlung

Kalzifizierte Zähne sind in 67 bis 79 Prozent an Gelbfärbungen zu erkennen28–30. Alle drei Studien wiesen jedoch darauf hin, dass solche Verfärbungen nicht als reliabler Indikator einer Pulpanekrose zu betrachten seien. Auch die thermische Sensibilitätsprobe an kalzifizierten Zähnen fällt nicht zuverlässig aus und kann daher auch nicht als Indikator für eine Pulpa­nekrose verwendet werden6,31,32. Verlässlichere Ergebnisse lieferte die elektrische Sensibilitätsprobe. Moule et al.33 stützten die Meinung, dass nur im Falle von klinischen Symptomen oder einer im Röntgenbild sichtbaren apikalen Transluzenz eine Wurzelkanalbehandlung erfolgen sollte.

Oginni et al.28 untersuchten Zusammenhänge zwischen klinischen Zeichen und Symptomen, die mit WKK assoziiert sind, und dem PAI-Score dieser Zähne an 226 Zähnen mit Frontzahntrauma. 56,9 Prozent der Zähne zeigten eine partielle, 43,1 Prozent eine totale WKK. Signifikant mehr Zähne mit totaler WKK reagierten negativ auf den Sensibilitätstest als Zähne mit partieller WKK. Die Mehrzahl der Zähne mit partieller WKK (78 Prozent) hatte einen PAI-Score 1. Alle Zähne mit einem PAI-Score ≥ 3 hatten gleichzeitig Symptome wie Schmerzen bei Perkussion, spontan auftretende Schmerzen, Fistelgänge oder Schwellungen. Die Inzidenz von Pulpanekrosen war bei Zähnen mit totaler WKK mit 43,7 Prozent signifikant höher als bei Zähnen mit partieller WKK (14,6 Prozent). Die Autoren teilten die Zähne in drei Gruppen ein: 

Gruppe I: Die Zähne zeigten keine Symptome, einen PAI-Score ≤ 2, reagierten normal oder stark auf den Sensibilitätstest. Es wurde empfohlen, diese Zähne als gesund und damit als nicht therapiebedürftig zu betrachten. 

Gruppe II beinhaltete leicht symptomatische Zähne mit PAI-Scores ≤ 2, normaler, starker oder negativer Sensibilitätsprobe. Die Autoren empfahlen, diese Zähne jährlich zu untersuchen. 

Gruppe III: Zähne mit Perkussionsempfindlichkeit, PAI-Score ≥ 3 und negativer Sensibilitätsprobe. Für diese Zähne wurde eine endodontische Therapie empfohlen. 

Robertson et al.29 rieten von einer prophylaktischen Wurzelkanalbehandlung asymptomatischer bleibender Inzisivi mit Kalzifizierung ab, da im Beobachtungszeitraum von im Durchschnitt 16 Jahren nur 8,5 Prozent der Zähne nekrotisch wurden und die radiologisch basierte 20-Jahres-Überlebensrate bei 84 Prozent lag.

Diagnostik

Kuyk und Walton34 verglichen den radiologischen und den histologischen Durchmesser von Wurzelkanälen an 36 Zähnen menschlicher Leichen. Es wurden zunächst intraorale Röntgenbilder der Zähne angefertigt, dann wurden die Zähne extrahiert und histologisch aufbereitet. In 27 Prozent der histologischen Schnitte fanden sich Kalzifikationen in den Wurzelkanälen, die überwiegend in diffuser Form vorlagen und nicht den gesamten Kanalquerschnitt verlegten. An diesen Stellen war in den Röntgenbildern immer ein Wurzelkanal zu erkennen. Obwohl in sieben Wurzeln radiologisch kein Wurzelkanal erkennbar war, lag histologisch immer ein Kanal vor, der mindestens einen Durchmesser von 0,1 mm aufwies (Abb. 3 und 4).

Khabbaz und Serefoglou35 beschrieben die Anwendung der „Buccal object rule“ zur Auffindung kalzifizierter Wurzelkanäle. Dabei werden eine orthoradiale sowie jeweils eine im 20°-Winkel aufgenommene mesial- und distal-exzentrische Aufnahme angefertigt. Die drei Aufnahmen sollten wiederholt werden, bis der Kanaleingang gefunden wurde.

Yang et al.36 untersuchten den Nutzen digitaler Volumentomographien (DVT/CBCT) für die Behandlung kalzifizierter Wurzelkanäle. Es wurden 13 Zähne mit 16 Wurzelkanälen eingeschlossen, bei denen die Kanalpräparation weder unter normaler Sicht noch unter einem Dentalmikroskop (dental operating microscope, DOM) unter Anwendung von Ultraschallin­strumenten gelang. Die Behandlungen wurden von drei Endodontologen durchgeführt. Mithilfe von DVT, DOM und Ultraschall­instrumenten gelang die Behandlung aller 16 Kanäle. Dabei lagen zwölf Kalzifikationen im ­koronalen und vier im mittleren Kanaldrittel vor.

Zugangskavität

McCabe und Dummer6 diskutierten Vor- und Nachteile der üblicherweise benutzten Technik37–39 zum Anlegen der Zugangskavität an oberen Frontzähnen. Hierzu wird zentral auf der Palatinalfläche des Zahns in einem Winkel von 45° zur Zahnachse eine Bohrung angelegt. Nach 3 bis 4 mm wird die Pulpakammer erreicht, was durch ein Gefühl des „Hereinfallens“ erkennbar ist. Bei kalzifizierten Pulpakammern bleibt dieses „Hereinfallen“ aus, sodass es beim Fortsetzen der Bohrung zur Perforation im zervikalen Bereich kommen kann. Amir et al.37 und McCabe und Dummer6 schlugen daher vor, die Zugangskavität direkt entlang der Zahnachse anzulegen. Dazu muss die Kavität durch die Schneidekante verlaufen. Die Lokalisation der Pulpakammer und damit auch des Kanaleingangs ist somit besser vorherzusagen.

Kanaldarstellung

Das Sondieren der Wurzeloberfläche mithilfe einer Parodontalsonde wurde empfohlen, um Hinweise auf die Morphologie der Wurzel zu erlangen40. Zur Lokalisation der Wurzelkanaleingänge stellt die Schmelz-Zement-Grenze die wichtigste Landmarke dar: Die Pulpakammer ist dort immer in der Mitte des Querschnitts zu finden37,41. O’Connor et al.42 empfehlen daher, während der Präparation der Zugangskavität auf das Anlegen des Kofferdams zu verzichten, um die Wurzelanatomie besser im Blick halten zu können. Johnson43 beschrieb, dass es beim Einbringen von 5 %iger NaOCl-Lösung in die Zugangskavität zum Aufsteigen von Gasbläschen an der Stelle des kalzifizierten Wurzelkanals kommt („Champagner-Effekt“). Auch die Verwendung von Methylenblau zum Anfärben des Kanaleingangs wurde beschrieben6. Mehrere Veröffentlichungen verwiesen auf den Farbwechsel in der Mitte der Wurzel, welcher auf die Position des Kanaleingangs hindeutet33,40. In elf von zwölf Wurzelkanälen von kalzifizierten Zähnen mit apikaler Parodontitis gelang eine Instrumentierung bis auf Arbeitslänge. Bei Zähnen ohne apikale Parodontitis war nur einer von 14 Kanälen ­durchgängig44 (Abb. 5 und 6). 

Moule et al.33 empfahlen die Verwendung rotierender Nickel-Titan-Instrumente zur Darstellung des Wurzelkanaleingangs, helle Beleuchtung und aufmerksames Analysieren der präendodontisch angefertigten Röntgenaufnahmen. Auch Transillumination unterhalb des Kofferdams im zervikalen Bereich des Zahns wurde als wertvolles Mittel zur Kanalauffindung bezeichnet. Das Gefühl des „Klebens“ einer Sondenspitze oder einer Feile auf dem Boden der Pulpakammer gibt die Position des Kanaleingangs an. Die Verwendung von Dentin erweichenden Substanzen bezeichneten Moule et al.33 als nicht effektiv.

Arnold et al.45 beschrieben den diagnostischen Wert der Betrachtung des Pulpakammerbodens bei getrockneter und feuchter Oberfläche. Ein feuchter Pulpakammerboden ermögliche eine gute Darstellung obliterierter Wurzelkanalstrukturen, bei getrockneter Kavität verlege Debris oberflächlich Hohlräume. Diese hellen Einpressungen reflektieren Licht besser und erlauben somit eine gute optische Darstellung.

Arbeitslänge

Tang et al.46 untersuchten den Einfluss der Wurzelkanalanatomie im Hinblick auf das Erreichen der endodontischen Arbeitslänge an 1.005 Wurzelkanälen in 476 Patienten. Kalzifikationen wurden radiologisch nach der Klassifikation der American Association of Endodontists (AAE) eingeteilt. Die Arbeitslänge wurde bei Grad 1 (sichtbare Kanäle ohne Reduktion des Durchmessers) in 92,4 Prozent der Wurzelkanäle erreicht, bei Grad 2 (Kanal und Pulpakammer sichtbar, aber in der Größe reduziert; Dentikel) in 71,1 Prozent und bei Grad 3 (undeutlicher Kanalverlauf; Kanal nicht sichtbar) in 10,8 Prozent. Kalzifikationen hatten damit einen signifikanten Einfluss auf das Erreichen der Arbeitslänge. Mit dem Anstieg der Kalzifikation von Grad 2 zu Grad 3 stieg die Schwierigkeit, die apikale Konstriktion zu erreichen, um den Faktor 7 an. 

Wu et al.31 analysierten die Daten von 332 Patienten (345 Zähne), welche in einem Zentrum für mikroskopische Endodontie behandelt wurden und von Hauszahnärzten überwiesen worden waren. Die endodontische Therapie wurde von Endodontologen unter einem Dentalmikroskop durchgeführt. Als erfolgreich wurden jene Fälle gewertet, bei denen die Instrumentenspitze die apikale Konstriktion erreichte oder in der Röntgenkontrastaufnahme weniger als 2 mm vom radiologischen Apex entfernt war. Insgesamt wurde in 155 von 231 kalzifizierten Zähnen die Arbeitslänge erreicht (67,1 Prozent). Der Anteil an erfolgreich behandelten Wurzelkanälen betrug 74,0 Prozent (310 von 419 Wurzelkanälen).

Cvek et al.32 beschrieben, dass die höchste Rate von Instrumentenfrakturen bei der Wurzelkanalbehandlung an vollständig kalzifizierten Frontzähnen auftrat. Die meisten Komplikationen wurden bei Unterkieferinzisivi festgestellt. Hierbei handelte es sich vor allem um Perforationen. In manchen Fällen kam es bei der Kanalsuche und beim Anlegen der Zugangskavität zu einem enorm hohen Substanzverlust im zervikalen Bereich. Die Prognose für Frontzähne, bei denen zum Zeitpunkt der Behandlung eine Komplikation auftrat, lag über einen Zeitraum von vier Jahren bei 50 Prozent6. 

Prognose kalzifizierter Zähne

Robertson et al.29 untersuchten in einer multizentrischen Studie (Kopenhagen und Göteborg) die Inzidenz von Pulpanekrosen an bleibenden Inzisivi mit traumatisch bedingten Wurzelkanalkalzifikationen. In Kopenhagen wurden 41 Zähne über einen Zeitraum von sieben bis 21 Jahren (durchschnittlich 16 Jahre) beobachtet, in Göteborg waren es 37 Zähne über einen Zeitraum von elf bis 22 Jahren (durchschnittlich 16 Jahre). Insgesamt wurden nur sieben Zähne als nekrotisch diagnostiziert (8,5 Prozent), davon fünf mit totaler und zwei mit partieller WKK. Nach 20 Jahren zeigten noch 84 Prozent der Zähne gesunde periapikale Strukturen. In einem von Oginni et al.28 untersuchten Patientenkollektiv (n = 226) lag die Inzidenz von Pulpanekrosen bei traumatisierten Frontzähnen mit totaler Kalzifikation bei 43,7 Prozent, bei Zähnen mit partieller Kalzifikation bei 16,6 Prozent.

Akerblom und Hasselgren47 untersuchten die Erfolgsquoten von Wurzelkanalbehandlungen obliterierter Zähne. Zähne, die röntgenologisch kalzifiziert erschienen und eine apikale Parodontitis aufwiesen, hatten über einen Beobachtungszeitraum von zwei bis zwölf Jahren eine Erfolgsquote von 62,5 Prozent (10 Kanäle). Die Misserfolgsquote betrug 37,5 Prozent (6 Kanäle). Kalzifizierte Kanäle ohne apikale Parodontitis hatten eine Erfolgsquote von 97,9 Prozent (47 Kanäle), woraus sich schließen lässt, dass kalzifizierte Zähne mit radiologisch erkennbarer apikaler Parodontitis nur partiell kalzifiziert sind und mit hoher Wahrscheinlichkeit bis auf Arbeitslänge instrumentiert werden können (Abb. 7).

In Bezug auf den Erfolg von Wurzelkanalbehandlungen an kalzifizierten Frontzähnen gaben Cvek et al.46 an, dass die Prognose gleich war wie an nicht kalzifizierten Zähnen, sofern es nicht zu Komplikationen wie Perforationen oder Instrumentenfrakturen kam. 

Die Häufigkeit von Pulpanekrosen an Zähnen mit WKK wird in der Literatur unterschiedlich angegeben. In der Untersuchung von Andreasen15 lag sie bei kalzifizierten Zähnen bei 1 Prozent. Bauss et al.48 fanden Pulpanekrosen in 41,9 Prozent der vollständig obliterierten und in 14,7 Prozent der partiell obliterierten kieferorthopädisch behandelten Zähne. Außerdem entwickelten sich während der kieferorthopädischen Therapie vier weitere WKK.

Management kalzifikations­bedingter Verfärbungen

In einer Studie mit 255 Zähnen bei 203 Patienten untersuchten Abbott und Heah49 den Erfolg internen Bleichens mit 35 %igem Wasserstoffperoxid und Natriumperboratpulver in Bezug auf die Ausgangsfarbe, den Grund und den Grad der Verfärbung. Der Bleichvorgang wurde nach abgeschlossener Wurzelkanalbehandlung durchgeführt. Gründe für Verfärbungen waren Traumata (58,8 Prozent), Pulpanekrosen (13,7 Prozent), Wurzelkanalkalzifikationen (3,6 Prozent) und Werkstoffe, die bei vorherigen Wurzelkanalbehandlungen eingesetzt wurden (23,9 Prozent). Die Verfärbungen wurden in grau, schwarz, hellgelb und dunkelgelb eingeteilt. Es wurden mehrere Bleichvorgänge durchgeführt, bis die vom Patienten gewünschte Farbe erreicht war. Zur Aufhellung kalzifikationsbedingter Verfärbungen waren die meisten Bleichdurchgänge notwendig, mehr als die Hälfte dieser Verfärbungen benötigte drei Anwendungen. Traumatisch bedingte Verfärbungen, zumeist grau oder hellgelb, ließen sich in 62,7 Prozent der Fälle in nur einer Sitzung zu einem befriedigenden Ergebnis aufhellen.

Schlussfolgerungen

Die Entstehung von Kalzifikationen des Wurzelkanalsystems wird durch verschiedene Faktoren begünstigt, am häufigsten sind Frontzahntraumata die Ursache. Therapieverfahren wie die kieferorthopädische Intrusion oder die Revaskularisation können ebenfalls zur Bildung von Kalzifikationen führen.

Bei klinischen und röntgenologischen Anzeichen einer apikalen Parodontitis ist eine Wurzelkanalbehandlung notwendig. Symptomlose und radiologisch unauffällige kalzifizierte Zähne sind als gesund zu betrachten und bedürfen daher keiner prophylaktischen Wurzelkanalbehandlung. 

Die Röntgendiagnostik ist von entscheidender Bedeutung für eine erfolgreiche Therapie kalzifizierter Kanäle. Auch Zähne, die radiologisch komplett obliteriert erscheinen, beinhalten unter Umständen Pulpagewebe und können somit endodontisch therapiert werden. Dabei kann die dreidimensionale Bildgebung (DVT) zusätzliche nützliche Informationen bei der Kanalsuche liefern. 

Eine gute Beleuchtung und die Verwendung eines Dentalmikroskops sind hilfreich, um Farbunterschiede im Dentin zu erkennen und somit Kanaleingänge besser identifizieren zu können.

Bei der Präparation kalzifizierter Wurzelkanäle besteht ein erhöhtes Risiko, dass die Arbeitslänge nicht erreicht werden kann. Perforationen und Instrumentenfrakturen stellen weitere Komplikationen dar.

Durch Kalzifikationen entstandene Verfärbungen sind zumeist dunkelgelb. Verschiedene Bleichverfahren führen oft zu ästhetischen Verbesserungen. 

Auf der Basis der ausgewerteten Publikationen lässt sich keine Aussage zur Prognose von Wurzelkanalbehandlungen an kalzifizierten Zähnen treffen. Die Prognose eines komplikationslos wurzelbehandelten Zahnes mit Kalzifikationen entspricht der eines nicht kalzifizierten Zahnes.

Kalzifizierte Zähne haben ein erhöhtes Risiko, Pulpanekrosen zu entwickeln. Kieferorthopädische Kräfte können die Entwicklung von Pulpanekrosen begünstigen.

Ein Beitrag von Dr. med. dent. André Christoph Weiser, Düsseldorf, und Prof. Dr. med. dent. Michael Hülsmann, Göttingen.

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de


Titelbild: An Zahn 36 ist kein Wurzelkanal zu erkennen. Der Zahn zeigt eine apikale Transluzenz. (Quelle: Weiser/Hülsmann, Kalzifikationen des endodontischen Systems. Endodontie 3/2018)
Reference: Endodontie, Ausgabe 3/18 Endodontie

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