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„Haltet durch!“ – 36. Berliner Zahnärztetag mit dem Fokus Zahnerhaltung überzeugte mit Vielseitigkeit und Praxisbezug

Zeigten sich rundum zufrieden mit dem gelungenen Kongress: Dr. Juliane von Hoyningen-Huene, Dr. Karsten Heegewaldt und Prof. Dr. Sebastian Paris (von links) zum Abschluss am Samstagnachmittag im Berliner Quintessenz-Studio.

(c) Bild: Quintessence News/Heinzen

Eine geballte Ladung Wissen für jede Praxis, direkt zum Anwenden und auch zum Nachdenken – das konnten die knapp 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des diesjährigen Berliner Zahnärztetags am 11. und 12. März 2022 aus den Online-Sessions mitnehmen.

Lebenslange Zahnerhaltung ist möglich – die Auswahl aus den zur Verfügung stehenden Mitteln aber ändert sich je nach Lebensalter und Situation der Patienten. Und auch die Mittel und die Therapieziele haben sich verändert, gerade im Verständnis und in der Therapie der Karies. Aktive oder inaktive Karies, (minimal-)invasiv tätig werden? Und mit welchen Mitteln? Oder die Karies nur arretieren, und womit? Diese Fragen, zu denen es neue Konsensuspapiere aus der Wissenschaft gibt, zogen sich durch fast alle Unterthemen der Zahnerhaltung, die an den beiden Tagen diskutiert wurden.

Zum Auftakt des Kongresses begrüßte der Berliner Kammerpräsident Dr. Karsten Heegewaldt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit nachdenklichen Worten zum Krieg in der Ukraine. Er appellierte an alle, die Hilfsaktionen für die Menschen in der Ukraine und die von dort Geflüchteten zu unterstützen. Mit Blick auf die spezielle Situation in Berlin, wo sehr viele Geflüchtete ankommen und betreut werden, bat er die Berliner Zahnärztinnen und Zahnärzte, diesen Menschen auch bei zahnmedizinischen Problemen schnell und unbürokratisch zu helfen.

Unter der Wissenschaftlichen Leitung von Dr. Juliane von Hoyningen-Huene und Prof. Dr. Sebastian Paris, Charité, ging es dann unter dem Oberthema „Haltet durch! Gesunde Zähne ein Leben lang“ auch direkt auf die Reise durch die Lebensphasen und Herausforderungen der Zahnerhaltung.

„Unser System und alle Beteiligten versagen im Milchgebiss“

Die erste wissenschaftliche Session stand im Zeichen der Kinderzahnheilkunde. Prof. Christian Splieth von der Uni Greifswald beleuchtete schlaglichtartig den aktuellen Stand und die Perspektiven einer zukünftigen Kinderheilkunde. So gut und erfolgreich die zahnärztliche Prophylaxe in der Schule greift, so schlecht ist die Situation bei den nicht schulpflichtigen Kindern. Da der Kindergartenbesuch nicht verpflichtend ist und Plätze dort eher knapp, werden gerade Kinder sogenannter Problemfamilien weniger vertreten sein, obwohl sie von Früherziehung zu Mundhygiene und Prophylaxebesuchen am meisten profitieren würden.
Der 2016 erstmals erfasste DMFT-Wert bei Dreijährigen von 0,48 klingt gut, offenbart jedoch bei 86 Prozent kariesfreien Dreijährigen, dass die Betroffenen im Durchschnitt vier kariöse Zähne haben, in den meisten Fällen Nuckelflaschenkaries. Schon hier konzentriert sich das Kariesgeschehen auf eine kleine, gefährdete Gruppe mit hoher Kariesaktivität.

„Trainieren Sie die Eltern“

Splieths Empfehlung: „Trainieren Sie die Eltern“. Und diese nicht am Modell oder am Kiefermodell – sie müssen ran ans Kind und in der Praxis Zähneputzen. Hier kann man gezeigt werden, wie man mit Zahnbürste-Saugen oder geschlossenen Lippen umgeht, ohne dass es zu „Kampfhandlungen“ kommen muss. Splieth erteilte 500-ppm- und fluoridfreien Zahnpasten in einem Atemzug eine Abfuhr und empfahl das Putzen mit einer 1.000-ppm-Zahnpasta vom ersten Zahn an, erst reiskorn- und ab dem 2. Lebensjahr erbsengroße Menge entsprechend den neuen Empfehlungen zur Kariesprophylaxe mit Fluorid.

Arretieren statt eliminieren – neue Wege der Kariestherapie

Nun ist sie da die Karies – was tun? Der Milchzahn ist relativ ungeeignet für eine Füllungstherapie: Geringere Säureresistenz, wenig Dentin, große Pulpa und bei Milchmolaren ein dicker Bauch mit starkem Einzug zum Zahnfleischrand. Sobald ein bisschen Karies dort ist, kann eine approximalen Stufenpräparation nicht mehr gelingen, ohne die Pulpa zu verletzen „Die Füllung ist oft der Pulpentod!“. Den Füllungen ist auch kein langes Dasein beschieden: Sekundärkaries als häufigster Grund für Füllungsverluste zeigt, dass meist das Kariesmanagement versagt. Splieths Strategie: „Die Karies inaktivieren und hoffen, dass die Pulpa die Kurve kriegt.“ Denn auch Milchzähne bilden Tertiärdentin und die Pulpenhörnchen ziehen sich zurück.

Silberdiaminfluorid ist effizient und noninvasiv

Für den Kinderzahnheilkundler ist die Karies ein chronischer Prozess des Mineralverlustes, den es zu stoppen gilt – und hier bieten sich neue Techniken ohne Kariesentfernung an: Sehr effizient und noninvasiv ist die Behandlung der kariösen Läsion mit Silberdiaminfluorid, der einzige Nachteil ist, dass sich die behandelten Bereiche schwarz verfärben. Auf diese Therapie sollte jedoch als Alternative zu einer Narkosebehandlung hingewiesen werden. Diese schmerzfreie Behandlung kann die Compliance erhöhen: „Wenn man Freunde geworden ist, kann eine zahnfarbene Versorgung ohne Narkose angedacht werden“, die für Splieth reine Ästhetik und sehr aufwendig ist. Ebenfalls der regelmäßige Recall, bei dem nur kontrolliert wird und Eltern und Kind weiter in häuslicher Zahnpflege geschult werden, ist ein wichtiges Instrument des Kariesmanagements.

Hall-Technik besser als Füllungstherapie

Eine weitere Option ist die Hall-Technik mit Stahlkronen im Seitenzahnbereich als noninvasive, schmerzfreie und sichere Methode, mit sechsmal höheren Erfolgsaussichten als die Füllungstherapie. Mit der Hall-Technik versorgt Splieth auch Zähne nach Pulpotomie. Diese Therapien sind hervorragende Möglichkeiten, Patienten ohne Compliance behandeln zu können und daher auch zum Beispiel in der Alterszahnheilkunde und/oder dementen Patienten eine gute Option. Als minimale Sedierung arbeitet Splieth mit Lachgas, bei Extraktionen oder bei Behandlungen, bei denen viel gemacht werden muss. Zur Qualitätssicherung der Behandlung unter Lachgassedierung bietet die DGKiZ eine Lachgaszertifizierung an.

Kariestherapie mit Silberdiaminfluorid oder Silbernitrat

Die nicht-invasive Kariestherapie mit Silbernitrat oder Silberdiaminfluorid stellte Dr. Ulrike Uhlmann im nächsten Beitrag näher vor. Die nichtinvasive Kariestherapie rückt vor allem bei der Behandlung von unkooperativen (Klein-) Kindern zunehmend auch bei allgemeinzahnärztlich tätigen Kollegen in den Vordergrund. Kontraindikationen sind eröffnete Pulpa, schmerzende, fistelnde Zähne, ulzerierende Gingivitis, aphtöse Stomatitis. Genauso wichtig wie die akute Behandlung ist auch Uhlmann die Mitarbeit der Eltern: „Je atraumatischer die Behandlung ist, umso wichtiger ist die Elterncompliance!“, die auch regelmäßig zu überprüfen ist.
Eine altbewährte Methode, Karies sehr zuverlässig zu arretieren, ist die Anwendung von Silbernitratlösung oder Silberdiaminfluorid. Wichtig als Off-Label-Produkt in Deutschland ist die Aufklärung, so Uhlmann. Silberdiaminfluorid (SDF) wirkt bakterizid, inhibiert das kariogene Biofilmwachstum, reduziert den Mineralverlust in Schmelz und Dentin, inhibiert das Herauslösen von Kalzium, bildet säureresistentes Fluorapatit und inhibiert Collagenasen, schützt also auch das Dentin. Einziger Nachteil: die schwarze Farbe.

Sparsam verwenden, andere Gewebe schützen

In der Praxis rät Uhlmann zur äußerst sparsamen Verwendung „ein Tropfen pro Molar genügt!“ und zur Vorsicht, da sich auch Weichgewebe (Mundschleimhaut, Lippen) sofort und nachhaltig verfärben, auf Oberflächen ist die Verfärbung sogar irreversibel. Approximale Läsionen bearbeitet Uhlmann mit Superfloss, das zwischen die Zähne justiert und gekürzt wird, dann wird SDF auf den flauschigen Teil aufgetragen und zieht sich in die Approximalregion. Auch hier wichtig: Die Abdeckung mit Vaseline und/oder Fluoridlack und der Recall.

Kostengünstiger (da keine Kassenleistung) und ressourcenschonender als Fertigpräparate wie zum Beispiel Riva Star ist die Variante Silbernitratlösung und Fluoridlack, die Lösung kann in der Apotheke angemischt werden. Bei alleiniger Anwendung ist SDF keine funktionelle Rehabilitation, daher sprach sich die Referentin dafür aus, die Defekte nach sicherer Kariesarretierung zu verschließen. Wichtig auch für Uhlmann: Die Eltern: Sie sind aufzuklären, zu schulen und auf den Recall einzustimmen. Für sie ist SDF eine atraumatische Technik, die bei fehlender Compliance ermöglicht, die Kuh vom Eis zu holen.

Neues Kariesmanagement bei Erwachsenen

Der nächste, von Prof. Paris moderierte Vortragskomplex widmete sich der restaurativen Zahnheilkunde und dem Kariesmanagement. Zunächst ging es um CAD/CAM: Was leisten chairside gefertigten Inlays in der Praxis? Mit Dr. Gertrud Fabel MSc, aus München zugeschaltet, gab eine mit dem System und den Materialien sehr erfahrene Referentin einen Überblick über die Materialien und die Vorteile, aber auch Herausforderungen bei der Arbeit mit solchen Systemen in der Praxis. Sie empfahl in ihrem kleinen Materialüberblick klinisch und in Studien bewährte, ältere Materialien.

Es komme für den langfristigen Erfolg aber nicht nur auf das Material, sondern auch auf die adäquate Präparation an – gefräste Restaurationen benötigen abgerundete Präparationskanten, die auf die Geometrie der Schleifer passen. Und nicht zuletzt muss die Indikation sorgfältig gestellt werden. Die neuesten Versionen des Cerec-Systems erlaubten heute einen deutlich breiteren Einsatz über die reine Chairside-Prothetik hinaus. Aber ohne eingespieltes Team gelinge auch hier nichts.

Das neue Kariesmanagement bei Erwachsenen

Der zweite Vortrag rüttelte erneut an den Festen der Kariestherapie. Prof. Dr. Falk Schwendicke, Charité, lieferte den theoretischen Unterbau und die daraus resultierenden diagnostischen und therapeutischen Konsequenzen für das Kariesmanagement bei Erwachsenen. Die internationalen Fachgesellschaften und Gremien European Organisation for Caries Research (ORCA) und die European Federation of Conservative Dentistry (EFCD) inklusive der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) haben 2019 in einem Konsensusprozess Empfehlungen zum Kariesmanagement für Kinder, Erwachsene und Senioren erarbeitet. Grundlage waren mehrere systematische Reviews; die Empfehlungen wurden im Juni 2019 in einem Experten-Workshop diskutiert und mittels eines sogenannten „e-Delphis“ finalisiert (zusammenfassende Beiträge dazu in den zm, Jahrgang 2020, aktuelle Einzelbeiträge in der Quintessenz Zahnmedizin, Suchbegriff „Kariesmanagement“).

Die Restaurationsspirale hinauszögern

„Karies ist keine Kinderkrankheit“, so Schwendicke, vielmehr sei die Kariesaktivität in allen Altersgruppen gegeben, aber in anderer Form, zum Beispiel als Wurzelkaries bei Senioren. Im Sinne des Zahnerhalts sei es grundlegend, die Restaurationsspirale möglichst lange zu strecken und präventiv/minimalinvasiv zu bleiben. Er stellte wie andere Referenten die Frage, ob die oft genannte Sekundärkaries nicht vielmehr häufig ein neuer kariöser Defekt sei.
Eine inaktive Karies sollte grundsätzlich belassen und präventiv in einem Gesamtkonzept (Mundhygiene, Ernährungslenkung, Fluoridapplikation, Monitoring) behandelt werden. Dies gilt auch für oberflächliche aktive kariöse Läsionen, die bei Hochrisikopatienten gegebenenfalls mit micro-invasiven Maßnahmen wie Versiegelung und Infiltration behandelt werden können. Müsse invasiv behandelt werden, weil die Karies fortgeschritten sei, seien adhäsive Restaurationen mit minimal-invasiver Präparation zu bevorzugen. Für die Abkehr von der immer invasiven Kariestherapie zu diesem neuen Therapiekonzept sei aber auch die Standespolitik und die Erstatter gefordert, diese neue Kariestherapie auch zu honorieren.

„Die Wurzelkaries ist die Karies des Alters“

„Die Wurzelkaries ist die Karies des Alters“, legte Professor Paris als Mitautor und Akteur des Konsensuspapiers in seinem Vortrag in der letzten Session am Freitag nach. Die demographische und epidemiologische Entwicklung sei klar, der sogenannte Altenquotient steige auch in Deutschland deutlich an, damit auch die Zahl der älteren Patienten – mit immer mehr eigenen Zähnen – in den Praxen. Karies sei eine multifaktorielle Erkrankung, und gerade im Alter veränderten sich sehr viele dieser Faktoren negativ – mehr kariogene Ernährung, eine im Alter reduzierte Wirtsabwehr, parodontaler Abbau mit mehr Flächen, die gereinigt werden müssen, reduzierter Speichelfluss, reduzierte manuelle Fähigkeiten für die Mundhygiene etc. Allerdings fehle es an Evidenz für geeignete Maßnahmen, die an die besonderen und bei jedem Patienten sehr unterschiedlichen und sich rasch verändernden Bedingungen des Alters angepasst werden müssten. Mitunter sei der Verzicht auf den Zahnerhalt und die Extraktion kritischer Zähne eine mit Blick auf die Gesamtgesundheit des Patienten bessere Entscheidung.

„Wir müssen individuell schauen, was beim Patienten geht und was er braucht“, so Paris. Pauschale Empfehlungen seien daher schwierig. Grundsätzlich biete sich aber das an, was auch zum Beispiel bei Kindern angewendet wird: Inaktive Karies belassen, Plaquekontrolle verbessern und hoch dosierte Fluoridpräparate einsetzen, bei aktiven Läsionen Silberdiaminfluorid einsetzen, ggfs. Infiltrationstherapie, bei invasiven Füllungen zu weniger techniksensitiven Materialien greifen.

In der aufsuchenden Betreuung vom Patienten aus denken

Wie die aufsuchende Betreuung für Menschen aussehen kann, die eine Zahnarztpraxis nicht mehr besuchen können, zeigte anschaulich und mit großer Empathie Dr. Kerstin Finger. Sie ist seit 2009 in der nördlichen Uckermark auch mobil als Zahnärztin unterwegs. Dabei geht es nicht nur um pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren, auch jüngere Menschen können wegen schwerer Erkrankungen Zahnarztpraxen nicht mehr aufsuchen. Wie groß der Bedarf an aufsuchender Betreuung im häuslichen Umfeld ist, machte sie an demografischen Zahlen und der DMS V deutlich. 80 Prozent der Menschen mit Pflegegrad würden zuhause betreut.

Beantworteten zum Abschluss ihrer Session gemeinsam im Studio die Fragen des Publikums: Prof. Sebastian Paris, Dr. Kerstin Finger, Dr. Juliane von Hoyningen-Huene und Dr. Jürgen Brandt, LZK Berlin (von links).
Beantworteten zum Abschluss ihrer Session gemeinsam im Studio die Fragen des Publikums: Prof. Sebastian Paris, Dr. Kerstin Finger, Dr. Juliane von Hoyningen-Huene und Dr. Jürgen Brandt, LZK Berlin (von links).
Bild: Quintessence News

Je höher der Pflegegrad, desto höher auch der zahnärztliche Betreuungsbedarf – auch das zeigt die DMS V. Der Pflegegrad allein sage aber nichts über die Behandlungsfähigkeit. Problematisch seien vor allem demenzielle Erkrankungen, die eine Kommunikation und Compliance erschwerten. Und alle neurodegenerativen Erkrankungen verminderten oft drastisch die motorischen Fähigkeiten der Betroffenen, gerade Parkinson. Um einschätzen zu können, wie weit ein Patient behandelt werden kann, hat die Deutsche Gesellschaft für Alterszahnmedizin sogenannte Belastbarkeitsstufen entwickelt.

Wer Patienten aufsuchend betreue, müsse als Zahnarzt seinen Denkansatz umkehren und viel stärker vom Patienten aus denken. Und dann die mögliche Behandlung auch aus der Praxis organisieren. Finger erinnerte an den Begriff der Sorgeethik, aber auch daran, dass der Patient ein Recht auf eine zahnmedizinische Behandlung habe, denn er sei dafür versichert.

Endo – und dann?

Der Samstagmorgen startete mit dem tiefgehenden Thema Endodontie. Dr. Kerstin Bitter diskutierte das 2021 erschienene Positionspapier zur Restauration endodontisch behandelter Zähne der Europäischen Gesellschaft für Endodontie. Diese Zähne versagen oft durch unzureichende Aufbereitung, unzureichende Desinfektion mit anschließender apikaler Parodontitis oder eine unzureichende Deckfüllung. Auch massive Stiftaufbauten können destabilisierend wirken. Grund ist  die Reduktion ungebundenen Wassers im Dentin durch die Wurzelkanalbehandlung (WKB) und NaOCl, sie beeinflussen die viskoelastischen Eigenschaften des Zahns. Ausschlaggebend für die Destabilisierung ist der Verlust intakter Zahnsubstanz.

Zur Versorgung von Seitenzähnen haben sich höckerfassende Restaurationen innerhalb von vier Monaten und intakte Restaurationsränder als signifikant für das Überleben der Zähne herausgestellt. Auch der Ferrule-Effekt sollte stets beachtet und genutzt werden, dafür wird allerdings auch wieder Zahnhartsubstanz geopfert. Bei zu tiefen Kronenfrakturen (vor allem in der Front) kann durch forcierte Extrusion genug Zahnsubstanz für eine Präparation mit Ferrule-Effekt „herangezogen“ werden. Der Zahn ist während der Retensionsphase für mehrere Wochen an den Nachbarzähnen zu fixieren, währenddessen kann die Wurzelkanalfüllung erfolgen. Bei Dentin Cracks (Rissen im Dentin) ist ebenfalls eine höckerfassende Restauration wichtig, einschränkend für die Prognose ist eine erhöhte Sondierungstiefe am Crack. Eine solche Restauration zeigt in Studien eine Sechs-Jahres-Prognose von 90 Prozent. Ungünstig sind endständige Zähne mit wenig Approximalkontakt, wichtig hier: höckerfassende Restauration, Okklusion prüfen!

Kronen mit besseren Überlebensraten

Allgemein zeigen Kronenrestaurationen, vor allem Einzelkronen mit 92 Prozent höhere Überlebensraten als direkte Kompositrestaurationen. Alternativ zeigt die Endokrone weniger Substanzverlust, geringere Stresskonzentrationen im Dentin vor allem bei Molaren höhere Überlebensraten, wichtig ist die adhäsive Befestigung. Wurzelkanalstifte sieht Bitter eher bei equigingivalen Defekten, bei hohem Substanzverlust vor allem im Front- oder Prämolarenbereich, hier auch als Retensionsfläche für die koronale Restauratione unter Verzicht auf die Stiftbohrung. Die Präparation erfordert weiteren Substanzverlust vor allem des für die Flexibilität wichtigen inneren Dentins. Bei Revisionsbehandlungen eher Stift rausnehmen, warme Versorgung ohne neuerliche Präparation anwenden.

Pulpotomie – eine fast vergessene Option

Die Pulpotomie als Option vor der Pulpektomie stellte Endodontologie Dr. Jörg Schröder vor.  Sie beinhaltet die Entfernung des koronalen potenziell infizierten Anteils der vitalen Pulpa mit dem Ziel, das apikale Pulpagewebe zu erhalten. Es ist geradezu erstaunlich, wie hoch mit 90 Prozent nach 5 Jahren die Überlebensraten von Zähne mit Pulpotomie gegenüber denen mit kompletter Pulpektomie mit direkter Überkappung sind. Patientenfälle nach Trauma im Frontzahnbereich mit Pulpaeröffnung bei einem 8-jährigen Patienten zeigten eindrucksvoll welch vitales Potenzial selbst ein kleiner apikaler Pulpenrest noch haben kann: Der Zahn war noch zu weiterem Wurzelwachstum imstande. Schröder verwendet zur Abdeckung MedCem, Vorteil ist, das das Material kein Bismutoxid, sondern Zirkonoxid enthält, was die Verfärbungsgefahr deutlich minimiert. Auch bei externen Resorptionen ist die Pulpotomie eine Option, um Zeit zu gewinnen.

Klinisch empfiehlt Schröder folgendes Vorgehen: Lokalanästhesie, Kofferdam, Entfernung von ca. 2 mm koronalem Pulpagewebe, rotierend, hochtourig mit sterilem diamantiertem Instrument (Zylinder oben abgerundet). Bei zu starker Blutung Amputation weiter apikal verlagern, Blut mit steriler Kochsalzlösung entfernen, Reinigen mit NaOCl (bis 5 Prozent), Trocknung mit sterilen Tupfern, Koagulumbildung vermeiden, Abdeckung nit CaOH2 oder Trikalziumsilikatzementen, Bakteriendichter Verschluss mit ZnO-Eugenol oder GIZ, darüber adhäsiver Verschluss. Den Teilnehmern gab Schröder folgendes mit: Es bestehen hohe Erfolgschancen von mehr als 90 Prozent für die Vitalerhaltung der Pulpa bei partieller Pulpotomie traumatisch geschädigter Zähne, direkte Überkappung nur bei kleinflächiger Pulpenexposition kurz nach Trauma, auch bei kariös bedingter Pulpenexposition partielle Pulpotomie bessere Prognose als volle Pulpotomie, Trikalziumsiliktzemente besser als CaOH2, adäquate Vergrößerung verwenden.

Kein Drama bei Trauma

Den Dos and Don´ts bei der Erst- und Weiterversorgung nach Trauma im Milchzahngebiss widmete sich Dr. Rebecca Otto. Die meisten Traumapatienten sind zwischen 2 und 3 Jahren, meist ist die Oberkieferfront betroffen. Wichtig ist: Ruhe bewahren, Eltern einbeziehen, für ein ruhiges Setting sorgen. Für die Eltern ist es beunruhigend, wenn ihre Kinder aus dem Mund bluten, am besten kümmert sich jemand um das Kind, versorgt es mit Kühlpad oder Wasserlutscheis und der Elternteil füllt den Anamnesebogen aus, der auch Fragen nach Tetanus oder Bewusstlosigkeit enthalten sollte.

Bei der Untersuchung geht man von Extraoral nach intraoral vor (Blutungen, Pupillenreflex), untersucht erst den unverletzten Kiefer und tastet Weichgewebe wie Lippen nach Fragmenten ab. Zum Schluss kommt man zur Verletzung selbst. Das Ganze bei kleinen Kindern im Schoßexamen, Kind sitzt bei Mutter auf dem Schoß und legt den Kopf in den Schoß des gegenüber sitzenden Behandelnden. Die Mutter hält Hände des Kindes und fixiert mit den Armen die Füße. Diagnostisch ist abzuklären, ob Frakturen mit oder ohne Pulpa vorliegen, Kontursion, Subluxation, Extursion oder Avulsion. Darüber hinaus ist zu beachten, ob die Verletzung zum Hergang passt oder eventuell eine Folge von Misshandlungen sein kann.

Therapeutisch steht, so Otto, der Schutz des Zahnkeims im Vordergrund, die Therapie ist oft sehr individuell, da sie auch stark von der Compliance des Kindes (und der Eltern) abhängt. Die Eltern sind in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen, Frontzähne verfärben sich oft, werden zu 90 Prozent aber wieder heller, eine Wurzelbehandlung ist oft nicht nötig. Auch Otto ist für zurückhaltende, wenig invasive Behandlung, dafür intensive Kontrolle des Heilungsverlaufs und Abklärung durch Röntgen.

Checklisten und Fließdiagramme

Die Versorgung von Traumaverletzungen war das Thema von Dr. Sascha Herbst, der sich vielen Ausführungen der Vorredner anschloss. Für Herbst ist „Replantieren immer eine Option, Explantieren kann man immer noch.“ Als Charite-Arzt mit vielen Kollegen arbeiten sie mit Checklisten und Flow Charts als gute Entscheidungshilfe in Notsituationen. Wichtig ist ihm ebenfalls die Anamnese, hier auch Epilepsie, Aufklärung der Eltern, Dokumentation, und nach der Behandlung eine regelmäßige Kontrolle sowie das Konsil mit den Kollegen.

Wie sah der Zahn vorher aus?

Die direkte ästhetische Rehabilitation nach Frontzahntrauma mit Komposit stellte ZÄ Anne Bandel vor. Hilfreich ist, die anatomischen Prinzipien Winkelmerkmal, Kontur und Kanten zu beachten, die Breitenverhältnisse in der Front mit einzubeziehen und bei Frakturen die Kontinuität der Kantenlinien wieder herzustellen. Wenn man den Aufbau in Dentinmasse zur Hälfte die natürliche Schmelzschicht bedecken lässt, verschwindet der Übergang von Restauration zu Zahn. Mit vielen praktischen Tipps wurden die Teilnehmer in die Mittagspause entlassen.

Einen echten Amalgamersatz gibt es nicht

Auch der Nachmittag des zweiten Kongresstags hatte es noch einmal in sich. Prof. Dr. Reinhard Hickel rollte vor dem wissenschaftlich-klinischen Hintergrund auf, welche Alternativen sich für Amalgam angesichts des weltweit und in der EU beschlossenen Phase-down, also dem Ausschleichen aus der Verwendung des quecksilberhaltigen Füllungsmaterials in der Zahnmedizin, bieten. Seine Reise durch Materialklassen, Studien und neue Produkte illustrierte er übrigens zur Auflockerung mit faszinierenden Tierfotos, die er auf Reisen durch Afrika selbst gemacht hatte.

Einen echten Amalgamersatz gibt es nach wie vor nicht, so Hickel, aber doch einige gut bewährte Alternativen. So kostengünstig, einfach und vergleichsweise wenig techniksensitiv wie Amalgam seien diese allerdings nicht. Grundsätzlich gelte es heute (anders als beim klassischen Amalgameinsatz), so viel Zahnhartsubstanz zu erhalten wie möglich – also Restaurationen so klein wie möglich zu halten.

Modifizierte GIZ und Bulkfill mit großen Potenzial

Das größte Potenzial sieht er bei den modifizierten Glasionomerzementen und den Bulkfill-Materialien der neuen Generation, die nicht überschichtet werden müssen. Hier gebe es auch zum Teil bereits sehr viele und qualitativ gute Studien. Wenn es um das Thema Zeit gehe, funktionierten die neuen schnellhärtenden Bulkfill-Komposite durchaus überzeugend. Zu neuen Materialien wie den Alkasiten (Cention, Ivoclar) fehle es noch an Studien.

Mit Blick auf die möglichen Fehlerquellen und Versagensquoten verwies er auf die für den Patienten adäquate Wahl der Versorgung. „Das Lebensalter hat Einfluss auf den Erfolg einer Restauration“, so Hickel. Bei Kindern und Patienten jenseits der 70 seien die Erfolgsraten schlechter. Ebenso kritisch für den Erfolg: Der Behandler, seine Erfahrungen und Fähigkeiten.

Teflonband, dicker Kofferdam und mehr

Ganz viel Tipps für die Praxis – die gibt es bei Georg Benjamin. Der Zahnarzt aus Bayreuth teilte anhand diverser kniffliger Fälle viel Wissenswertes, Pfiffiges und Praktisches für eine erfolgreiche Füllungstherapie – von Kofferdam (besser dickere Qualitäten wählen) über Matrizen aller Art für gute Kontaktpunkte, ein Schmelzmesser zum Nacharbeiten von Kavitätenrändern bis zu Bissschlüsseln aus farblosem Silikon, die sich mit Flowable füllen lassen. Bei ihm vielfältig im Einsatz: Teflonband. Um Kofferdam sicher unten zu halten, nutzt er mit Teflonband umwickelte Zahnseide. Diese hat er praktisch vorgewickelt in unterschiedlichen Stärken schnell zur Hand.

Diskutierten die Fälle aus dem Auditorium: ZA Georg Benjamin, Dr. Juliane von Hoyningen-Huene, Prof. Sebastian Paris und Dr. Jürgen Brandt (vorne von links, hinten: Dr. Karsten Heegewaldt, Präsident der ZÄK Berlin).
Diskutierten die Fälle aus dem Auditorium: ZA Georg Benjamin, Dr. Juliane von Hoyningen-Huene, Prof. Sebastian Paris und Dr. Jürgen Brandt (vorne von links, hinten: Dr. Karsten Heegewaldt, Präsident der ZÄK Berlin).
Bild: Quintessence News

Vorteil für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Die Materiallisten zu jedem Fall, die man sich in Ruhe noch bis Ende März in der Aufzeichnung seines Vortrags anschauen kann – alle Vorträge des Berliner Zahnärztetags sind noch bis 31. März 2022 für die Teilnehmer verfügbar.

Unter Kostenaspekten noch kein Ersatz für Amalgam

Die Abschlussrunde diskutierte traditionell einige eingesandte/besondere Fälle. Er habe schon einige neue Erkenntnisse, Gedanken und Tipps mitgenommen, die er direkt anwenden beziehungsweise für sich bedenken wolle, so Kammerpräsident Heegewaldt in seinen Abschlussworten. Beim Amalgam sehe er aber noch lange keine adäquate Lösung, wenn es um den Aspekt der Kosten gehe.

2023 dreht sich alles um Prothetik

Prof. Dr. Florian Beuer und Dr. Dana Weigel laden zum Abschluss in einer Videobotschaft zum Berliner Zahnärztetag 2023 ein. (Video: Florian Beuer und QTV)

Der nächste Berliner Zahnärztetag wird am 21. und 22. April 2023 zum Themenkomplex Prothetik und Ästhetik stattfinden. Prof. Dr. Florian Beuer und Dr. Dana Weigel werden die wissenschaftliche Leitung übernehmen und den bewährten Berliner Mix aus Wissenschaft und Praxis zu diesem Thema mit Leben füllen.

Dr. Marion Marschall, Karen Nathan, Berlin

Fortbildung aktuell Restaurative Zahnheilkunde Prävention und Prophylaxe Alterszahnmedizin Zahnmedizin

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