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Eine interdisziplinäre Herausforderung mit verschiedenen therapeutischen Optionen


Prof. Dr. med. dent. Michael M. Bornstein

Eckzähne im Oberkiefer sind nach den dritten Molaren die am häufigsten retinierten Zähne im bleibenden Gebiss. In der Regel werden sie bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert. Die Therapie sollte idealerweise interdisziplinär mit einem Kieferorthopäden in der Führungsrolle erfolgen. Für die Behandlung gibt es vielfältige Optionen, die von einem Wait-and-see-Konzept über eine chirurgische Anschlingung mit kieferorthopädischer Zahneinreihung bis hin zur Autotransplantation reichen. Vor allem im fortgeschrittenen Patientenalter und bei fehlender Symptomatik ist es auch möglich, einen retinierten Eckzahn zu belassen und erst bei der Entstehung einer Pathologie chirurgisch zu entfernen. Mittels dreidimensionaler Bildgebung in Form der digitalen Volumentomographie können durch retinierte Eckzähne bedingte Komplikationen wie Wurzelresorptionen an benachbarten Zähnen oder eine follikuläre Zystenbildung präzise und frühzeitig diagnostiziert werden. In seinem Beitrag für die Quintessenz 11/2017 geht Prof. Dr. Michael Bornstein anhand dreier Fallbeispiele auf einige therapeutische Möglichkeiten bei retinierten Eckzähnen im Oberkiefer ein.

Die „Quintessenz“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wird 2019 wie der Verlag selbst 70 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit zwölf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.


Einführung und Problemstellung

Eckzähne im Oberkiefer sind nach den dritten Molaren die am häufigsten retinierten Zähne im bleibenden Gebiss14,19. Bei ihnen liegt meist eine palatinale oder bukkale Verlagerung vor, aber sie können auch mittig im Alveolarfortsatz retiniert sein5. In einer an der Universität Bern mittels digitaler Volumentomographie (DVT) bei 113 Patienten durchgeführten retrospektiven Untersuchung wurden insgesamt 134 retinierte Eckzähne im Oberkiefer analysiert, von denen 69 (51,5 Prozent) palatinal, 41 (30,6 Prozent) bukkal und 24 (17,9 Prozent) in der Mitte des Kieferkamms lagen12. Die Abweichungen in der Lokalisation zwischen verschiedenen Untersuchungen lassen sich in erster Linie mit einer unterschiedlichen Patientenauswahl (Privatpraxis versus Klinik) oder auch geografischen beziehungsweise ethnischen Faktoren erklären11. Prinzipiell ist die genaue Lagebestimmung retinierter Eckzähne im Oberkiefer mittels zweidimensionaler radiologischer Techniken im Vergleich zur dreidimensionalen Bildgebung (insbesondere mit DVT-Aufnahmen1) etwas komplexer und gibt eher zu Diskussionen Anlass. Interessanterweise scheinen Kieferorthopäden einer Untersuchung zufolge auf Panoramaschichtaufnahmen (PSA) die bukkoorale Lage von retinierten Eckzähnen besser abschätzen zu können als Oralchirurgen, welche außerdem deutlich häufiger eine DVT-Aufnahme zur weiteren bildgebenden Diagnostik als indiziert erachteten13.

Retinierte Eckzähne im Oberkiefer können asymp­tomatisch sein, aber unter Umständen treten auch Komplikationen wie Wurzelresorptionen an benachbarten Zähnen – vor allem den seitlichen Schneidezähnen – oder eine follikuläre Zystenbildung auf9-11. Wurzelresorptionen kommen offensichtlich eher bei Frauen gehäuft vor18. Zudem scheint die Position des retinierten Eckzahns in Bezug zu den Nachbarzähnen eine Rolle zu spielen. So wurden in einer radiologischen Untersuchung mittels DVT signifikant weniger Wurzelresorptionen diagnostiziert, wenn der Eckzahn auf der Höhe des koronalen Wurzeldrittels des Nachbarzahnes retiniert war12.

Die Diagnose der exakten Lage des Eckzahns und etwaiger assoziierter Komplikationen bilden die Grundlage für die weitere oralchirurgisch-kieferorthopädische Behandlungsplanung. Folgende Therapieoptionen stehen zur Verfügung2,5:

  • Freilegung mit/ohne Anschlingung des retinierten Eckzahns und nachfolgende kieferorthopädische Einreihung;
  • falls es bereits zu ausgeprägten Wurzelresorptionen besonders beim seitlichen Schneidezahn gekommen ist: Extraktion dieses Zahns mit nachfolgender kieferorthopädischer Einreihung des Eckzahns und Lückenschluss oder Implantatversorgung in der entstandenen Zahnlücke;
  • chirurgische Entfernung des retinierten Eckzahns (eventuell mit Zystektomie) und Lückenschluss oder Belassen des Milcheckzahns;
  • chirurgische Entfernung des retinierten Eckzahns mit Autotransplantation in den Zahnbogen;
  • keine Behandlung bei fehlender Symptomatik – Wait-and-see-Konzept mit regelmäßigen Nachkontrollen.

Der Prozess der Entscheidungsfindung für eine der oben genannten Therapieoptionen ist komplex und bedarf einer interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen dem Oralchirurgen und dem Kieferorthopäden12,13. Unter Umständen ist die Einbeziehung eines Spezialisten für rekonstruktive Zahnmedizin (Prothetik) sinnvoll.

Nachfolgend sollen anhand von drei Fallbeispielen mögliche Probleme und deren therapeutische Lösungen bei retinierten Eckzähnen im Oberkiefer – in der Regel mittels einer interdisziplinären Zusammenarbeit – aufgezeigt werden.

Fallbeispiele

Fall 1: Freilegung, Anschlingung und kieferorthopädische Einreihung

Eine 12-jährige Patientin wurde von einem niedergelassenen Kieferorthopäden zur chirurgischen Anschlingung von Zahn 13 vor geplanter kieferorthopädischer Therapie (Mittellinienkorrektur im Oberkiefer mit festsitzender Apparatur) überwiesen. Allgemeinmedizinisch waren eine Rhinitis allergica (Heuschnupfen) und ein anstrengungsbedingtes, das heißt, kurz nach schweren körperlichen Belastungen auftretendes Asth­ma bronchiale bekannt.

Extraoral konnten keine Asymmetrien festgestellt werden. Intraoral ließ sich der Zahn 13 weder palatinal noch bukkal Regio 14 bis 12 palpieren. Zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung war im Oberkiefer mit einer fixen Apparatur schon Platz für die Einreihung von Zahn 13 geschaffen worden (Abb. 1). Zur radiologischen Abklärung der Lagebeziehung des Zahnes 13 wurden eine PSA und eine Tomographie angefertigt. Auf diesen Bildern ließ sich die deutlich bukkale Lage von Zahn 13 gut erkennen (Abb. 2 und 3).

Die Patientin und ihr Vater wurden über das geplante therapeutische Vorgehen (Anschlingung des retinierten und verlagerten Eckzahnes 23 und nachfolgende kieferorthopädische Einreihung) informiert und waren mit dem Prozedere einverstanden. Im Anschluss an eine Lokalanästhesie erfolgten eine intrasulkuläre Inzision von Zahn 11 bis mesial Zahn 14 sowie eine vertikale Entlastungsinzision bei Zahn 11 mesial. Nach Ablösung des Mukoperiostlappens wurde bukkal osteotomiert und die Krone des Eckzahns 13 unter Schonung der Wurzeln der Zähne 11 und 12 dargestellt (Abb. 4). Die Krone von Zahn 13 wurde geätzt und nach Trockenlegung ein Knopfbracket mit anhaftender Goldkette geklebt (Abb. 5). Abschließend erfolgten die Wundtoilette und eine ausgiebige Spülung des Wundgebietes mit Ringer-Lösung. Die Wunde wurde primär mit Einzelknopfnähten dicht verschlossen und die Goldkette mit Nahtmaterial am Bracket des Zahns 14 befestigt (Abb. 6).

7 Tage nach der Operation erfolgten eine Nachkon­trolle und gleichzeitig die Nahtentfernung. Die Patientin war beschwerdefrei, es zeigte sich keine Schwellung, und die Wundheilung verlief regulär. Klinische Nachkontrollen 1 und 9 Monate nach dem Eingriff ergaben reizlose Schleimhautverhältnisse. Nach knapp 10 Monaten aktiver kieferorthopädischer Therapie stand der Zahn 13 vor dem Durchbruch in die Mundhöhle, und nach 15 Monaten aktiver Therapie war er perfekt in die Oberkieferzahnreihe bzw. Okklusion eingereiht (Abb. 7 und 8).

Fall 2: Zahnentfernung

Eine 69-jährige Patientin stellte sich mit der Bitte um Abklärung und Behandlung einer Druckstelle sowie zunehmender Schmerzen im anterioren Oberkiefer vor. Sie erklärte, seit mehreren Jahren nicht mehr zur Kontrolle beim Zahnarzt gewesen zu sein. Allgemeinmedizinisch waren keine Risiken bekannt.

Die Patientin trug im Oberkiefer seit mehreren Jahrzehnten eine Totalprothese und wies im Unterkiefer eine Restbezahnung ohne Versorgung mittels Teilprothese auf. Intraoral zeigte sich an der keratinisierten Gingiva bukkal Regio 11/21 eine kleine, rundliche, leicht gerötete, etwas druckdolente Schwellung (Abb. 9). Regio 23/24 bukkal imponierte ein rötliches, stellenweise ulzeriertes Schleimhautareal. Zur initialen radiologischen Abklärung wurde eine PSA angefertigt, auf der zwei retinierte Eckzähne (13 und 23) mit koronalen Osteolysezonen zu erkennen waren (Abb. 10). In Regio 26/27 zeigte sich zudem eine rundliche und in Regio 24 eine längliche radiopake Struktur.

Die Patientin wurde über das geplante therapeutische Vorgehen (Osteotomie der Zähne 13 und 23 mit Extraktion des Wurzelrestes 24) informiert und war mit dem Prozedere einverstanden. Nach der Lokalanästhesie erfolgte eine Kamminzision von Regio 14 bis 24, jeweils mit einer vertikalen Entlastungsinzision ins Vestibulum. Nach Ablösung und Fixation (Seralon 4-0) des Mukoperiostlappens wurde der Alveolarknochen dargestellt. Der bukkal gelegene Wurzelrest 24 konnte mit einem Desmotom luxiert und mit einer Wurzelrestzange entfernt werden. Nach bukkaler Osteotomie sowie Darstellung der Eckzähne 13 und 23 wurden diese mit einem Hebel luxiert und mit einer Zange entfernt (Abb. 11 bis 13). ­Abschließend erfolgten eine Kürettage, eine Glättung der Knochenkanten, eine Wundtoilette und eine ausgiebige Spülung des Wundgebietes mit Ringer-Lösung. Die Wunde wurde primär mit mehreren Einzelknopfnähten dicht verschlossen (Abb. 14).


Abb. 15 Bei der Nahtentfernung 10 Tage nach dem Eingriff war intraoral an der bukkalen Gingiva regio 13 bis 23 noch ein Hämatom sichtbar.

Zehn Tage nach dem Eingriff erfolgte die Nahtentfernung. Die Schwellung war abgeklungen, aber intraoral zeigte sich an der bukkalen Gingiva Regio 13 bis 23 noch ein Hämatom (Abb. 15). Einen Monat nach der Operation war die Patientin beschwerdefrei. Extra- und intraoral konnten reizlose Verhältnisse festgestellt werden. Die Unterfütterung der Oberkieferprothese ließ die Patientin von ihrem Hauszahnarzt durchführen.

Fall 3: Autotransplantation

Eine 17-jährige Patientin wurde von der behandelnden Kieferorthopädin an die Klinik für Oralchirurgie und Stomatologie der Universität Bern überwiesen. Die drei Jahre zuvor erfolgte chirurgische Anschlingung mit darauffolgender kieferorthopädischer Traktion am Zahn 23 hatte bislang nicht zum erwünschten Zahndurchbruch geführt. Die Patientin, die Eltern und die Kieferorthopädin wünschten nun eine Abklärung, ob eine Autotransplantation dieses Zahns möglich sei.


Abb. 16 Vestibuläre Ansicht der Anschlingungskette nach 3 Jahren Traktion unter skelettaler Verankerung.

Intraoral imponierte in beiden Kiefern die festsitzende kieferorthopädische Apparatur, und in der Region 23 war eine Zahnlücke zu verzeichnen, wobei die Kette zur Anschlingung des Eckzahnes bukkal durch die vestibuläre Mukosa ragte (Abb. 16). Die Kette war an einer über eine Minischraube vestibulär der Zähne 25 und 26 skelettal verankerten Feder angehängt. Bei den Nachbarzähnen 21 bis 25 wurden keine parodontalen Auffälligkeiten festgestellt, und sie reagierten auf die Testung mit CO2-Schnee positiv.

Die vorhandenen Einzelröntgenbilder verdeutlichten die Bewegungslosigkeit des Zahns 23 über die bisherige Behandlungszeit, obwohl eine adäquate und kontinuierliche Kraftapplikation stattgefunden hatte (Abb. 17 bis 19). Zur Beurteilung der anatomischen Lage und des Zustandes des Zahns 23 sowie zum Ausschluss einer Ankylose wurde eine DVT angefertigt. Diese Aufnahme zeigte die intakte Krone und die vollständig ausgebildete Wurzel des retinierten und verlagerten Zahnes. Der Perikoronal- und der Par­odon­talspalt wiesen weder Einengungen noch Erweiterungen auf. Die Nachbarzähne waren unauffällig und ohne direkten Kontakt zum Eckzahn. Die Ausmessungen mittels DVT ergaben, dass die mesiodistale Kronendimension für die vorhandene Lücke passend und die orofaziale Wurzeldimension für das horizontale Knochenangebot unzureichend war (Abb. 20 und 21).

Aufgrund der Befunde wurde mit der Patientin und den Eltern eine Autotransplantation des Zahns 23 mit Kürzung des Apex um 3 bis 4 mm besprochen. In dem Gespräch erfolgte unter anderem eine Aufklärung über die fehlende wissenschaftliche Dokumentation dieser Technik (versuchte Revaskularisierung nach Transplantation von Zähnen mit abgeschlossenem Wurzelwachstum ohne Wurzelkanalbehandlung) und über die Möglichkeit, dass der Eckzahn sich nicht schonend entfernen lassen könnte und somit gar nicht erst für eine Autotransplantation in Frage käme. Als Maßnahme im letzteren Fall und bei einem eventuellen Misserfolg nach der Autotransplantation kam die vollständige Zahnentfernung mit anschließender zahn- beziehungsweise implantatgetragener prothetischer Versorgung oder kieferorthopädischem Lückenschluss zur Sprache. Die Kette zur Anschlingung wurde am gleichen Tag entfernt, um eine Heilung beziehungsweise einen Verschluss der Mukosa vor dem chirurgischen Eingriff zu ermöglichen.

Die Autotransplantation erfolgte unter Sedierung mit Benzodiazepinen und in Lokalanästhesie. Als Prämedikation kamen ein Tetrazyklinantibiotikum und ein nichtsteroidales Antirheumatikum zum Einsatz. Nach Darstellung der durch Zahn 23 teilweise perforierten vestibulären Kortikalis wurde die Zahnkrone schonend freigelegt (Abb. 22 und 23). Der Eckzahn konnte anschließend mittels vorsichtiger Kraftapplikation in toto entfernt werden (Abb. 24. Die Neoalveole wurde mittels Osteotomie schrittweise präpariert, bis der Zahn 23 nach Kürzung der Wurzelspitze um 3 mm ohne Druck hineinpasste (Abb. 25). Dabei wurde auf die Unversehrtheit der palatinalen Knochenwand geachtet und Zahn 23 zwischen den einzelnen Therapieschritten stets in einer Zahnrettungsbox mit Zusatz von 1 mg Dexamethason gelagert.

Der apikale Knochendefekt wurde mit resorbierbarem Kollagenmaterial gefüllt und die gesamte Wurzeloberfläche nach Reposition von Zahn 23 mit Schmelzmatrixproteinen abgedeckt (Abb. 25). Die Befestigung von Zahn 23 am vorhandenen kieferorthopädischen Bogen erfolgte mittels Adhäsivtechnik und Komposit nach dem Wundverschluss und in ausreichendem Abstand von okklusalen Kontakten (Abb. 26). Die Medikation mit Tetrazyklinen und einer desinfizierenden Mundspülung wurde über einen Zeitraum von 10 Tagen fortgesetzt, wohingegen die Analgesie bereits nach vier Tagen sistiert wurde.


Abb. 27 Drei Monate nach Replantation und kurz vor der Entfernung der adhäsiven Befestigung bei Zahn 23 lässt sich erkennen, dass es zur Neubildung von interdentalen Papillen und zur Heilung der Gingiva um den transplantierten Zahn gekommen ist.

Bei der Nahtentfernung eine Woche später berichtete die Patientin über einen wenig schmerzhaften Verlauf, und es konnte eine reizlose Wundheilung festgestellt werden. Mukosa und marginale Gingiva zeigten weiterhin eine komplikationsfreie Heilung, insbesondere mit Bildung intakter interdentaler Papillen mesial und distal bei Zahn 23. Der reizlose Befund drei Monate post operationem ermöglichte die Mesialisierung der Seitenzähne zwecks Lückenschluss (Abb. 27).

Ab dem 6. postoperativen Monat wurde Zahn 23 kieferorthopädisch im Sinne einer Feinausrichtung nach palatinal bewegt. Sechs Monate später konnte ein für die Patientin und die Kieferorthopädin zufriedenstellendes Endergebnis erreicht und die kieferorthopädische Apparatur entfernt werden (Abb. 28 bis 30). Im seitherigen Verlauf zeigte Zahn 23 eine physiologische Beweglichkeit und reguläre parodontale Werte. Im Rahmen der röntgenologischen Verlaufskontrollen wurden eine fortschreitende Pulpasklerose, die Wiederherstellung eines natürlichen Parodontalspaltes und eine Reossifikation der ursprünglichen Zahnentnahmestelle am Alveolarfortsatz Regio 23 festgestellt (Abb. 31 bis 33).

Diskussion

Wenn in der Allgemeinpraxis ein retinierter Eckzahn bei einem Kind oder Jugendlichen diagnostiziert wird, erfolgt oft eine Überweisung des Patienten an einen Oralchirurgen zur weiteren Behandlung. Dabei ist es immer empfehlenswert, einen Kieferorthopäden beizuziehen, auch um die langfristigen Folgen eines fehlenden Eckzahns im Hinblick auf die Entwicklung der Dentition und die späteren kieferorthopädischen Therapieoptionen zu evaluieren4. Dies ist zudem deshalb von Bedeutung, weil bei einem chirurgischen Eingriff ohne Rück- und Absprache mit dem behandelnden Kieferorthopäden unvorhergesehene Komplikationen eintreten können:

  • Die Freilegung mit/ohne Anschlingung des Eckzahns erfolgt, ohne dass klar ist, ob der Kieferorthopäde diesen Zahn wirklich erhalten will.
  • Das Bracket wird womöglich bei der Freilegung und Anschlingung des Eckzahns an der falschen Stelle geklebt, was dessen Einreihung erschwert.
  • Die Freilegung des Eckzahns ohne Anschlingung und ohne kieferorthopädische Therapie kann zu einer erneuten Überwucherung des Zahnes mit Weichgewebe führen.
  • Unter Umständen kommt es zu parodontalen Problemen beim Eckzahn mit gingivaler Rezession oder auch fehlendem bukkalem Knochen mit gravierenden ästhetischen Langzeitfolgen.

Daher wird der Kieferorthopäde bei der Planung der Therapie retinierter Eckzähne im Oberkiefer auch als „Zeremonienmeister“ im Zusammenspiel von Angehörigen der verschiedenen Disziplinen wie dem Allgemeinpraktiker, dem Kinderzahnmediziner und dem Oralchirurgen bezeichnet4.

Funktioniert die Zusammenarbeit zwischen dem Kieferorthopäden und dem Oralchirurgen gut, lassen sich auch komplexe Fälle erfolgreich lösen. Wie aber bei den oben beschriebenen Fallbeispielen 1 und 3 mit knapp 1,5 und vie Jahren Behandlungsdauer gut zu erkennen ist, sollten diese doch relativ langen Therapien mit dem Patienten und den Eltern offen angesprochen werden. In einer retrospektiven Untersuchung an 60 Patienten mit 64 retinierten Eckzähnen dauerte die jeweils interdisziplinär durchgeführte Therapie im Mittel 21,6 (± 8,7) Monate, wobei besonders hoch impaktierte Eckzähne die Behandlungsdauer signifikant verlängerten7. Zudem hat sich gezeigt, dass eine Mobilisierung des Eckzahns während eines chirurgischen Eingriffs für eine schnellere Einreihung eher kontraproduktiv ist, da es zu irreversiblen Schädigungen des Parodonts oder des Zements kommen kann3. Dies führt mitunter zu einer Ankylose und somit zu einem Misserfolg der kieferorthopädischen Einreihung des retinierten und verlagerten Eckzahns.

Bei den Fällen 1 und 2 erfolgte die präoperative radiologische Diagnostik primär mittels PSA. Im Fall 1 lässt sich trotz der zusätzlich angefertigten Schichtbildaufnahme (Tomographie) nicht eindeutig beurteilen, ob beim Zahn 12 eine Wurzelresorption im apikalen Bereich vorhanden ist. Im Fall 3 wurde zur Diagnostik und Zustandsbeurteilung des retinierten Eckzahns zusätzlich zur PSA eine DVT-Aufnahme angefertigt. Besonders die Diagnostik von Wurzelresorptionen an Nachbarzähnen wird durch eine dreidimensionale Bildgebung merklich verbessert und ist auch zu einem früheren Zeitpunkt möglich6. Prinzipiell werden auf zweidimensionalen Röntgenbildern die Inzidenz und das Ausmaß von Wurzelresorptionen unterschätzt. Dies wurde auch in einer vergleichenden radiologischen Untersuchung bei Kieferorthopäden und Oralchirurgen festgestellt, in welcher beide Spezialistengruppen auf den PSA weniger Wurzelresorptionen diagnostizierten als auf DVT-Aufnahmen13.

Die Autotransplantation von Zähnen mit abgeschlossener Wurzelbildung gilt zwar als etwas komplexer als bei Zähnen mit offenem Apex, aber dennoch zeigte eine systematische Übersichtsarbeit 1- und 5-Jahres-Überlebensraten von 98 bzw. 90,5 Prozent auf8. In der Regel sollte bei Zähnen mit abgeschlossenem Wurzelwachstum nach der Transplantation eine Wurzelkanalbehandlung erfolgen, wobei der beste Zeitpunkt für die endodontische Therapie umstritten ist15. Wird keine Wurzelkanalbehandlung durchgeführt, kommt es bei noch leicht offenem Apex nicht selten auch zu einer fortschreitenden Pulpaobliteration, was als ein Vitalitätszeichen interpretiert werden kann17. Durch eine Erweiterung des Apex lässt sich diese Reaktion möglicherweise noch stimulieren (aktive Revaskularisierung), was im hier beschriebenen Fall 3 mit einer Kürzung der Wurzelspitze um 3 mm versucht wurde. Es gilt aber klar festzuhalten, dass es zu der beschriebenen Methode kaum Daten gibt und sie somit als experimentell einzustufen ist16. Die Kürzung des Apex hatte im vorliegenden Fall zusätzlich auch eine geometrische Indikation: Ohne Kürzung hätte der Zahn nicht in die Neoalveole 23 transplantiert werden können.

Schlussfolgerungen

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Fall von retinierten Eckzähnen insbesondere bei Kindern und Jugendlichen eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und Therapieplanung erfolgen sollte. Idealerweise übernimmt dabei der Kieferorthopäde die Führungsrolle. Solche interdisziplinären Therapien sind in der Regel eher langwierig und erfordern daher vor allem aufseiten der Patienten Ausdauer und Geduld. Werden retinierte Eckzähne im Alter diagnostiziert, kann je nach Symptomatik eine chirurgische Zahnentfernung oder auch ein abwartendes Verhalten (Wait-and-see-Konzept) indiziert sein.

Danksagung

Dr. Michael Habegger und Dr. Franziska Ducommun, Klinik für Kieferorthopädie, Zahnmedizinische Kliniken der Universität Bern, sei an dieser Stelle für die kieferorthopädische Behandlung von Fall 3 gedankt.

Ein Beitrag von Prof. Dr. med. dent. Michael M. Bornstein, Hong Kong, China und Dr. med. dent. Simone F. M. Janner, Bern, Schweiz

Literatur


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Reference: Quintessenz Zahnmedizin, Ausgabe 11/17 Kieferorthopädie Zahnmedizin Chirurgie

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