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Falldarstellungen und Versorgungskonzepte mit und ohne Zahnerhalt

Aufgrund der Prominenz der Frontzähne im Gesichtsschädel haben Frontzahntraumata eine relativ hohe Prävalenz. Sie stellen den Zahnarzt vor die schwierige Aufgabe, die betroffenen Zähne in erhaltungswürdig oder nicht erhaltungswürdig zu kategorisieren. Wenn Zähne sich als nicht erhaltungswürdig herausstellen, müssen sie in einem ästhetisch anspruchsvollen Bereich ersetzt werden. In diesem Artikel für die Implantologie 01/19 stellen die Autoren um Dr. Teresa Englbrecht abhängig von verschiedenen Ausgangssituationen, endodontische, prothetische und chirurgische Versorgungskonzepte vor. Die Risiken und Möglichkeiten der einzelnen Therapieoptionen werden anhand von Fallbeispielen diskutiert.

In keiner anderen Disziplin der Zahnmedizin schreitet die Entwicklung so schnell voran wie in der Implantologie. Ziel der Zeitschrift ist es, dem Fortbildungsangebot im Bereich der Implantologie durch die Veröffentlichung praxisbezogener und wissenschaftlich untermauerter Beiträge neue und interessante Impulse zu geben und die Zusammenarbeit von Klinikern, Praktikern und Zahntechnikern zu fördern. Mehr Infos zur Zeitschrift, zum Abo und zum Bestellen eines kostenlosen Probehefts finden Sie im Quintessenz-Shop.

Einleitung

Aufgrund der Prominenz der Frontzähne sind komplizierte Kronenfrakturen unter Eröffnung der Pulpa im ästhetischen Bereich keine Seltenheit1,2. In diesen Fällen gibt es, abhängig von der Frakturtiefe und dem Zustand der Nachbarzähne, unterschiedliche Therapieoptionen. Je nach Restzahnhartsubstanz und Weichgewebesituation können die Maßnahmen zur Wiederherstellung eines Zahns folgende Optionen umfassen:

  1. Wiederbefestigung des Bruchstücks mit zuvor erfolgter medikamentöser Abdeckung der Pulpa3,
  2. Kunststoffaufbau4,
  3. Wurzelkanalbehandlung mit/ohne Stiftaufbau und prothetischer Versorgung5,
  4. chirurgische Kronenverlängerung und prothetische Versorgung6 und/oder
  5. kieferorthopädische Extrusion7 oder Kombinationen aus den Punkten 1 bis 5.

Die Entscheidung für die adäquate Methode setzt eine genaue Befundung und Diagnose voraus. Für den Fall, dass der Zahn bis ins untere Kronendrittel frakturiert ist, ist die dauerhafte Wiederbefestigung der Bruchstücke unter Vitalerhaltung der Pulpa schwierig8 und in der Regel ist eine endodontische Behandlung erforderlich9. Die Prognose für den Zahnerhalt gestaltet sich bei Wurzelfrakturen mit ungünstiger Lokalisation deutlich schlechter. Während intraalveoläre Frakturen ebenso wie avulsierte Zähne in der Regel mittels Schienung und endodontischer Behandlung versorgt werden können, führen Frakturen der Wurzel, die eine Verbindung zur Mundhöhle aufweisen, aufgrund der bakteriellen Invasion und anschließenden Entzündung meist zum Verlust des betroffenen Zahns10,11.

Die höchste Inzidenz des Frontzahntraumas liegt zwischen dem siebten und zwölften Lebensjahr12–14. Epidemiologische Studien belegen, dass in Europa jedes zweite Kind vor dem 16. Lebensjahr ein Zahntrauma erleidet und hierbei zu mehr als 70 Prozent die mittleren Schneidezähne des Oberkiefers betroffen sind15. Neben Verkehrsunfällen und körperlichen Auseinandersetzungen sind Sportverletzungen der Hauptgrund für Frontzahntraumata16, die Prävalenz variiert zwischen den verschiedenen Sportarten17,18.

Da Frontzahntraumata bei schweren Verletzungen häufig in Zusammenhang mit Alveolarfortsatzfrakturen und lebenserhaltenden Erstmaßnahmen stehen, ist es oftmals unmöglich, eine sofortige Versorgung des Traumas durchzuführen. Zudem hängt der Zahnerhalt maßgeblich von der Art des Traumas, dem Alter, der Compliance sowie dem körperlichem Zustand der betroffenen Person ab19.

Anhand von zwei Patientenfällen soll exemplarisch der klinische Ablauf verschiedener Frontzahntraumata und deren endodontologische, prothetische und chirurgische Versorgung geschildert und dokumentiert werden.

Falldarstellungen

Fall 1 – Sofortimplantat 21 nach Wurzelfraktur

Anamnese

Zum Zeitpunkt der Erstvorstellung war der Patient 24 Jahre alt und befand sich in einem guten Allgemeinzustand, nahm keine Medikamente ein und hatte keine Allgemeinerkrankungen. Der Patient rauchte etwa fünf Zigaretten täglich und gab an, gelegentlich Alkohol zu trinken. Der Patient wurde einen Tag nach einem Handballunfall vorstellig, nachdem er bereits am Unfalltag in einem Krankenhaus zur Erstversorgung der Platzwunden war.

Ausgangsbefunde

Die extraorale Platzwunde am Kinn war zum Zeitpunkt der Vorstellung bereits mit Nähten oder einfach versorgt, die Oberlippe war aufgrund eines Hämatoms geschwollen, die vestibuläre Schleimhaut der Oberlippe leicht eingerissen und das Weichgewebe gequetscht. Intraoral zeigte sich die keratinisierte Gingiva Regio 21 stark geschwollen mit leichten sulkulären Einblutungen labial (Abb. 1). Die Schleimhaut des Gaumens und der Zunge wies keine pathologischen Veränderungen auf. Der dentale Befund ergab ein konservierend suffizient versorgtes, vollbezahntes Gebiss mit ausgeprägten Abrasionen. Zahn 31 wurde aufgrund eines Frontzahntraumas in der Vergangenheit bereits endodontisch behandelt und mit einem Stiftaufbau alio loco versorgt. Zahn 21 reagierte nicht sensibel auf Kälte, war stark gelockert (Lockerungsgrad III) und klopfempfindlich. Zahn 11 wies eine unkomplizierte Schmelz-Dentin-Fraktur auf und war leicht gelockert (Lockerungsgrad I) und klopfempfindlich.

Diagnostik und Planung

Nach der ersten klinischen Befundaufnahme und Fotodokumentation wurde ein Einzelzahnfilm Regio 11/21 (Abb. 2) angefertigt und der Patient über die verschiedenen Therapieoptionen aufgeklärt. Zahn 11 wies eine unkomplizierte Schmelz-Dentin-Fraktur auf, während Zahn 21 durch die vorliegende subkrestale Wurzelfraktur als nicht erhaltungswürdig eingestuft wurde.

Therapieoptionen

Folgende Therapieoptionen wurden dem Patienten zur Versorgung des Frontzahntraumas 21 angeboten:

  1. Extraktion und dann Unterlassung einer weiteren Therapie
  2. Konventionelle Brücke mit Reduktion der Zahnhartsubstanz der klinischen Krone der Nachbarzähne um etwa 50-60 Prozent
  3. Einflügelige Adhäsivbrücke aus mit Feldspatkeramik verblendetem Zirkoniumdioxid mit Klebeflügel am Zahn 11
  4. Extraktion und verzögerte Implantation 21 mit provisorischer Phase
  5. Extraktion und Sofortimplantation 21 mit/ohne Bindegewebetransplantat mit Provisorium
  6. Herausnehmbare Prothese zu Ersatz von Zahn 21

Der Patient wünschte die schnellstmögliche Sofortversorgung des Traumas, um die für ihn vor der Zahnextraktion gewohnte Situation wiederherzustellen und entschied sich für das Sofortimplantat mit Provisorium und mit subepithelialem Bindegewebetransplantat aus dem seitlichen Gaumen.

Die Schmelz-Dentin-Fraktur von Zahn 11 konnte mit einer dentinadhäsiven Rekonstruktion einfach behoben werden, regelmäßige Nachkon­trollen mit Vitalitätsprüfungen und apikale Aufnahmen wurden dem Patienten angeraten.

Klinisches und labortechnisches Vorgehen zum Ersatz von Zahn 21

Als erster Behandlungsschritt wurde eine Versorgungsabformung des Ober- und Unterkiefers (Pluralgin Super, Pluradent) und eine Kieferrelationsbestimmung (Futar D Fast, Kettenbach) durchgeführt. Dann wurde ein Wax-up von Zahn 21 angefertigt und ein Abformschlüssel hergestellt, um die spätere Provisorienherstellung von Zahn 21 nach Implantation zu gewährleisten.

In der Implantationssitzung wurde Zahn 21 minimalinvasiv ohne Verletzung der umgebenden Knochenwände extrahiert und ein Implantat leicht palatinal versetzt gesetzt (Nobel Active, 4,3 mm x 15 mm, Nobel Biocare; Abb. 3 und 4). Anschließend erfolgte direkt in der operativen Sitzung die Abformung der Implantatposition mittels eines Abformpfostens und des im Labor hergestellten Abformschlüssels (Luxatemp,  DMG). Nach der Implantatabformung wurden die verbleibenden Defektspalten mit Knochenersatzmaterial aufgefüllt (BioOss, Geistlich Biomaterials). Um vertikalen Weichgeweberezessionen vorzubeugen, wurde vom Gaumen linksseitig ein Bindegewebetransplantat entnommen und labial des Implantats 21 unter Präparation eines gespaltenen Lappens eingebracht. Die Entnahmestelle am Gaumen wurde mit Einzelknopf- und Kompressionsnähten versorgt. Das im Labor hergestellte Provisorium wurde mit 15-Ncm-Drehmoment verschraubt und der Schraubenkanal mit sterilem Teflon und einem dünnfließenden Kunststoff (Tetric EvoFlow, Ivoclar Vivadent) verschlossen (Abb. 5). Es erfolgte eine Antibiotikagabe präoperativ für einen Tag und postoperativ für weitere vier Tage (Amoxicillin 500 mg, dreimal 1 Tablette täglich).

An die Nahtentfernung nach sieben Tagen schloss sich eine provisorische Phase von drei Monaten an (Abb. 6). Das Provisorium wurde deutlich kürzer gestaltet, um das Implantat in der Einheilphase weder in statischer noch in dynamischer Okklusion zu belasten. Nach Abschluss der provisorischen Phase (drei Monate nach Implantation und Sofortversorgung) wurde die Implantatposition mit einem individuellen Abformlöffel offen mit einem Polyether (Permadyne, 3M) abgeformt. Zwei Wochen später erfolgte die Eingliederung der im eigenen Hauslabor gefertigten Lithiumdisilikatkrone (auf Titanabutment verklebt, verschraubt mit 35 Ncm). Die Herstellung der Keramikkrone 31 erfolgte alio loco. Zum Zeitpunkt der Eingliederung der definitiven prothetischen Versorgung konnte ein für Behandler und Patient ästhetisch und funktionell zufriedenstellendes Ergebnis festgestellt werden (Abb. 7). Nach Abschluss der prothetischen Therapie wurde der Patient in einen halbjährlichen Recall aufgenommen.

Fall 2 – Endodontische und prothetische Versorgung nach komplizierter Kronenfraktur

Anamnese

Der Patient wurde einen Tag nach einem Sturz unter Alkoholeinfluss vorstellig. Die Platzwunden und Zähne waren bereits am Vortag im Krankenhaus versorgt worden. Zum Zeitpunkt der Erstvorstellung war der Patient 19 Jahre alt, der Allgemeinzustand war reduziert und der Patient nahm Schmerzmittel ein.

Bei seinem Sturz auf den Oberkiefer erlitt der Patient Prellungen und Schürfwunden am Nasenflügel rechts, an Oberlippe und Unterlippe mittig. Die Zähne 11 und 21 waren avulsiert, zusätzlich kam es bei dem Sturz zu Kronenfrakturen an den Zähnen 12, 21, 22 (komplizierte Schmelz-Dentin-Frakturen unter Eröffnung der Pulpa). Zahn 11 erlitt eine unkomplizierte Schmelz-Dentin-Fraktur. Laut Angaben des Patienten waren die avulsierten Zähne länger als 60 Minuten außerhalb des Mundes und wurden dabei in keinem geeigneten Medium, sondern trocken gelagert. Der Patient erhielt bei der Erstversorgung in der Klinik eine Wundsäuberung und Versorgung, orale Antibiose (Amoxicillin/Clavulansäure 875/125 mg) und Schmerzmedikamente (Ibuprofen 400 mg viermal täglich). Die betroffenen Zähne wurden vestibulär mittels Säureätztechnik und einer TTS-Schiene (Titanium-Trauma-Splint) von 14-24 stabilisiert (Abb. 8). Bei der Erstuntersuchung in unserer Praxis konnten keine Okklusionstörungen diagnostiziert werden, das Gebiss des 19-Jährigen war kariesfrei.

Diagnostik und Planung

Nach der ersten klinischen Befundaufnahme und Fotodokumentation wurden zur Ergänzung des klinischen Befunds (Perkussion, Vitalität) zur Abklärung von Wurzelfrakturen zwei Einzelzahnfilme in der Frontzahnregion angefertigt (Abb. 9) und der Patient über die verschiedenen Therapieoptionen aufgeklärt.

Diagnose

Die Zähne 11 und 21 waren avulsiert und die Zähne 12, 21, 22 wiesen zudem eine komplizierte Schmelz-Dentin-Fraktur auf. An Zahn 11 konnte eine unkomplizierte Schmelz-Dentin-Fraktur festgestellt werden.

Therapieoptionen

Der Versuch des Zahnerhalts durch Wurzelkanalbehandlungen der Zähne 12–22 aufgrund der freiliegenden Pulpa und avulsierten Zähne 11 und 21 stand als Therapieoption im Mittelpunkt der Diskussion. Bei stabiler Einheilung der Zähne 11 und 21, erfolgreicher Wurzelkanalbehandlung und Beschwerdefreiheit sollten die mit Kunststofffüllungen als Provisorium versorgten Defekte langfristig durch vollkeramische Restaurationen ersetzt werden. Der Patient wurde über die Möglichkeit eines Misserfolges der Behandlung, insbesondere der Ankylosegefahr und/oder Verlust der Frontzähne durch Resorption, aufgeklärt20. Im Falle einer Extraktion könnten die fehlenden Zähne mit Implantaten oder optional einer Brücke versorgt werden. Der Patient wünschte den Zahnerhalt, um möglichst die für ihn gewohnte Situation wiederherzustellen.

Klinisches und labortechnisches Vorgehen

In der ersten Sitzung eine Woche nach dem Trauma wurden zunächst die Zähne mit komplizierter Kronenfraktur 12 und 22 mit Kunststofffüllungen (Tetric EvoCeram A2, Ivoclar Vivadent) restauriert und wurzelkanalbehandelt: maschinelle Aufbereitung mit ProTaper next (Dentsply Maillefer), Total Fill BC Sealer (American Dental Systems) und vertikale Kondensation mit Elements Obturation Unit (Kerr Dental, Orange), Spülung EDTA 17 Prozent und NaOCl 3 Prozent. Drei Wochen nach dem Trauma wurde die Schienung entfernt. In einer zweiten endodontischen Sitzung nach insgesamt vier Wochen wurden die ehemals avulsierten Zähne 11 und 21 wurzelkanalbehandelt (Abb. 10) und mit Kunststofffüllungen (Tetric EvoCeram A2) versorgt. Die Zähne 12 und 22 wurden aufgrund des ausgeprägten Zahnhartsubstanzverlusts mit einem Stiftaufbau versehen und mit Provisorien (Luxatemp-Glaze & Bond, DMG) versorgt. Die Provisorien konnten durch Situationsmodelle aus früherer kieferorthopädischer Behandlung problemlos angefertigt werden (Abb. 11).

Nach zwei Monaten erfolgte eine Kontrolluntersuchung, bei der die Situation als stabil eingeschätzt wurde. Insgesamt sieben Monate nach dem Unfall wurden die Zähne 11 und 21 für eine keramische Versorgung mit Teilkronen und die Zähne 12 und 22 für eine Kronenversorgung präpariert (Abb. 12). Die Abformung erfolgte konventionell mit einem Polyether (Permadyne, 3M, Neuss). Die zahntechnische Arbeit wurde im Hauslabor angefertigt (Abb. 13).

Zum Zeitpunkt der Eingliederung der definitiven prothetischen Versorgung konnte ein für Behandler und Patient ästhetisch und funktionell zufriedenstellendes Ergebnis festgestellt werden (Abb. 14). Nach Abschluss der Therapie wurde der Patient in ein Recallsystem aufgenommen. Das Intervall wurde zunächst auf einen halbjährlichen Turnus festgelegt, konnte aber durch Unzuverlässigkeit des Patienten nicht eingehalten werden. Der nächste Recall nach Fertigstellung erfolgte eineinhalb Jahre nach Replantation und wurde röntgenologisch (Abb. 15) und fotografisch dokumentiert (Abb. 16). Bei Befundung der apikalen Aufnahme bestand der Verdacht auf interne sowie beginnende apikale und distale Resorption der replantierten Zähne 11, 21. Der Verdacht bestätigte sich im darauffolgenden Recall ein Jahr später mit massiven externen Resorptionen an den Zähnen 11 und 21 (Abb. 17). Der Patient wurde darüber aufgeklärt, dass eine Versorgung mit einem Sofortimplantat im Falle eines späteren Zahnverlusts – neben konventionellen Methoden – eine adäquate Versorgung sein kann.

Diskussion

Fall 1

Die zunehmende Beliebtheit der Sofortimplantation nach Zahnverlust liegt sicherlich in den zahlreichen Vorteilen. Die Behandlungsdauer wird verkürzt, festsitzender Zahnersatz kann unmittelbar nach Zahnverlust im ästhetisch relevanten Bereich angefertigt werden, postoperative Schmerzen und Schwellung werden verringert und die ursprüngliche Schleimhaut- und Knochensituation kann bestmöglich erhalten werden. So wurden bei erfolgreicher Einheilung bei Sofortimplantaten ästhetisch hervorragende Resultate mit Rezessionen von 0,5 mm und ein Papillenrückgang von nur 0,4 mm sowie sehr geringe Knochenresorptionsraten von durchschnittlich 0,8 mm beobachtet21.

Bei Sofortimplantaten ist die Patientenzufriedenheit signifikant höher (95 Prozent) als bei der verzögerten Implantation (84 Prozent)22. Allerdings gilt zu bedenken, dass die Verlustrate bei Einzelzahnimplantaten mit Sofortbelastung um etwa das 3,5-Fache höher ist als bei der verzögerten Sofortimplantation23. Eine Metaanalyse über Sofortimplantate im Frontzahnbereich ergab eine Überlebensrate von 96 % nach dem ersten Jahr24. Da Sofortimplantate nicht wie sonst im vollen Umfang im Alveolarknochen verankert werden, ist eine ausreichende Primärstabilität von hoher Bedeutung für die erfolgreiche Osseointegration, jedoch zeigt sich in Untersuchungen, dass eine gute Erfolgsrate von 96 % nach fünf Jahren bei einer initialen Primärstabilität von 25 Ncm und Sofortversorgung erzielt werden konnte25. Es wurde sogar eine erfolgreiche Einheilung bei Sofortimplantaten mit einem Einbringmoment von 15 Ncm beobachtet26. Auch eine Sofortimplantation bei chronisch apikaler Beherdung scheint laut Studienlage unproblematisch27, eine Entzündung am Nachbarzahn kann jedoch den Implantaterfolg beeinträchtigen28.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Sofortimplantation eine ästhetisch und funk­tionell zufriedenstellende, rasche Versorgung in der ästhetisch kritischen Zone für den Patienten darstellt, jedoch mehr chirurgisches Geschick, eine strenge Indikationsstellung sowie die Verwendung von geeigneten Implantatgeometrien erfordert.

Fall 2

Ein avulsierter, bleibender Zahn ist eine der wenigen echten Notsituationen in der Zahnmedizin. Die Häufigkeit einer Avulsion liegt bei 0,5–3 Prozent aller dentaler Traumata29,30. Mit dem Wissen über die Heilungsprozesse des Parodonts, der Pulpa und des Alveolarknochens ist die Notwendigkeit einer Wurzelkanalbehandlung, flexiblen Schienung und Antibiotikagabe bei Avulsion hinlänglich bekannt. Wichtig sind dabei die Dauer und der Zeitpunkt der Therapie. Diese Empfehlungen werden als Leitlinien der „International Association of Dental Traumatology“ oder dem „Dental Trauma Guide“ regelmäßig publiziert, und dabei werden auch Änderungen der Richtlinien entsprechend der neuesten Studienlage vorgenommen31,32.

Bei Erstversorgung alio loco wurde dem Patienten Penicillin verschrieben, eine vestibuläre TTS-Schienung angebracht und weiche Kost für drei Wochen empfohlen. Die oben genannte Gesellschaft empfiehlt im Gegensatz dazu als Antibiotikum erster Wahl bei Patienten über 12 Jahren eine orale Gabe von Tetrazyklin (zum Beispiel Doxycyclin zweimal täglich für sieben Tage entsprechend Alter und Gewicht) und eine semirigide (physiologische) Schienung für maximal zwei Wochen33. Die Wurzelkanalbehandlung sollte bei Zähnen mit abgeschlossenem Wurzelwachstum sieben bis zehn Tage nach Replantation und vor der Schienenentfernung erfolgen33,34, was im oben genannten Patientenfall erst nach Entfernung der Schienung erfolgte.

Bei avulsierten Zähne mit geschlossenem Apex, die nicht länger als 60 Minuten extraoral und trocken gelagert wurden, zeigen sich laut aktueller Studienlage im ersten Jahr sehr geringe Verlustraten von 1,1 Prozent31 beziehungsweise hohe Überlebensrate von 95,6 Prozent35. Bei Untersuchungen, die ein Follow-up von 9 bis 10 Jahren umfassen, lässt sich jedoch beobachten, dass die Entstehung einer Ankylose bei beinahe 80 Prozent und die Verlustrate bei knapp 45 Prozent liegt31,36. Ein geeignetes Lagermedium und kurze Zeit bis zur Replantation verbessern die Prognosen signifikant31,32. Bei oben genanntem Patientenfall gestalteten sich die Ausgangsbedingungen aufgrund der langen trockenen Lagerung der Zähne bis zur Replantation nicht ideal, was dann auch vermutlich zu den massiven Resorptionen zweieinhalb Jahre nach Fertigstellung führte.

Schlussfolgerung

Die beiden beschriebenen Patientenfälle verdeutlichen, dass sich Frontzahntraumata trotz ähnlicher Ätiologie (Unfall, Sturz) in der Diagnose (Kronenfraktur, Wurzelfraktur, Avulsion) und Therapieform und damit letztendlichen Konsequenz für den Zahnerhalt beziehungsweise die Extraktion maßgeblich voneinander unterscheiden können. Es ist von größter Bedeutung, mittels gründlicher Diagnostik und Befundung zügig zu behandeln. Dabei steht die bestmöglichste Versorgung für den Patienten im Vordergrund, um die Integrität des Gebisses für den Patienten in Form, Funktion und Ästhetik zufriedenzustellend wiederherzustellen. Die umfassende, verfügbare Datenlage und Leitlinien können dabei dem Behandler in der Entscheidungsfindung dienen. Eine umfangreiche Aufklärung über die Erfolgsaussichten und Misserfolgsraten sowie eine gute Dokumentation sind bei der Erstbehandlung und Nachsorge auch für die Kosten bei den Spätfolgen (Schließung der Lücke durch Zahnersatz oder Implantat) sehr wichtig.

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Ein Beitrag von Dr. Teresa Englbrecht, PD Dr. Christian Mehl, Dr. Julia Basel und PD Dr. Sönke Harder, alle München

Quelle: Quintessenz Implantologie 01/19 Implantologie Chirurgie Prothetik Zahnmedizin

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