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„EAO meets DGI“ – drei Tage Spitzentreffen der Experten für alle Themen rund um die Implantologie in Berlin

Mehr als 3.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren Ende September 2023 beim Jahreskongress der EAO in Berlin zu Gast.

(c) Heinzen/Quintessenz

Endlich in Berlin – unter dem Motto „EAO meets DGI“ fand Ende September 2023 im The Cube nun der schon für 2020 geplante und wegen Corona verschobene 30. Wissenschaftliche Jahreskongress der EAO statt. EAO-Präsident Prof. Dr. Ronald Jung freute sich zum Start über 3.000 registrierte Teilnehmer und versprach drei Tage herausragendes Programm.

Dafür zeichneten Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake und Prof. Dr. Florian Beuer verantwortlich – mit teilweise drei parallelen Sessions und vielen begleitenden Workshops der Industrie und einem deutschsprachigen Programm am Freitag und Samstag, die dank Live-Übersetzungen mit KI (meistens) in 26 Sprachen übersetzt wurden. Den Auftakt machte eine Session zum aktuellen „It-Thema“: Welche Perspektiven eröffnet die Künstliche Intelligenz für die Zahnmedizin und Implantologie?

KI muss ihre Entscheidungen transparent machen

Mit Prof. Dr. Andreas Dengel vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz gab es einen Einstieg in die aktuelle Forschung und Projekte zur KI. Gute Daten als Lerngrundlage für KI-Systeme seien für alle möglichen Projekte und Anwendungen die absolute Voraussetzung, machte Dengel klar. Er forderte Transparenz über die verwendeten Daten und die Arbeitsweise der KI – das sei heute vielfach selbst für die Experten eine Blackbox, so der Forscher. Auf den geplanten European Health Data Space schaute er kritisch, er berücksichtige die KI nicht und es seien viele Fragen offen. KI müsse immer Mittel zum Zweck sein, die Entscheidungen für die Anwender transparent sein, das System sollte die Entscheidungen begründen.
 

 

KI-Anwendungen werden neues „Biotop“ schaffen

Mitten rein in die Anwendungen in der Zahnmedizin ging es dann mit Prof. Tim Joda. Der junge Professor aus Zürich fokussierte sich auf den Einsatz künstlicher Intelligenz in Diagnostik, Visualisierung, Patientenkommunikation und Robotik am Beispiel der Implantologie. Joda nahm das Auditorium mit auf die Reise durch die verschiedenen Einsatzphasen von KI im klassischen digitalen Workflow, die wichtige Schritte wie geplante Extraktionen, die Wahl der Abutments etc. erleichtere. Auch das neue haptische Navigieren mit KI-Anwendungen bis hin zu „Mixed Reality“ stellte er vor – dieses Spiegeln der Navigation in die klinische Situation werde die Vorhersagbarkeit und Sicherheit der Implantologie voranbringen. Der Einsatz von KI werde ein ganzes „Biotop“ rund um die Implantatversorgung schaffen, bis zum Monitoring im Nachgang. Aber die menschliche Empathie könne sie nicht ersetzen.

Auf die Daten kommt es an

Prof. Arjan Vissink aus Groningen legte in seinem Vortrag mit Blick auf die medizinischen Anwendungen nach. Big Data sei die Zukunft, so sein Fazit zu den ersten Studienergebnissen über den Einsatz von KI-Anwendungen zum Beispiel zum Sjögren-Syndrom. Das Problem sei, entsprechend gute Ausgangsdaten zu bekommen, die dann auch einheitlich erfasst sein müssten. Daran fehle es oft. Und der Einsatz dieser Anwendungen sei immer auch eine ethische Frage, die nur der Mensch entscheiden könne, so ein wichtiger Punkt der anschließenden Diskussion.


Ehrungen und Auszeichnungen

Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake und Prof. Dr. Florian Beuer erhielten vom EAO-Präsidenten Prof. Dr. Ronald Jung die silberne Ehrenmedaillie der EAO.
Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake und Prof. Dr. Florian Beuer erhielten vom EAO-Präsidenten Prof. Dr. Ronald Jung die silberne Ehrenmedaillie der EAO.
(c) Marschall/Quintessence News
Gleich zu Beginn der Jahrestagung wurden Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake (Göttingen) und Prof. Dr. Florian Beuer (Berlin) für ihr großes Engagement in der Vorbereitung und Organisation des Kongresses von EAO-Präsident Prof. Dr. Ronald Jung mit der Silbermedaille der EAO ausgezeichnet, ebenso wie Prof. Dr. Ralf Kohal (Freiburg i.Br.), der von 2017 bis 2022 die Leitung des Abstract Committee innehatte.

Eine besondere Auszeichnung erhielt Prof. Dr. Dr. Wilfried Wagner (Mainz). Ihm wurde am 28. September 2023 die EAO-Ehrenmitgliedschaft in Anerkennung seines langjährigen Beitrags zur Entwicklung der Implantologie verliehen. Wagner leitete seit 1992 er die Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und für Zahnärztliche Chirurgie an der Universität Mainz. Seine wissenschaftliche Arbeit konzentriert sich auf die Grundlagen der Implantologie und des Knochenersatzes, insbesondere den Vergleich verschiedener Materialien und Systeme in klinischen Studien und in der Grundlagenforschung. Neben der Implantologie liegt sein Schwerpunkt in der plastisch-rekonstruktiven Chirurgie zur funktionellen und ästhetischen Rehabilitation im Rahmen der Tumortherapie und bei Kindern mit Gesichtsfehlbildungen (Lippen-Kiefer-Gaumenspalten). Außerdem war er im Vorstand zahlreicher wissenschaftlicher Vereinigungen tätig, unter anderem als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) und Vizepräsident der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF).


Vielseitiges internationales und deutsches Programm

Nach diesem Blick in die – vielfach schon ganz nahe – Zukunft ging es dann im internationalen Programm der EAO und im deutschsprachigen Programm der DGI um aktuelle und Dauerbrenner-Themen rund um die Therapie mit Implantaten. Sessions zum Hart- und Weichgewebemanagement, zur Auswahl von Implantaten und Prothetik und zum Umgang mit vulnerablen und medizinisch kompromittierten Patienten gehörten ebenso dazu wie die Frage nach dem Management von Komplikationen und vor allem der Periimplantitis. (Der Beitrag kann im Folgenden daher nur Ausschnitte und Schlaglichter des Programms beleuchten.)

Neben den international schon gut bekannten Expertinnen und Experten kamen dabei viele jüngere Referentinnen und Referenten mit spannenden Forschungsergebnissen und Themen zu Wort. Gerade die Mischung aus alten Hasen und dem Nachwuchs sorgte in den Diskussionsrunden der Sessions für interessante neue Einblicke und Erkenntnisse.

Versorgungsoptionen im Seitenzahnbereich

Auf Implantatkongressen geht es oft um die Front, die ästhetische Zone, mit anspruchsvollen, komplexen Fällen, Hart- und Weichgewebsmanagement, aufwendiger Prothetik. Aber viele Patienten benötigten Versorgungen im Seitenzahnbereich. Genau diesen Fragen widmeten sich mehrere Sessions. Natürlich ist auch hier implantatgetragene Prothetik eine gute Option – aber welche? Und was, wenn der Patient keine Implantate, sondern eine andere minimal-invasive Lösung möchte? Damit befasste sich eine Session am Donnerstag.

Alternative vollkeramische Klebebrücke

Die Klebebrücke, bevorzugt aus Zirkoniumdioxid, ist bei entsprechendem Design – vor allem ausreichend Flügel-Auflagefläche für besseren Halt– eine langzeitstabile Lösungsmöglichkeit für Patienten, die keine Implantate wünschen und wo Nachbarzähne nicht zur Aufnahme einer Brücke beschliffen werden sollen. Dieses Fazit zog PD Dr. Anja Zembic (Schweiz) in ihrem Vortrag und dankte Dr. Urs Brodbeck für die breite Datenbasis, die er dazu erarbeitet hat. Sie schlug diese Lösung für Angstpatienten, aber auch für ältere Patienten vor, bei denen chirurgische Eingriffe zu belastend wären oder wo die für Implantate nötige Mundhygiene nicht gewährleistet werden kann. Die resin-bonded Bridge sei minimal-invasiv, günstig, nicht chirurgisch, metallfrei, leicht zu reparieren – und eröffne immer noch die Option für eine andere Versorgung.

Cantilever-Brücken auf Implantaten

Vincent Donker, Nachwuchsforscher aus Groningen, befasste sich mit der Option, benachbarte Zähne mit Cantilever-Brücken auf Implantaten zu ersetzen. Sowohl klinisch als auch in den Studien erwiesen sich implantatgetragene Cantilever-Brücken als langzeitstabile Lösungen, wenn die Regeln für eine gute Implantatposition und das Design der Prothetik beachtet würden. Konische Implantat-Abutment-Verbindungen seien stabiler, verschraubte Lösungen für die Nachsorge besser zu handhaben. Der Cantilever-Anhänger sollte nicht mehr als acht Millimeter breit sein, der Konnektor mindestens neun Quadratmillimeter stark. Verschraubte monolithische Vollkeramikarbeiten aus Zirkoniumdioxid vermieden Chipping-Probleme. Vorsicht sei bei Patienten mit funktionalen Problemen geboten. Insgesamt seien Cantilever-Brücken eine gute Lösung, aber nicht die erste Wahl, wenn auch Einzelkronen auf Implantaten möglich seien, so Donker, der sich mit diesem Thema sowohl an der Universität als auch in der Praxis befasst.

Stiefkind posteriore Region – Option Sealing-Socket-Abutment

Eine weitere Session befasste sich mit den Problemen der Implantation im Seitenzahnbereich, die immerhin 50 Prozent der Implantationen ausmacht. Dass es im posterioren Bereich zu wenig Studien gibt, konstatierte der Belgier Prof. Dr. Stefan Vandeweghe in seinem Vortrag zu Sofortbelastung gegenüber konventioneller Belastung im posterioren Bereich.

Vor allem im Unterkiefer treten bei verzögerten und Spät-Implantationen häufiger Rezessionen auf, so Dr. Gary Finelle (Frankreich) in seinem Vortrag. Das Problem sei dann häufig der spannungsfreie Nahtverschluss. Um sich einen Überblick über geeignete Vorgehensweisen zu verschaffen, empfiehlt er den neuen „ITI Treatment Guide“ Band 14 „Immediate Implant Placement and Loading – Single or Multiple Teeth Requiring Replacement“ .

Die Sofortimplantation sei, wenn immer möglich, eine gute Option – aber auch hier mit dem Problem des spannungsfreien Nahtverschlusses. Er stellte daher das individuelle „Sealing Socket-Abutment“ (SSA) vor. Nach Extraktion und Implantation (ggfs. Auffüllen der Alveole mit Knochenersatzmaterial/Knochen) wird die OP-Wunde nicht durch eine Naht verschlossen, sondern durch ein auf die Dimension angepasstes Abutment, das wie ein Stopfen die Wunde verschließt. „Dabei geht es nicht um Ästhetik sondern um die Gewebedicke“, so Finelle. Die bereits vorliegenden Studien zeigten deutlich weniger Resorptionen als bei Verfahren mit konventionellem Nahtverschluss.

Chirurgische Periimplantitistherapie der allerletzte Schritt

Wie viele andere Themen, die im englisch- und deutschsprachigen Programm gespiegelt und von unterschiedlichen Referentinnen und Referenten auch unterschiedlich bewertet und behandelt wurden, fand sich auch das Thema Periimplantatis in mehreren Sessions. Der Freitagabend bot dazu ein hochkarätig besetztes Battle of Concepts zur chirurgischen Periimplantitistherapie. Die chirurgische Periimplantitistherapie sei immer der letzte Schritt, waren sich PD Dr. Ausra Ramanauskaite, Prof. Lisa Heitz-Mayfield, Dr. Alberto Monje, Prof. Elena Figuero und Prof. Gil Alcoforado in der Diskussion einig. Zuvor sollten, wie Ramanauskaite beschrieb, alle anderen Probleme beseitigt werden. Eine hygienefähige Prothetik schaffen (die Prothetik sollte für die Behandlung möglichst abgenommen werden, so Heitz-Mayfield), die Mundhygiene verbessern, vorhandene Parodontitis behandeln etc. Sie verwies auf das Konsensuspapier der EAO von 2022 und die Empfehlungen der EFP dazu.

Mit non-invasiven Verfahren beginnen

Begonnen werden solle mit non-invasiven Verfahren der Reinigung, wie Airflow, Laser oder Spülungen, auch wenn die Evidenz nicht immer gut sei. Die Patienten profitierten häufig trotzdem davon. Systemische Antibiotikagaben dagegen zeigten in Studien wenig Nutzen. Ziel sei es, Taschen und Entzündungen zu beseitigen. Fehle es an Weichgewebe, sei eine Weichgewebsaugmentation in Erwägung zu ziehen.

Titanbürstchen zur Reinigung der Implantatoberflächen

Reiche das nicht aus, sei ein chirurgischer Eingriff nötig, um die Implantatoberfläche zu reinigen. Alle Referenten bevorzugten dafür Titanbürstchen, sie seien effektiv und einfach anzuwenden. Möglich sei auch eine Implantoplastik, das Abfräsen der Implantate, da sich auf einer glatten Oberfläche weniger Plaque anlagere. Es gebe kein Standardkonzept für die Periimplantitistherapie, das für alle passt. Alle Referenten verwiesen auf die erforderliche engmaschige Kontrolle und Erhaltungstherapie. Heitz-Mayfield empfahl zur Orientierung den neuen ITI Treatment Guide Band 13 „Prevention and Management of Peri-Implant Diseases“.
 

 

Von der Henne und dem Ei bis zur Kaffeemaschine

In den DGI-Sessions am Freitagmorgen ging es um immunologische Aspekte, Immunantworten, Zellkommunikation und das Mikrobiom der Mundhöhle. Prof. Tobias Fretwurst, Prof. Daniel Jönsson und Prof. Asaf Wilensky diskutierten die Frage nach dem Ursprung periimplantärer Erkrankungen mit unterschiedlichen Herangehensweisen: Fretwurst untersuchte die Zusammensetzung des gesunden und des periimplantären Mikrobioms, auch aus der Erkenntnis heraus, dass immunologische Aspekte bisher wenig berücksichtigt wurden. Seine Erkenntnis: Jeder Patient hat sein eigenes Mikrobiom, gesunde wie kranke Patienten weisen ein sehr breites bakterielles Spektrum auf, das weder eine typisch physiologische och eine typisch pathologische Einteilung erlaubt. Diese individuelle Ausprägung wurde übrigens zuerst am mikrobiellen Innenleben von Kaffeemaschinen festgestellt und nennt sich entsprechend das Kaffeemaschinenprinzip, so Fretwurst.

Jede Periimplantitis ist anders

Doch nicht nur das Mikrobiom ist unspezifisch, die immunologische Antwort des Patienten ist es auch. „Periimplantitis ist nicht gleich Periimplantitis“ wenn man sich die immunologische Situation hinsichtlich Zellen und Mikrobiom anschaut. Und wie sich Immunsituation und Mikrobiom gegenseitig bedingen beziehungsweise welcher Faktor die Entwicklung zur Periimplantitis auslöst, ist nach wie vor die Millionen-Euro-Frage. Fretwursts weitere Forschungen gehen in Richtung Entzündungsmediatoren und deren Ausprägung bei gesunden versus kranken Menschen.

Dysbiose und Periimplantitis – Huhn oder Ei?

Prof. Dr. Daniel Jönsson ging verstärkt auf die Dysbiose bei einer periimplantären Infektion ein, ihn beschäftigte allerdings das gleiche Problem wie beim Huhn und dem Ei und was zuerst da ist, übertragen: Ist die Dysbiose eine Ursache oder ein Effekt der Periimplantitis? Folgende Aussagen diskutierte er in seinem Vortrag:

  • die Behandlung von Periimplantitis hat eine nicht allzu hohe Erfolgsquote über fünf Jahre (etwa 63 Prozent)
  • bei Parodontitis und Periimplantitis finden sich oft die gleichen Bakterienspezies
  • die Ausprägung der Periimplantitis korreliert positiv mit dem Schweregrad der Dysbiose
  • regelmäßige unterstützende Behandlung senkt die Wahrscheinlichkeit  für Periimplantitis, Plaque erhöht die Entzündung im Gewebe.

Jönssons Fazit: Schon allein evolutionsbiologisch sind die Bakterien der Boss! Sie waren schon vor uns da, wir bestehen aus mehr Bakterien als eigenen Zellen, nach dem Tod übernehmen sie sehr schnell die endgültige Kontrolle. Probiotika haben keinen Effekt auf die mikrobiologische Zusammensetzung in periimplantitischem Mileu, allerding wurde hier hauptsächlich Lactobazillus reuteri eingesetzt. Andere Spezies wie Streptococcus dentisani könnten interessante Effekte haben, jedoch sei der Einsatz von Probiotika bei Plaque um die Implantate „wie Öl ins Feuer zu gießen“. Am wichtigsten ist laut Jönsson die regelmäßige Plaqueentfernung.

Auch Prof. Asaf Wilensky beschäftigt das Henne-und-Ei-Problem bei Periimplantitis. Sie ist für ihn mehr als eine bakterielle Infektion. Bei Mäusen konnten immerhin Unterschiede in der immunologischen Zellzusammensetzung rund um Zähne versus rund um Implantate festgestellt werden, so fanden sich im periimplantären Gewebe fast keine der entzündungsreduzierend agierenden Langerhans-Zellen. Auch Veränderungen in bakteriellen Spezies konnte er feststellen. Eine Antibiotikatherapie senkte die bakterielle Belastung und reduzierte Knochenverluste, konnte sie jedoch nicht ganz vermeiden, da hier die lokale Immunitätslage eine Rolle spielt. Außerdem baut sich die Bakterienflora allmählich wieder auf. Interessant waren seine Ausführungen zum Einsatz des antiinflammatorisch wirkenden Lipid-Mediators Resolvin, der im Körper aus Omega-3-Fettsäuren synthetisiert wird und aktiv Entzündungsreaktionen durch die Inhibition der Immunzellmigration hemmt. Im Mäuseversuch konnte dadurch der Knochenverlust vermindert werden.

Abutments: Material und Form

Dr. Stefan Bienz untersuchte die Effekte von Material und die Oberfläche der Abutments auf die Gesundheit des periimplantären Gewebes. Sein Fazit: Bei der Auswahl des Abutments die Vielfalt der Materialien nutzen und versuchen, die biologischste Option zu wählen, die technisch noch ausreichend ist. Beim periimplantären Weichgewebe die vulnerable Zone berücksichtigen und die Materialien je nach Art und Level der Verbindung anpassen. Beim Abutmentmaterial gilt heute Zirkoniumdioxid aus biologischer Sicht als ideales Material für das Weichgewebe. Auf gut polierte, glatte Abutmentsflächen  achten.

Entspannung im Weichgewebe

Dr. Oscar Gonzales Martin stellte die Zusammenhänge des Emergenzprofils und periimplantärer Gesundheit vor. Er plädierte für ein im submukösen Bereich konkaves Profil, um eine Komprimierung des Weichgewebes (erkennbar an Blutleere im Gewebe) zu vermeiden. Das Bindegewebe muss sich entspannen können!

Ästhetik und Phonetik – auf das Provisorium kommt es an

Am Nachmittag ging es in der DGI-Session als erstes um die Rolle des Provisoriums für die Ästhetik und Lautbildung. Etwa sieben von zehn Patienten entwickeln mit den „neuen Zähnen“ auf einmal eine neue Phonetik, vor allem S- und F-Laute sind oft verändert. Prof. Rudolf Führhäuser plädierte in seinem Vortrag dafür, die Ausgangssituation des Patienten durch Scan oder Modell stets zu dokumentieren. Eine Veränderung sollte nur im Wissen um die Wünsche des Patienten und nur in Kenntnis der Ausgangssituation stattfinden. Die Lautbildung dient als funktionelle Referenz für die Veränderung der Frontzähne.

Prof. Christian Hammächer stellte Ursachen für Misserfolge in der Frontregion vor. Sein Fazit: Genaue individuelle Analyse der Misserfolgsursache sowie der Patientenanspruch sind richtungsweisend für die unterschiedlichen korrektiven Maßnahmen. Die Rezessionsdeckung am Implantat ist machbar, jedoch weniger voraussagbar als am natürlichen Zahn. Wichtig ist eine „Rezessionsprophylaxe “ im Rahmen der Implantattherapie durch sorgfältige Positionierung (nicht zu bukkal in der Front), Augmentation und Weichgewebsoptimierung.

Erkrankungen der Kieferhöhle

Am Nachmittag ging es um Erkrankungen der Kieferhöhle. Michael Krimmel stellte den aktuellen Stand vor. Erkrankungen der Kieferhöhle und Implantate/Augmentationsmaterial beeinflussen sich gegenseitig. Die Physiologie der Kieferhöhle beruht vor allem auf einer funktionierenden mukoziliaren Clearence und einem offenen Infundibulum, der physiologischen Verbindung von Kiefer- und Nasenhöhle. Die Osseointegration des Implantats beziehungsweise die Integration des Augmentationsmaterials ist entscheidend. Die Erfolgsrate für Implantationen ist erstaunlicherweise auch bei Sinusitis maxillaris hoch.

Transkrestaler Sinuslift – auf die Erfahrung kommt es an

Den transkrestalen Sinuslift (TS) stellte Prof. Georg Mailath-Pokorny näher vor und verglich ihn mit dem lateralen Sinuslift (LS). Beim TS wird ein transkrestaler Zugang durch Osteotome aufsteigender Größe geschaffen. Die Schneidersche Membran wird dadurch bis zu drei Millimeter angehoben, ab diesem Wert erhöht sich die Rupturgefahr. Wichtige Punkte für einen erfolgreichen Transcrestalen Sinuslift sind für ihn eine Einzelzahnlücke, Entzündungsfreie Kieferhöhle, keine vorherigen Operationen in diesem Bereich, die zu Vernarbungen der Schneiderschen Membran führen könnten, eine Restknochenhöhe von vier Millimetern, eine transversale Breite des Kieferknochens von höchstens einem Millimeter. Eine Füllung mit Knochenersatzmaterial ist nicht notwendig. Sollte es zur Membranruptur kommen, erfolgt keine Auffüllung. Ein ein bis zwei Millimeter in die Kieferhöhle ragendes Implantat wird mit der Zeit von Schleimhaut überwachsen. Es gibt kein perfektes Verfahren, die Erfahrung des Anwenders ist ausschlaggebend.

Erstaunliche Resilienz der Kieferhöhle

Auch Christof Pertl bestätigte die erstaunliche Resilienz der Kieferhöhle gegen zahnärztliche Vorstöße: „Wir gehen hier in ein Feld, in dem wir eigentlich nicht zuständig sind – aber das recht erfolgreich!“ Er sieht wie Krimmel die Interaktion mit Fremdkörpern in der Kieferhöhle kritisch, da diese für allgegenwärtige Schimmelsporen wie Kristallisationskeime wirken können. Besonders beliebt bei Aspergillus und Co. sind zum Beispiel endodontische Materialien, die durch Überfüllung bis in die Kieferhöhle gelangen können. „Wir können nicht für den Erfolg der Behandlung garantieren, wir können nur sorgfältig behandeln“, so seine Erkenntnis.

Der ältere Patient – Pfeilervermehrung nutzen

Den Samstagmorgen eröffnete Prof. Stefan Wolfart in der DGI-Session „Der ältere Patient“ mit Konzepten zur Pfeilervermehrung bei herausnehmbarem Zahnersatz. Er plädierte für Zahnerhalt und gemischte Pfeiler für festsitzende Prothesen, da so die Taktilität und Feinmotorik beim Kauen erhalten bleiben kann. Mit beeindruckenden Patientenfällen zeigte er, dass Pfeilervermehrung funktioniert, und gab viele wertvolle Tipps für die Praxis. Den Oberkiefer teilt er beispielsweise bei der Planung in vier Quadranten ein und sorgt dafür, dass jeder Quadrant mit einem stabilen Pfeiler, ob Zahn oder Implantat versehen ist. Bei Zahn- und Implantatpfeilern arbeitet er oft mit Kugelkopf, da hier die Haftkraft gut einstellbar ist. Wichtig und für den Patienten stets mit einzukalkulieren ist der relativ hohe Pflege- und Nachsorgeaufwand. Recall- und Austauschtermine von zum Beispiel Ringen um den Kugelkopf oder Unterfütterungen sind unabdingbar.

Miniimplantate strategisch einsetzen

Prof. Dr. Torsten Mundt gab einen Überblick über Miniimplantate am Beispiel der durchmesserreduzierten MDI-Implantate mit selbstschneidendem Gewinde. Er empfiehlt vor allem den Einsatz bei schmalen Kieferkämmen und um Augmentationen zur vermeiden, und aus diesen Gründen auch bei Senioren und Patienten mit medizinischen Risiken. Vier Miniimplantate im zur Stabilisierung im Unterkiefer und sechs im Oberkiefer. Wenige strategische Miniimplantate bei reduzierter Restbezahnung erhöhen das Kauvermögen, die Zufriedenheit mit der Teilprothese und entlasten die natürlichen Pfeiler. Die Festigkeitswerte sind geringer als bei Standardimplantaten.

Zahnmedizin wird immer chirurgischer

Dr. Frank G. Mathers ordnete Sedierung in der Zahnarztpraxis ein. Der Bedarf an Sedierungen bei medizinischen Untersuchungen wächst, so auch in der Zahnmedizin. Immer mehr Kinder werden vor der Zahnarztbehandlung sediert, diese Patienten werden auch im Erwachsenenalter Sedierungen beanspruchen. Der Zahnarzt arbeitet bei Sedierungen mit seinen Mitteln in einem sicheren Bereich, schwierigere oder tiefere Sedierungen, in denen zum Beispiel die Atmung ständig kontrolliert werden muss, machen Anästhesisten wie Mathers. Die zunehmenden Anforderungen an Sedierungen bedürfen einer Leitlinie, formulierte Moderator Prof. Knut Grötz, „und die wird kommen!“

„Bevor wir Implantate setzen, haben wir alles in der Hand!“

Am Nachmittag wurde die S3-Leitlinie zur Periimplantitis unter die Lupe genommen. Prof. Eik Schiegnitz nahm das Publikum in einem Husarenritt mit durch die Prävention von Periimplantitis. Im Vorfeld können viele Weichen in Richtung erfolgreiches Implantat gestellt werden, denn „bevor wir Implantate setzen haben wir alles in der Hand!“ Dazu gehört, dass man die Mindestanforderungen an Hart- und Weichgewebe beachtet, die richtigen Abstände von Implantat und Abutment zu den Geweben einhält, die richtige Implantatposition (vertikal, orovestibulär, mesiodistal) wählt (vor allem im Oberkiefer nicht zu weit bukkal), am besten guided arbeitet. Darüber hinaus ist auf hygienefähige Prothetik zu achten und eine regelmäßige Nachsorge zu fahren. „Wer das beachtet, ist auf der sicheren Seite!“

Was tun, wenn‘s „saftelt“

Mit hohem Spannungsbogen vorgetragen und viel Beifall belohnt wurde der Beitrag von Prof. Dr. Michael Stimmelmayr zu einem hoffnungslosen Patientenfall. Die Patientin hatte ein Implantat Regio 11, einen lockeren 12 und schon sieben Operationen hinter sich. Was sie jedoch am meisten störte: „Seit zehn Jahren saftelt‘s bei mir im Mund“. Nach Explantation und Extraktion erfolgten diverse Eingriffe, Aufbauten und leider weitere Rückschläge, es bildete sich eine Verbindung zur Nase, es musste eine okklusale und eine horizontale autologe Knochenschale wieder entfernt werden, und noch diverse Male „saftelte“ es hier und da. Die endgültige Lösung mit zwei Implantaten ist von der rot-weißen Ästhetik her nicht völlig optimal, doch die Patientin, die eine niedrige Lachlinie hat, ist zufrieden, da es „nicht mehr saftelt“ – für sie der Punkt, unter dem sie am meisten gelitten hat. Stimmelmayrs Fehleranalyse: okklusale/horizontale Schale für vertikale Augmentation ist „gefährlich“ und ein Bindegewebstransplantat für den Weichgewebsverschluss sinnvoll.

Seine Take-home-Message: Implantatverlust durch Periimplantitis führt immer zu Hart- und Weichgewebsverlusten, multiplen Folgeeingriffen vor allem in der ästhetischen Zone und schlechteren Prognosen bei Nachimplantation. Demnach sei bei Erstimplantation immer die ideale Implantatposition zu planen, ein ideales Hart- und Weichgewebemanagement durchzuführen, auch wenn dies Mehraufwand bedeutet, und Alternativtherapien zu überdenken.

Vom Scannen und Schönrechnen

Die letzte DGI-Session richtete den Blick in die Zukunft. Die unter „Berliner Schnauze“ wie die unter „Wiener Schmäh“ laufenden Referenten waren sich einig, das die digitalen Features in der Zahnmedizin weiter Platz gewinnen werden. PD Dr. Guido Sterzenbach beschrieb den aktuellen Stand der digitalen Implantatprothetik. „Wir können alles scannen und vieles schönrechnen“ stellte er erstmal in den Raum. Zu beachten sei, dass bei Ganzkieferscans ab der Front die Abweichungen zunehmen. Je größer der Scankopf, umso genauer sei der Scan. Gegenüber Abformungen punkten Scanner zum Beispiel bei angulierten Implantaten mit der Genauigkeit, auch die Bibliotheken von Scanbodies erhöhen die Genauigkeit durch matchen mit dem Scanbody im Mund. Immerhin ist es heute tatsächlich schon möglich, eine Ganzkieferrestauration bis zur Verklebung von Primärkronen und Sekundärkonstruktion im Mund komplett digital herzustellen, ein analoges Modell ist erst nötig, wenn es um die Verblendung der Prothese geht.

Viele Anwendungen noch in den Kinderschuhen

Prof. Falk Schwendicke zeigte Prinzipien und Potenziale künstlicher Intelligenz auf und was in der Zahnmedizin möglich und sinnvoll ist. Seine Einschätzung: Daten und datengesteuerte Technologien gewinnen im Gesundheitswesen an Bedeutung. Viele Anwendungen stecken jedoch noch in den Kinderschuhen: Die Evidenz ist eng, die Umsetzung begrenzt. KI als wichtigster Ansatz für die Verarbeitung von Daten: hier müssen Fragen der Verzerrung, Robustheit und Transparenz beantwortet werden! KI wird die prothetische Diagnostik, Behandlungsplanung unterstützen. Personalisierte und präzise Pflege auf der Grundlage von Daten liegen aber noch in weiter Ferne.

Umfangreiche Fachausstellung und Workshops

Die Poster wurden digital präsentiert.
Die Poster wurden digital präsentiert.
(c) Marschall/Quintessence News
Begleitet wurde die Tagung wie immer von einer umfangreichen Fachausstellung und vielen Workshops und Hands-on-Trainings sowohl der EAO als auch der Industriepartner. Das bot den Gästen in Berlin umfassende Möglichkeiten, sich zu informieren und Dinge auch auszuprobieren – die auch gut angenommen wurden. Auch die viele ePoster fanden viel Beachtung.

Bei allen Konsensuskonferenzen, Konsensuspapieren, Treatment-Guides und Leitlinien gibt es zudem regional durch verschiedene Lehrmeinungen, Ausbildungs- und Forschungsschulen, unterschiedlichen Auffassungen der praktizierten Zahnmedizin, andere Anforderungen und Erwartungen der Patienten etc. zu den Fragestellungen und Themen der Implantologie unterschiedliche Ansätze und Lösungswege. Auch von dieser Vielfalt der Referentinnen und Referenten und ihrer Hintergründe lebt die EAO-Jahrestagung immer wieder.

Gut gereiftes Programm

Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake zeigte sich am Rande des Kongresses im Gespräch sehr zufrieden mit Teilnehmerzahlen und Programm. Er habe den Eindruck, dass viele der ursprünglich für 2020 gesetzten Themen über die drei Jahre fachlich, in der Studienlage und in der Praxis an Gehalt und Bedeutung gewonnen hätten. Die Qualität der Vorträge und die gute Resonanz bei den Teilnehmenden geben ihm da Recht.

Karen Nathan, Dr. Marion Marschall, Berlin

 

Quelle: Quintessence News Implantologie Fortbildung aktuell AI in Dentistry Zahnmedizin

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