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Prof. Dr. Ulrich Schiffner beim 18. Hamburger Zahnärztetag – „Fluoride – Auswahl, Applikation und Alternativen?“

(c) www.saschaventuri.com

„Die Karies ist schier im Sinkflug. Das ist unser Erfolg der Präventionsarbeit der letzten Jahrzehnte“, so Prof. Dr. Ulrich Schiffner beim 18. Hamburger Zahnärztetag, der Ende Januar 2024 stattfand. Er nannte weitere Gründe für den Präventionserfolg: „Es ist das Fluorid.“ Und auch die Fissurenversiegelung habe signifikant zum Kariesrückgang beigetragen.

Prävention sollte bereits bei den Kleinkindern anfangen, so Schiffner, aber sie greife in allen Altersgruppen. „Bei den jungen Erwachsenen ist die Prävention angekommen.“ Und auch Senioren besäßen heutzutage mehr Zähne als noch vor wenigen Jahrzehnten.

Problem Karies im Milchgebiss bleibt

„Eigentlich sind wir Weltmeister, was Prävention anbelangt“, erklärte der Referent. Wenn man sich allerdings die Milchgebisssituation anschaue, sähe das „nicht so rosig“ aus. Trotz Kariesrückgang in der Altersklasse bei 6- und 7-Jährigen habe fast jedes zweite Schulkind zur Einschulung Karieserfahrung (Daten aus 2016). Und von den betroffenen Zähnen seien nur etwa die Hälfte saniert. „Das ist kein Ruhmesblatt, daran müssen wir arbeiten.“ Regional gäbe es sogar Anzeichen eines Wiederanstieg der Karies. Und jedes siebte Kind habe im Alter von drei Jahren schon an 3,6 Zähnen Karies. „Davon müssen wir weg. Es besteht Handlungsdruck.“

Fluoridgehalt der Zahnpasta bei Kindern oft nicht ausreichend

Schiffner verwies auf verschiedene Studien mit Metaanalysen, die zeigen, dass Prävention mit Fluorid funktioniert: „Wir haben eine deutliche Evidenz, dass Fluoridzahnpasten effektiv der Karies vorbeugen.“ Hierbei sei zu beachten, dass je höher der Fluoridgehalt sei, auch die Kariesreduktion steige. Eine Kinderzahnpasta mit einem Fluoridgehalt mit 500 ppm für Kinder bis sechs Jahre funktioniere bei einigen Kindern „leidlich“, aber bei „Kind Nummer sieben“ klappe dies eben nicht.

So funktioniert Fluorid auf dem Zahn

Fluorid hat verschiedene Einzeleffekte. Hier hob der Referent zwei Aspekte hervor. Zuerst nannte er die Applikation auf der Zahnoberfläche: Auf der Zahnoberfläche reagieren Fluorid und Kalzium, es bildet sich eine Kalziumfluorid-Deckschicht, die eine Speicherschicht für Fluorid darstellt. Diese liege auf dem Zahn und warte darauf, dass sie gebraucht werde, erklärte Schiffner. Dieser Speicher werde durch zweimal tägliches Putzen mit Fluorid neu aufgebaut. „Clou Nummer eins der Fluoridwirkung: Ich habe eine Fluoridspeicherschicht, aus der bedarfsgerecht dann, wenn ich es brauche, und da, wo ich es brauche, Fluorid freigesetzt wird – und dann die übrigen Effekte ausüben kann.“

Wirkung des Fluorids im Zahn

Zum anderen betonte er die Bedeutung der Fluoridaufnahme in den Zahn: „Wir haben in den letzten Jahrzehnten gelernt, dass normalerweise im Zahn herzlich wenig passiert.“ Das Kristallgitter sei komplex und so weit inert, dass Fluorid praktisch nicht eindringen könne. „Es sei denn, wir haben Fehlstellen im Kristallgitter: eine Demineralisation, White Spots, eine beginnende Karies. Dann kann Fluorid eindringen, es bilden sich kristallähnliche Konglomerate, die an Fluorapatit erinnern. „Hierbei ist der Clou, dass dieses Fluorapatit schwerer in Lösung geht als der ursprünglich gesunde Zahnschmelz.“ Diesen Effekt habe keine der sogenannten Fluoridalternativen.

Keine Leitlinie, aber eine gemeinsame Empfehlung

Wie kann Fluorid verabreicht werden? Normalerweise seien diese Punkte in Leitlinien abzulesen. Bei der Leitlinie Fluorid gebe es aber noch immer den Hinweis, „Gültigkeit ist abgelaufen“. Schiffner: „Ich kann Ihnen aber mitteilen, wir arbeiten daran.“

Zunächst sei man sich mit den Kinderärzten nicht einig geworden. „Inzwischen sind wir weiter. Nicht auf dem Level einer Leitlinie, sondern auf dem Level einer Empfehlung und einem methodischen Herausarbeiten eines Kompromisses“, betonte Schiffner. Dafür seien alle „maßgeblichen Player“* dabei, und diese würden den Kompromiss mit tragen.

Der Kompromiss beinhalte zwar auch die tägliche Fluoridtablette, aber das sei „der Kompromiss, den wir eingegangen sind“. Dafür habe man ab dem Alter von zwölf Monaten das Zähneputzen mit 1.000 ppm Zahnpasten durchgesetzt. Inzwischen stünden auch die Kinderärzte hinter diesem Kompromiss.

1.450 ppm bei starkem Kariesrisiko auch schon ab vier Jahre

Mit den Empfehlungen folge man auch dem Beispiel anderer Länder. Die European Academy of Paediatric Dentistry sei sogar noch „ein Tickchen mutiger“: Wenn ein vier- oder fünfjähriges Kind mit hohem Kariesrisiko (zum Beispiel White Spots) in die Praxis komme und schon ausspucken könne, dann seien Zahnärzte geradezu dazu verpflichtet, zu überlegen, ob bei diesem Kind nicht auch schon die 1.450-ppm-Zahnpasta angebracht wäre. „Das ist eine ärztliche Entscheidung“, so Schiffner. „Haben Sie den Mut dazu. Europa hat den Mut, und ich kann das hier auch nur stark propagieren.“

Antworten auf Elternfragen

Für einige Fragen, die Eltern zu den Empfehlungen häufig in der Praxen stellen, lieferte Schiffner Antworten:

  • Wie ist es, wenn die Zähne in der Kita ein drittes Mal mit einer fluoridhaltigen Zahnpaste geputzt werden? – „Ist mit eingepreist in unsere Empfehlungen“, versicherte er.
  • Was ist, wenn die empfohlene Reiskorngröße (5 Millimeter) nicht richtig dosiert werden kann? – Fluorosegefahr bestehe erst ab doppelter Erbsengröße. Schiffner rät, die Eltern aufzufordern, beim nächsten Zahnarztbesuch die Zahnputzutensilien mitzubringen und die exakte Dosierung vorzuführen. Dies sei im Rahmen der FU Pr sehr gut möglich. Sein Tipp für die Reiskorngröße: Die Zahnpasta sollte nicht längs auf das Borstenfeld aufgetragen werden, sondern quer.
  • Auf die Frage, welches Fluorid bevorzugt werden sollte, antwortete Schiffner: Ionischen Fluoride (Natriumfluorid, Zinnfluorid und Aminfluorid) seien aufgrund ihrer schnell verfügbaren Fluoridanteile wirkungsvoller. In Laborversuchen würden Aminfluoride besser abschneiden, allerdings „nicht im täglichen Leben“. Für ihn gelte: „Hauptsache Fluorid. Alles anders ist nachrangig.“

Wirksamkeit verschiedener Darreichungsformen

Fluoridhaltige Mundspüllösungen: Die Wirksamkeit von fluoridhaltigen Mundspüllösungen werde heutzutage kontrovers gesehen. Diese würden durch die gestiegene Verfügbarkeit des Fluoridanteils in Zahnpasten keine zusätzliche Wirkung zeigen – außer bei erhöhtem Kariesrisiko (zum Beispiel KfO-Patienten, Senioren).

Fluoridgelees: Diese Gelees zeigten eine mittlere Kariesreduktion.

Fluoridlacke: Für Schiffner sind die Fluoridlacke für alle Altersgruppen indiziert; nicht nur zur Kariesprophylaxe, sondern auch bei überempfindlichen Zähnen. Im bleibenden Gebiss gebe es selbst bei Nutzung fluoridhaltiger Zahnpasten eine sehr hohe Kariesreduktion (43 Prozent). Und auch hier seien die hochkonzentrierten Lacke besonders wirksam.

Im Milchgebiss sorgen die Lacke laut Schiffner um eine 37-prozentige Kariesreduktion. „Das ist eine Hausnummer“, betonte er. Er zitierte das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): „Fluoridlack trägt wirksam zur Remineralisation der Zahnoberfläche bei und verhindert die Entstehung und das Fortschreiten von Karies. Speziell bei kleinen Kindern bietet der Einsatz von Fluoridlack Vorteile […].“

„Fluorid-Alternativen“ können nicht mithalten

„Jeder Stoff, der […] besser sein will, muss erst einmal zeigen, dass er das kann“, so der Referent. Hier nannte er CPP-ACP (TouthMousse, GC), Hydroxylapatit und Xylit. Nach Studienlage wirke CPP-ACP besser als ein Placebo, aber schlechter als Fluorid. Xylit wirke in vivo karieshemmend; aber nur dann, wenn es täglich über eine Stunde mit 4 Gramm reinem Xylit mit einem Kaugummi gekaut werde. Selbst dann habe es schlechtere Werte als Fluorid.

Studienlage zu Hydroxylapatit

Schiffner stellte zur Wirksamkeit zu Hydroxylapatit (HAP) drei klinische Studien vor, von denen eine mit deutschen Jugendlichen durchgeführt wurde, die eine KfO-Apparatur trugen. Hier putzte eine Gruppe sechs Monate mit einer Hydroxylapatit-Zahnpasta, die Vergleichsgruppe mit einer etablierten 500-ppm-Fluoridzahnpasta.

Die Ergebnisse seien am Ende der Studie in beiden Gruppen zwar gleich gewesen. Aber: In der HAP-Gruppe fand alle vier Wochen eine Kontrolle statt, ab dem zweiten Besuch wurde stets eine PZR durchgeführt und ab dem dritten Besuch seien die Zahnoberflächen alle vier Wochen mit jeweils 1 Prozent Chlorhexidin-Lack touchiert worden. „Wenn Sie das machen … dann kommt tatsächlich raus, dass der Einfluss der Zahnpaste bei diesen Hochrisiko-Jugendlichen zu vernachlässigen ist. Aber nur unter dieser Bedingung“, erklärte Schiffner, der deutlich auf das hohe Verzerrungsrisiko der Studien und den sehr niedrigen Evidenzgrad hinwies.

Studienergebnisse wurden vermischt

Zu Studien, in denen eine Verbindung zwischen Fluorid und geistiger Leistungsfähigkeit angenommen wurde, bezog Schiffner ebenfalls Stellung. Neben den Fluorid-IQ-Studien aus Kanada und Mexiko („methodisch nicht in Ordnung“), die vor einiger Zeit durch die Presse gingen, stellte er auch die neueste Studie zu diesem Thema vor: „Da tut sich gar nichts. Das ist für mich die Kernaussage dieser Studie.“ Trotzdem vermittle der Studientitel den Eindruck, „wir hätten hier ein Problem“. Schiffner erklärte: Das Odense Child Center (OCC) habe keine Assoziation gefunden zwischen der Intelligenz und den niedrigen Leveln der Fluorid-Exposition. Dann wurde diese Studie gemischt mit den methodisch unzureichenden Studien aus Mexiko und Kanada – und in der veröffentlichten Arbeit (European Journal of Public Health)doch ein Effekt konstatiert. „Ja, wo sind wir denn hier in der Wissenschaft“, empörte er sich.

Diese Studie sei im November 2023 erschienen und werde wohl „jetzt den Gang durch die Journaille antreten und ich schätze, in wenigen Wochen kommen die ersten Eltern auch bei Ihnen damit an“, richtete er sich an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Hamburger Zahnärztetags.

Schiffner schloss seinen Vortrag mit einem klaren Statement: „Fluorid ist zentraler Pfeiler der Kariesprävention.“ Es gebe hierzu keine Alternative.

Birgit Strunk/Quintessence News

* Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde, Deutsche Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde, Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft, Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (Ausschuss Prävention), Bundesinstitut für Risikobewertung, Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege

Quelle: Quintessence News Prävention und Prophylaxe Patientenkommunikation Team Fortbildung aktuell

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