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Zahnärztliche und ärztliche Versorgung in Sachsen-Anhalt stark unter Druck  – Fachkräftemangel, realitätsferne Spargesetze und zu wenig Nachwuchs

Zahnärztekammerpräsident Dr. Carsten Hünecke (Mitte) und Dr. Jochen Schmidt, Vorstandsvorsitzender der KZV (rechts), machten auf die schwierige Situation der Zahnärzteschaft in Sachsen-Anhalt aufmerksam. (Ganz links: Ärztekammerpräsident Prof. Uwe Ebmeyer)

(c) Viktoria Kühne

Für die Ärzte- und Zahnärzteschaft in Sachsen-Anhalt ist die Situation im Augenblick alles andere als einfach. Das machten die Vertreter der Kammern und Kassenärztlichen Vereinigungen der beiden Berufsstände beim Pressegespräch am Rande des Neujahrsempfangs der Heilberufler Sachsen-Anhalt am 11. Januar 2023 in Magdeburg deutlich. Auch Apotheker und Tierärzte kämpfen mit vielen Problemen.

„Die Politik setzt Scheuklappen auf, wenn es darum geht, die Situation der zahnärztlichen Versorgung im Land zu bewerten“, erklärt der Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt, Dr. Jochen Schmidt. Im Rahmen des Pressegesprächs am Rande des Neujahrsempfangs der Heilberufler Sachsen-Anhalt am 11. Januar 2023 erklärt er, dass Sachsen-Anhalt schon heute ausreichend Zahnärztinnen und Zahnärzte fehlen, um alle Menschen bedarfsgerecht zu versorgen.

KZV-Vorstandsvorsitzender Dr. Jochen Schmidt
KZV-Vorstandsvorsitzender Dr. Jochen Schmidt
Foto: Viktoria Kühne
Die Zahnärzteschaft in Sachsen-Anhalt blickt derzeit auf immense Herausforderungen bei der Sicherstellung der vertragszahnärztlichen Versorgung. Wegen fehlendem Nachwuchs und immer mehr Zahnarztpraxen, deren Besitzer altersbedingt in den Ruhestand gehen, aber zusehends seltener einen Nachfolger finden, ist die flächendeckende Sicherstellung der vertragszahnärztlichen Versorgung und somit die Mundgesundheit der Bevölkerung Sachsen-Anhalts gefährdet.
Der KZV-Vorstandsvorsitzende Dr. Jochen Schmidt erklärt: „Immer mehr GKV-Versicherte wenden sich an die Kassenzahnärztliche Vereinigung und die Zahnärztekammer in Sachsen-Anhalt, weil sie keine Zahnarztpraxis mehr finden, die sie als Neupatienten aufnimmt. Die Kapazitäten von Praxen sind in vielen Regionen des Landes schlichtweg erschöpft. Wer auf der Suche nach einer Zahnarztpraxis noch fündig wird, kann sich glücklich schätzen“.

Kapazitäten der Praxen erschöpft, Kollegenschaft überaltert

Diese Einordnung wird auch von einer aktuellen Umfrage unter den Zahnarztpraxen im Land bestätigt. Von circa 200 teilnehmenden Praxen antwortete nur jede zweite, dass sie noch Neupatienten aufnehmen kann. 83 Prozent gaben an, dass sie täglich oder mehrmals pro Woche Anfragen von Zahnarztsuchenden erhalten.
Nach Einschätzung der KZV Sachsen-Anhalt wird sich diese Situation in den nächsten Jahren weiter verschärfen, weil mehr als 60 Prozent der noch aktiven Zahnärztinnen und Zahnärzte älter als 55 Jahre sind. Ein Teil sei bereits im Rentenalter, arbeite aber noch weiter, damit ihre Patientinnen und Patienten nicht in ein Versorgungsloch fallen. Mit jeder weiteren Praxis, die schließt, müssen sich zwei- bis dreitausend Patientinnen und Patienten auf die Suche nach einer neuen Zahnarztpraxis machen. Da bis 2030 mehrere hundert Praxen aus der Versorgung ausscheiden, erwartet die KZV Sachsen-Anhalt eine massive Versorgungslücke mit Folgen für die Mundgesundheit der Bevölkerung. Denn ausbleibende Kontrolluntersuchungen und fehlende Präventionsleistungen können auf Dauer zu schwerwiegenden Problemen der Zahngesundheit führen.

Akuter Handlungsbedarf

Die politisch Verantwortlichen im Land verweisen demgegenüber darauf, dass der Versorgungsgrad für Sachsen-Anhalt derzeit rechnerisch knapp über 100 Prozent liege und eine Unterversorgung erst bei einem Versorgungsgrad von unter 50 Prozent gegeben sei. Der KZV-Vorsitzende hat dafür völliges Unverständnis: „Ein Versorgungsgrad von 100 Prozent bedeutet nicht, dass die Bevölkerung im Land zu 100 Prozent bedarfsgerecht versorgt wird“, erklärt Schmidt. Exemplarisch dafür sei die Landeshauptstadt Magdeburg, wo es für die Bürger trotz eines rechnerischen Versorgungsgrads von knapp 100 Prozent spürbar schwieriger wird, zeitnahe Behandlungstermine zu erhalten und viele Neupatienten auf der Suche nach einer behandelnden Praxis bereits auf andere Regionen ausweichen.

Schmidt sieht daher akuten Handlungsbedarf: „Wenn wir die zahnärztliche und kieferorthopädische Versorgung im Land weiterhin sicherstellen wollen, muss die Politik endlich aufwachen.“ Die Zahnärzteschaft hat bereits vielfältige Maßnahmen umgesetzt. Die KZV Sachsen-Anhalt ist die erste bundesweit, die ein verbindliches und systematisches Programm zur Nachwuchsgewinnung aufgebaut hat. Von der Landesregierung fordert die KZV Sachsen-Anhalt unter anderem die Einführung einer Landeszahnarztquote, aber auch finanzielle Unterstützung für Nachwuchskräfte, die sich zur zahnärztlichen Tätigkeit im Land verpflichten.

„Markt für Personal leergefegt“

Kammerpräsident Dr. Carsten Hünecke
Kammerpräsident Dr. Carsten Hünecke
Foto: Viktoria Kühne
Erschwerend kommt die schwierige Situation beim Fachpersonal hinzu, denn auch Zahnarztpraxen sind im Land zunehmend vom Fachkräftemangel betroffen, wie Zahnärztekammerpräsident Dr. Carsten Hünecke anlässlich des Neujahrsempfangs verdeutlichte: Zwar bleibt der Zahnärztin oder dem Zahnarzt das Behandeln der Patientinnen und Patienten überlassen, doch ohne das Praxisteam im Hintergrund läuft in einer Praxis (fast) nichts. Längst assistieren ZFA nicht mehr nur am Behandlungsstuhl, sondern haben von der Abrechnung und Dokumentation über die Hygiene bis hin zur Praxisorganisation ein breites, anspruchsvolles und interessantes Arbeitsfeld mit Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten.

Doch nicht nur die Zahnärzteschaft in Sachsen-Anhalt überaltert, der demografische Wandel zeigt sich auch bei den Praxisteams – viele Mitarbeiterinnen erreichen in den kommenden Jahren das Rentenalter. „Der Markt für Personal im Land ist quasi leergefegt. Die Praxen bilden zwar pro Jahr rund 100 neue ZFA aus, aber das reicht nicht, um den künftig weiter wachsenden Bedarf zu decken“, warnt Hünecke, Zahnarzt aus Magdeburg. Die Bundesagentur für Arbeit stuft den ZFA-Beruf in ihrer Fachkräfteanalyse bereits als Engpassberuf ein.

Bei den Löhnen nicht mehr konkurrenzfähig

Längst konkurrieren Zahnarztpraxen mit großen Betrieben und dem Öffentlichen Dienst um Fachkräfte – und haben oft das Nachsehen, denn in Zeiten rasant steigender Energie- und Materialkosten oder zuletzt der Budgetierung des Praxiseinkommens durch das GKV-FinStG sind sie bei der Lohnentwicklung nicht mehr konkurrenzfähig. „Seit 1988 gab es in der privaten Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) keine Punktwertanpassung mehr. Hier wird aber die Hälfte des Praxiseinkommens erwirtschaftet“, kritisiert Hünecke. Deshalb müssten die Vergütungssysteme der zahnärztlichen Versorgung die Leistungen des Berufs, die sich auch und gerade in der zurückliegenden Pandemie zeigten, stärker abbilden – dann erhielten die Praxen als Arbeitgeber auch die notwendigen Spielräume für Gehaltssteigerungen und bleiben als Arbeitgeber konkurrenzfähig, forderte der Kammerpräsident.

Schwierige Rahmenbedingungen durch Politik noch verschärft

Zur schwierigen Gesamtsituation der Zahnärzteschaft im Bundesland trage auch das gerade erst verabschiedeten GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) bei, so der KZV-Vorstandsvorsitzende Schmidt: „Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch für die vertragszahnärztliche Versorgung haben sich durch die aktuelle Krisensituation mit stark steigender Inflation und entsprechendem Kaufkraftverlust sowie einer Explosion insbesondere der Energiepreise deutlich verschlechtert.“ Mit dem im Oktober 2022 vom Bundestag verabschiedeten GKV- Finanzstabilisierungsgesetz hat der Gesetzgeber entgegen den Warnungen der Zahnärzteschaft eine verschärfte Rückkehr zur strikten Budgetierung der zahnärztlichen Gesamtvergütungen und zur Begrenzung der Preise (Punktwerte) beschlossen.

Keine Unterstützung, neue Belastungen

„In einer bereits prekären Versorgungssituation fehlt der Zahnärzteschaft somit nicht nur die notwendige politische Unterstützung. Die Politik bürdet der Vertragszahnärzteschaft zudem auf, hohe wirtschaftliche Belastungen zu stemmen und weiterhin Leistungen vollständig zu erbringen, ohne dass die dafür erforderlichen Mittel bereitgestellt werden.“ Die abzusehende Verschlechterung der Mundgesundheit der Bevölkerung Sachsen-Anhalts hätten somit letztlich diejenigen zu verantworten, die den Sparplänen des Bundesgesundheitsministeriums in Form des GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zugestimmt haben.

Situation auch bei den Ärzten schwierig

Diese Probleme bestätigten auch die Vertreter der Ärzteschaft. Spare die Politik an der medizinischen ambulanten und stationären Versorgung, spare sie auf Kosten der Gesundheit ihrer Bürger. Das betonen Dr. Jörg Böhme, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt, und Prof. Uwe Ebmeyer, Präsident der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, unisono. Schon lange werde das Gesundheitswesen nicht mehr auskömmlich finanziert, bei den aktuell steigenden Kosten spitzt sich die Lage nun dramatisch zu.

„Erst die Corona-Pandemie, nun die Energie- und Inflationskrise. Die Arbeit, die die Praxen leisten, braucht mehr Beachtung und Wertschätzung“, fordert Dr. Jörg Böhme. Die Ärzte und ihre Teams versorgen aufgrund des zunehmenden Ärzte- und damit Arztzeitmangels immer mehr Patienten. Digitale Neuerungen, die nicht reibungslos funktionieren, stören den Praxisalltag. Dazu kommen die aktuell extremen Steigerungen der laufenden Kosten. „Die Praxen stehen unter Volllast, die Teams gehen fast täglich bis an ihre Grenzen“, so Dr. Böhme.

Mehr Medizinstudienplätze, Ausbildungsoffensive Nachwuchs im Land halten

Ärztekammer und KVSA fordern, dass es statt immer neuer Belastungen endlich Entlastungen geben muss. Nicht nur auf dem (Koalitions-)Papier, sondern in der Realität. Um zukünftig die medizinische Versorgung sicherzustellen, müsse es endlich mehr Medizinstudienplätze geben. Neben der Vielzahl der Maßnahmen, die die KVSA und die Kammer bereits bieten, müsse die Politik direkt unterstützen, damit Medizinstudierende und junge Ärzte in Sachsen-Anhalt bleiben, sich insbesondere im ländlichen Raum niederlassen und im ambulanten Bereich weiterbilden. Praxen und Kliniken müssen bei Sonderbelastungen Ausgleiche erhalten, um die steigenden Kosten und die Inflation ein Stück weit kompensieren zu können.

Ebmeyer sieht medizinische Einrichtungen in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht, sollte es keine schnellen Hilfen geben. Zu den horrenden Energiekosten kommt der Mangel an Fachkräften im Gesundheitswesen. „Wir verlangen eine Ausbildungsoffensive und fordern eine deutschlandweite Erhöhung der Medizinstudienplätze. Nur das ist sinnvoll, statt Unsummen in den Aufbau arztfremder medizinischer Versorgungsstrukturen zu investieren“, so Ebmeyer.

Kritik von den Apothekern

Kritik an der aktuellen Politik kam auch von den Apothekern: „Die Ökonomisierung im Gesundheitswesen ist gescheitert. Im Ergebnis sehen wir nun massive Lieferengpässe. Momentan verwenden wir viel zu viel Zeit für das Managen der Lieferprobleme. Das bindet Personal und Geld. Beides fehlt uns“, erklärt Mathias Arnold, Vorsitzender des Landesapothekerverbands Sachsen-Anhalt (LAV). Die Rabattverträge der Krankenkassen hatten die Jagd nach immer billigeren Arzneimitteln eröffnet. Das führte zu monopolartigen Strukturen in der globalisierten Welt. Das Versagen der Lieferketten und zu wenige Hersteller und Anbieter von Arzneimitteln sind eine Ursache für diese katastrophale Versorgungssituation.

Die Politik habe zwar mittlerweile das Problem erkannt und wolle handeln. Arnold: „Die Stellschrauben sind gesetzt. Nun muss die Feinjustierung folgen. Der Grundgedanke ist richtig, dass der Arbeitsaufwand in den Apotheken entlohnt wird. Denn wir übernehmen Aufgaben in der Versorgung unserer Patienten, die bisher nicht in der Grundvergütung enthalten sind. Die avisierte Honorierung für das Lieferengpassmanagement bildet jedoch die betriebswirtschaftliche Realität in keiner Weise ab.“ Hohe Dokumentationspflichten, Bürokratie und Regresse belasteten die Apotheken. Zudem gebe es einen sehr hohen Beratungsbedarf aufseiten der Apothekenkundschaft.

Probleme gibt es auch bei den Tiermedizinern in Sachsen-Anhalt. Es fehlt trotz leicht gestiegener Kopfzahl an Tierärzten in der Fläche und am Personal, strenge Arbeitszeitregeln hätten dazu geführt, dass es keine tierärztliche Klinik mit einem 24-Stunden-Angebot mehr gäbe. Andere Ansprüche an die Arbeitszeiten und neue bürokratische Auflagen und Meldepflichten belasteten die Arbeit und die Versorgung.

 

Reference: Politik med.dent.magazin Nachrichten

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