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Jahrestagung der Neuen Arbeitsgruppe Parodontologie (NAgP) beschäftigte sich mit Biofilmmanagement im Licht neuer Erkenntnisse

1. Vorsitzender der NAgP, Prof. Dr. Jamal Stein (Aachen) (links), und Schatzmeisterin der NAgP, PD Dr. Pia-Merete Jervøe-Storm (Universität Bonn) (rechts) führten durch die Tagung.

Am 16. Oktober 2021 fand die 29. Jahrestagung der Neuen Arbeitsgruppe Parodontologie (NAgP) statt. Sie war ursprünglich als Präsenzveranstaltung in Mainz geplant und musste kurzfristig aufgrund einer Verschärfung von pandemiebedingten Auflagen als Online-Tagung durchgeführt werden. Etwa 120 interessierte Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich für die NAgP-Tagung online registriert.

Der 1. Vorsitzende der NAgP, Prof. Dr. Jamal Stein (Aachen), eröffnete die Tagung und führte in das Thema ein. Biofilm-Management ist mittlerweile ein häufig gebrauchtes Wort. Letztlich geht es in der parodontalen Therapie seit Langem um die Entfernung supra- und subgingivaler bakterieller Zahnbeläge (Biofilme), wie das Abschlussreferat der Tagung noch eindrucksvoll zeigen wird. Die aktuelle evidenz­basierte S3-Leitlinie der European Federation of Periodontology (EFP) und der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) verschriftlicht letztlich ein Vorgehen, das in der Parodontologie seit 30 Jahren und länger etabliert ist. Als zentraler Auslöser der gingivalen und parodontalen Entzündung ist dentaler Biofilm nach wie vor ein lohnendes Thema, wie die Tagung der NAgP anschaulich zeigen konnte.

Biofilme – Welche Bedeutung haben sie für uns?

Prof. Dr. Hans-Curt Flemming, Gründer des Biofilm Centre an der Universität Duisburg-Essen, führte ein in den faszinierenden Mikrokosmos der Biofilme. Schätzungsweise 1030 Mikroorganismen (Bakterien und Archaeen), eine unvorstellbare Zahl, besiedeln die Erde. Davon finden sich 3 x 1029 im tiefen kontinentalen Untergrund, 4 x 1029 im tiefen ozeanischen Untergrund, 0,5 x 1029 in den oberen 50 cm des Sediments, 1029 im Ozean, aber nur 4 x 1023 beim Menschen. Wo begegnen uns Biofilme im Alltag? Überall: in der Küchenspüle, der Waschmaschine, aber natürlich auch in Wasserleitungen in der Praxis. Wie geht man damit um? Spülen, spülen, spülen! Durch Desinfektion können Mikroorganismen reduziert oder inaktiviert werden. Eine komplette Eradikation ist aber illusorisch. Einzellige Lebewesen existieren seit 3,5 Milliarden Jahren – eine beeindruckende Überlebensbilanz. Flemmings Fazit: Am Ende gewinnt immer der Biofilm!

Biofilminduzierte gingivale Erkran­kungen: Eine Standortbestimmung

Prof. Dr. Peter Eickholz (Universität Frankfurt am Main) stieg über die Beeinflussung des oralen Biofilms und seine Pathogenität für die Gingiva in das Thema ein. Die Veränderung der Ernährung von den Jägern und Sammlern zu den ersten Ackerbauern führte zu einer Vermehrung von Porphyromonas gingivalis im dentalen Biofilm. Gingivitis und Parodontitis sind also im engeren Sinne Zivilisationskrankheiten. Die Klassifikation der parodontalen Erkrankungen von 2018 definiert erstmalig gingivale/parodontale Gesundheit im intakten, aber auch im reduzierten/kompromittierten Parodont. Diese Definitionen beschreiben den Zustand, der nach erfolgreicher Parodontitistherapie erreicht werden soll, wo gingivale Entzündung im reduzierten Parodont endet (Sondierungstiefen ≤ 3 mm mit Bluten auf Sondieren [BOP]; ST ≤ 4 mm ohne BOP) und Parodontitis wieder beginnt. Diese Endpunkte legen die Messlatte sehr hoch und es muss überlegt werden, ob sie im klinischen Alltag regelhaft überhaupt erreicht werden können und müssen.

„Behavioral Change“ – Motivation in der systematischen Parodontal­therapie

Verhaltensänderung ist ein wesentliches Element parodontaler Therapie und hat als „sprechende Zahnmedizin“ Eingang in die neue Richtlinie für die systematische Parodontitistherapie gefunden. PD Dr. Christoph Ramseier (Universität Bern, Schweiz) widmete sich als internationaler Experte diesem Thema. Er illustrierte den Prozess der Verhaltensbeeinflussung mit den Bildern Feuer (Widerstand des Patienten), Wasser, mit dem das Feuer gelöscht werden kann (offene Fragen zu Vor- und Nachteilen zum Beispiel der Verbesserung der individuellen Mundhygiene), Luft (Vermittlung der Inhalte) und Erde (Stabilisierung des veränderten Verhaltens). Dieser Prozess erfolgt über Kommunikation. Der Zeitaufwand ist nicht unerheblich, zahlt sich aber aus, wenn die Verhaltensänderung gelingt.

Ein sauberer Zahn – trotzdem krank?

PD Dr. Gregor Petersilka (Würzburg und Universität Marburg) gab einen Überblick über die historische Einschätzung der Rolle der Mikro­organismen/des Biofilms in der Pathogenese der parodontalen Erkrankungen in den vergangenen gut 100 Jahren. Die moderne Parodontologie beginnt mit der unspezifischen Plaquehypothese („je mehr Biofilm, desto stärker die Gingivitis“) in den sechziger Jahren (Mikrobiologie mittels Dunkelfeldmikroskopie und Darstellung von Morpho­typen der Bakterien). Mit verbesserten mikro­biologischen Verfahren und der Möglichkeit der Identifikation einzelner Bakterienarten wurde die spezifische Plaquehypothese formuliert („Speziel­le Parodontalpathogene verursachen Par­odontitis“). Die ökologische Plaquehypothese („opportunistische Infektion“) berücksichtigte die gegenseitige Beziehung von Biofilm, Umgebungsfaktoren und der Anfälligkeit des Wirts. Eine ak­tuelle Interpretation dessen ist das Konzept von Eubiose und Dysbiose. Es geht weniger um Pathogene, sondern Pathobionten – also Bakterienarten, die im Zusammenspiel mit anderen Bakterien zum eigenen Nutzen eine chronische Entzündung unterhalten (Dysbiose). Die Disruption eines dysbiotischen Biofilms soll die Etablierung eines neuen eubiotischen Biofilms ermöglichen.

Vor der Mittagspause gab Prof. Stein bekannt, dass Dr. Beate Schacher (Universität Frankfurt am Main), langjährige Schriftführerin der NAgP, für ihr unermüdliches Engagement für die NAgP die Ehrenmitgliedschaft verliehen wurde. Pandemiebedingt fand die Ehrung in Frankfurt statt. Nach der Pause übernahm die Schatzmeisterin der NAgP, PD Dr. Pia-Merete Jervøe-Storm (Universität Bonn), die Modera­tion.

Instrumentierung der Wurzel­oberfläche – Was ist zeitgemäß?

Wie soll instrumentiert werden? Von Hand? Mit Maschinen (Schall-, Ultraschallscaler)? Pulver- Wasserstrahl? PD Dr. Christian Graetz (Universität Kiel) führte aus, dass eine Wurzel­glättung primär nicht mehr das Ziel parodontaler Therapie ist, sondern die Entfernung bakterieller Auflagerungen (subgingivale Instrumentierung: SI). Diese ist mit Handinstrumenten, Schall- und Ultraschallinstrumenten sowie Pulver-Wasserstrahl möglich. Dabei ist Pulver-Wasserstrahl schonender als die anderen Verfahren, kann aber keine harten Auflagerungen (Konkremente) entfernen. Maschinelle Instrumente erleichtern die SI, weil die physische Anstrengung des Behandlers im Vergleich zu Handinstrumenten verringert wird. In der Parodontitistherapiestufe 2, bei der es auch um die Entfernung harter Auflagerungen geht, eignen sich eher Hand- sowie Schall- und Ultraschallinstrumente. In der unterstützenden Parodontitistherapie hingegen geht es eher um die Reinfektion von Taschen und deshalb die Entfernung von weichen Belägen. Hier kann der zahnhartsubstanzschonende Pulver-Wasserstrahl sinnvoll eingesetzt werden.

Adjuvante Maßnahmen zur nichtchirurgischen Therapie der Parodontitis

Im Jahr 2020 veröffentlichte die EFP eine S3-Leitlinie zur Therapie von Parodontitis der Stadien I, II und III. Die DG PARO adaptierte diese Leitlinie auf die deutschen Verhältnisse. Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen (Universität Bonn), der selbst maßgeblich an der Erarbeitung der EFP-Leitlinie beteiligt war, begann sein Thema mit dem Vergleich der Konzepte zur Stufe-2-Therapie und stellt SI quadrantenweise Full-Mouth-Scaling (FMS) und -Disinfection (FMD) gegenüber. Hinsichtlich ST-Reduktion und Attachmentgewinn lassen sich zwischen diesen drei Verfahren keine Unterschiede zeigen. Der Einsatz von Laser beziehungsweise antimikrobieller photodynamischer Therapie (aPDT) zeigt keine zusätzlichen Effekte und sollte deshalb nicht zusätzlich zur SI eingesetzt werden. Obwohl es signifikante klinische Vorteile der systemischen beziehungsweise lokalen Gabe von Antibiotika adjuvant zur SI gibt, sollen Antibiotika nicht routinemäßig zusätzlich zur SI verwendet werden. In besonderen Pa­tientengruppen (Parodontitis Stadium III und IV bei jungen Patienten) kann die systemische Gabe allerdings erwogen werden.

Schmelzmatrixproteine – nur für Knochentaschen und Furkationsbefall?

Prof. Dr. Dr. h.c. Holger Jentsch (Universität Leipzig) widmete sich der Parodontitistherapie mit Schmelzmatrixproteinen (SMP) auch in der „flapless“-Anwendung. Der Einsatz von SMP in der Parodontalchirurgie re­sultiert in parodontaler Regeneration, wie durch humane Histologie gezeigt werden konnte. Der zusätzliche Nutzen regenerativer Parodontal­chirurgie für tiefe Knochentaschen sowie Furkationsbefall Grad II an Unterkiefer- und bukkal an Oberkiefermolaren ist gut belegt und wird entsprechend für Resttaschen nach Parodontitistherapiestufe 1 und 2 empfohlen (EFP-/DG PARO- S3-Leitlinie). Auch für den zusätzlichen Nutzen des Einsatzes von SMP bei Zugangslappen­opera­tionen bei horizontalem Knochenabbau gibt es Belege (Metaanalyse aus 3 randomisierten kontrollierten Studien [RCT]). Wie sieht es jetzt aber mit dem zusätzlichen Nutzen von SMP bei SI („flapless“ SMP) aus? Erste RCTs zeigen ein hete­rogenes Bild. Einige zeigen signifikante Vorteile durch den zusätzlichen Einsatz von SMP.

Unterstützende Parodontitistherapie: Wie viel Nachsorge braucht mein Patient?

Die Thematik der parodontalen Nachsorge bearbeitete Prof. Dr. Johannes Einwag, ehemaliger Leiter des Zahnmedizinischen Fortbildungszentrums Stuttgart und Urgestein oraler Prävention in Deutschland. Er startete mit dem Statement „Es ist alles so einfach“. Karies und Gingivitis/Parodontitis sind biofilminduzierte Erkrankungen. Außerdem wissen wir seit 30, 40 Jahren, was zu tun ist: Der Biofilm muss weg und dies muss über mechanische Biofilmreduktion erfolgen. Chemische Plaquekontrolle allein funktioniert nicht. Die Patientinnen und Patienten schaffen das nicht alleine. Sie benötigen die Hilfe des zahnärzt­lichen Teams. Es muss aber Problembewusstsein geschaffen werden (siehe „Behavioral change“). Wie kann das gelingen? Unter regelmäßiger UPT kommt es erst nach 9−25 Jahren zu Zahnverlust, bei unregelmäßiger UPT nach 5−8 Jahren und ohne UPT bereits nach 1,5−3 Jahren. Aber was ist regelmäßige UPT? Möglich­keiten, die UPT zu strukturieren, sind das „Periodontal Risk Assessment“ (PRA) oder ein neuer Algorithmus von PD Dr. Christoph Ramseier.

Es war ein langer Online-Tag, prall gefüllt mit Parodontologie: etablierte, aber auch neue Aspekte zum Thema „dentaler Biofilm“. Wer damit noch nicht genug von Parodontologie hat, kann sich für das laufende Jahr noch diesen Termin vormerken, der dann hoffentlich wieder in Präsenz, also live und in Farbe, stattfinden kann:

22. Oktober 2022: 30. Jahrestagung der NAgP in Aachen zum Thema „Parodontologie kompakt und interdisziplinär“

Prof. Dr. med. dent. Peter Eickholz, Frankfurt am Main

Reference: Fortbildung aktuell Parodontologie

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