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Bilanz 2020 und Ausblick 2021 – Im Gespräch mit dem Vorstand der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung

(c) KZBV/axentis.de

Die Corona-Pandemie hat im Jahr 2020 das Leben der Menschen und auch die Arbeit in den Zahnarztpraxen massiv beeinflusst – und sie wird es auch noch in diesem Jahr weiter tun. Für die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen der Länder prägte ebenso wie für alle anderen zahnärztlichen Körperschaften, Fachgesellschaften und Verbände das Krisenmanagement in dieser völlig neuen Situation weite Teile der täglichen Arbeit.

Dabei geht oft unter, was auf politischer Ebene, in der Selbstverwaltung und in der Gesetzlichen Krankenversicherung im zahnmedizinischen Bereich in diesem Jahr noch alles passiert ist. Diese Bilanz des vergangenen Jahres und ein Ausblick in das Jahr 2021 waren Thema eines Gesprächs mit dem Vorstand der KZBV – dem Vorsitzenden des Vorstands Dr. Wolfgang Eßer und den beiden stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Martin Hendges und Dr. Karl-Georg Pochhammer – mit Dr. Marion Marschall, Chefredakteurin Quintessence News: „Wir haben trotz Corona viel für die Zukunft in den Zahnarztpraxen und für die zahnärztliche Versorgung der Patientinnen und Patienten erreicht.“
 

Die erste Frage lautet natürlich: Die Impfungen gegen Covid-19 haben begonnen – an welcher Stelle stehen die Zahnärzte und ihre Mitarbeiter?

Dr. Wolfgang Eßer: Wir haben noch vor Weihnachten gemeinsam mit der Bundeszahnärztekammer – und über den Jahreswechsel auch mit der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde – für die Zahnärzteschaft eine abgestimmte Information auf Grundlage der Corona-Impfverordnung erstellt. Danach sind Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Praxen grundsätzlich in die Prioritätsgruppe 2 der Verordnung einzugruppieren.

Zudem konnten zwischenzeitlich mit dem Bundesministerium für Gesundheit bis dato offene Fragen geklärt werden, wie Schwerpunktpraxen oder Zentren zur zahnmedizinischen Versorgung von Covid-19-Patienten beziehungsweise Zahnärztinnen und Zahnärzte eingestuft werden, die im Bereich der zahnärztlichen Versorgung von Patienten in Alten- oder Pflegeeinrichtungen tätig sind. Das BMG hat kürzlich die Auffassung von KZBV, BZÄK und DGZMK bestätigt, dass diese unter die erste Prioritätengruppe gemäß Impfverordnung gefasst werden müssen.

Wir haben also erreicht, dass sie wie das besonders exponierte Personal in den Kliniken in die erste Gruppe eingeordnet und demnach so schnell wie möglich geimpft werden können – wenn sie das wollen. In den Bundesländern, die jeweils für die konkrete Umsetzung der Impfungen verantwortlich sind, wird dabei derzeit allerdings unterschiedlich verfahren – in einigen Ländern werden Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie das Praxispersonal schon jetzt geimpft, in anderen nicht.
 

Kurz vor dem Jahreswechsel hat der Gemeinsame Bundesausschuss endlich eine neue PAR-Richtlinie für die vertragszahnärztliche Behandlung beschlossen, die zum 1. Juli 2021 in Kraft tritt. Bei aller Freude darüber gibt es auch Skepsis, dass bei den anstehenden Vergütungsverhandlungen am Ende kein Plus, sondern nur eine Umverteilung des Geldes für die Praxen steht. Die Umrelationierung des Bema im Jahr 2004 ist vielen noch in unguter Erinnerung.

Eßer: Ich verstehe diese Befürchtungen, aber der Vergleich mit dem Bema hinkt. Damals war eine kostenneutrale Umrelationierung vom Gesetzgeber vorgegeben. Das ist bei der neuen PAR-Richtlinie nicht der Fall.

Dr.Wolfgang Eßer
Dr.Wolfgang Eßer
Foto: KZBV/Spillner
Die Krankenkassen sind im Vorfeld vom Bundesgesundheitsministerium gefragt worden, mit welchem Honorarvolumen sie für die Leistungen der neuen Richtlinie rechnen. Die dort genannte Summe ist realistisch. Die systematische PAR-Behandlung bleibt weiter eine Antragsleistung mit einem Genehmigungsvorbehalt der Kassen. Die Leistungsinhalte hat der G-BA einvernehmlich beschlossen.

Wir gehen also gut gerüstet in die Verhandlungen. Die Bewertung von Leistungen ist ja kein Willkürgeschäft. Es wird also mehr Geld für die Praxen geben, die die neuen Leistungen erbringen.

Martin Hendges: Stichwort Antragsleistung: Hier gibt es in der PAR-Richtlinie eine wichtige Verbesserung für die Praxen. Sollte ein offenes Vorgehen in der Therapie nötig werden, muss das künftig nicht mehr beantragt, sondern nur noch bei der Kasse angezeigt werden.
 

Werden die Patienten Eigenanteile oder Zuzahlungen übernehmen müssen?

Eßer: Nein. Die neue PAR-Richtlinie spiegelt den aktuellen Stand der Wissenschaft für eine systematische Parodontitistherapie wider. Die neuen Leistungen wie etwa die unterstützende Parodontitistherapie, kurz UPT, sind medizinisch notwendige Leistungen und müssen von den Kassen voll übernommen werden. Die Patienten haben einen Rechtsanspruch darauf. Wir haben uns im G-BA im Interesse der betroffenen Patientinnen und Patienten sehr dafür stark gemacht.
 

Martin Hendges
Martin Hendges
Foto: KZBV/Spillner
Wann werden die Verhandlungen abgeschlossen sein?

Hendges: Wir müssen spätestens im April damit durch sein, damit bis zum Inkrafttreten der neuen Richtlinie am 1. Juli alles abgestimmt zur Verfügung steht. Auch die Anbieter der Praxisverwaltungssoftware müssen Zeit haben, die neuen Leistungen für ihre Systeme zu programmieren und den Praxen rechtzeitig Updates zur Verfügung zu stellen. Und wir müssen zudem entsprechendes Informationsmaterial für die KZVen für die Schulungen der Kolleginnen und Kollegen vorbereiten. Die Richtlinie enthält ja eine ganze Reihe von Neuerungen, die vermittelt werden müssen. Mit der BZÄK soll es zudem eine Abstimmung für eine möglichst gemeinsame Kommunikationsstrategie geben.
 

In der neuen Richtlinie ist erstmals die „sprechende Zahnmedizin“ als Leistung enthalten, die auch honoriert werden muss. Wird das auch in anderen Leistungsbereichen Eingang in den Bema finden?

Eßer: Freuen wir uns doch erstmal, dass es jetzt in der neuen PAR-Richtlinie endlich geklappt hat, diese so wichtige Gesprächsleistung zu verankern. Das war ein harter Kampf, die Kostenträgerhaben sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Aber natürlich bleibt es unser Ziel, diese Leistung auch in anderen Bereichen zu implementieren. Das Gespräch ist ja wesentlicher Teil der Behandlung in fast allen Bereichen. Nur der aufgeklärte Patient ist ein gut versorgter Patient.
 

Für die sogenannten vulnerablen Gruppen – pflegebedürftige Patienten oder Menschen mit Behinderung – soll es für die PA-Therapie in der GKV besondere Regelungen und Leistungen geben?

Eßer: Ja, diese Patientengruppen haben wir in den Verhandlungen jetzt noch nicht erfasst. Der Grund dafür ist die Tatsache, dass insbesondere die Patientengruppe der älteren, pflegbedürftigen Menschen und der Menschen mit einer Beeinträchtigung aufgrund des besonderen Behandlungsbedarfes zielgenau versorgt werden muss. Dafür bedarf es dann auch besonderer Regelungen. Wir stehen bereits in Kontakt mit den zuständigen Fachgesellschaften, um die Klärung von zahnmedizinischen Versorgungsaspekten unter Berücksichtigung der Einschränkungen der genannten Patienten zu erreichen. Das wird dann später auch mit den Kassen sicher eine intensive Auseinandersetzung geben, die sich vermutlich bis in den erweiterten Bewertungsausschuss erstreckt.
 

Die PAR-Richtlinie ist ja nicht die einzige Neuerung, für die jetzt Vergütungen verhandelt werden müssen?

Hendges: Nein, wir haben auch noch die Unterkieferprotrusionsschiene, die jetzt für erwachsene Patientinnen und Patienten neu als Kassenleistung in die Versorgung kommt, bei denen eine behandlungsbedürftige obstruktive Schlafapnoe festgestellt wurde und eine Überdrucktherapie nicht erfolgreich durchgeführt werden kann. Wird eine solche Schiene von einem Schlafmediziner verordnet, übernimmt die Zahnärztin oder der Zahnarzt alle weiteren Maßnahmen – die erforderliche zahnärztliche Diagnostik zum Ausschluss von zahnmedizinischen Kontraindikationen, die Versorgung mit einer zahntechnisch individuell angefertigten und adjustierbaren Schiene, die Eingliederung und Kontrolle sowie in Abstimmung mit dem Schlafmediziner eine mögliche Anpassung der Schiene. Die entsprechenden Leistungen und die Vergütung dafür müssen jetzt im Bema über den Bewertungsausschuss festgelegt werden, auch die Zahntechniker müssen ihren Teil für das zahntechnische Leistungsverzeichnis noch aushandeln.

Darüber hinaus müssen auch noch verschiedenen Themen der Digitalisierung mit den Krankenkassen verhandelt werden, die nicht über den Gemeinsamen Bundesausschuss, sondern direkt durch Gesetzgebung in die Versorgung kommen sollen.
 

Es stehen ja nicht nur die Verhandlungen über die Bewertung der neuen Leistungen an, auch über das Gesamthonorarvolumen muss verhandelt werden. Die Krankenkassen warnen schon lange vor Defiziten wegen der hohen Ausgaben in der Pandemie. Wie ist die Ausgangslage für die Verhandlungen mit den Kassen aus Ihrer Sicht?

Eßer: Nach all der Enttäuschung und dem Ärger über die Ungleichbehandlung der Zahnärzte beim Thema Schutzschirm im Frühjahr und Sommer haben wir zum Jahresende einige wichtige, für die Zahnärzteschaft sehr positive Regelungen in Gesetzen verankern können. Die alte Schutzschirmverordnung, mit der die Liquidität der KZVen in der Pandemie gesichert werden sollte, ist für uns durchaus vorteilhaft im Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz korrigiert worden. So sieht das Gesetz unter anderem vor, dass Krankenkassen auch in 2021 – wie schon für das Jahr 2020 – 90 Prozent der gezahlten Gesamtvergütung der vertragszahnärztlichen Leistungen des Jahres 2019 als Abschlagszahlung an die KZVen in Form der bislang schon möglichen Liquiditätshilfe leisten. Die Rückzahlung der Liquiditätshilfen muss bis einschließlich 2023 erfolgen und wurde für die Liquiditätshilfen in 2020 somit um ein Jahr gestreckt.

Darüber hinaus sollen die Partner der Gesamtverträge – also KZVen und Kassen – in den Jahren 2021 und 2022 bei ihren Verhandlungen eine verminderte Inanspruchnahme von vertragszahnärztlicher Versorgung durch Patientinnen und Patienten infolge der Pandemie angemessen berücksichtigen. Die Regelung hat zum Ziel, dass die Gesamtvertragspartner mit ihren Vereinbarungen sicherstellen, dass ein angemessenes Vergütungsniveau erhalten bleibt. Die KZBV geht grundsätzlich davon aus, dass das Zusammenwirken verschiedener Regelungen im GPVG positive Effekte für die Versorgung durch Zahnarztpraxen mit sich bringen wird.

Die Rückzahlungsklausel für die Liquiditätshilfe gilt zwar weiter, aber wir haben die Hoffnung, dass sich das Leistungsvolumen in diesem und dem kommenden Jahr so positiv entwickelt, dass die Rückzahlungen nur gering ausfallen.

Hendges: Besonders wichtig: Die Leistungsmenge ist für die Zahnärzteschaft im Zeitraum 2021 und 2022 nicht gedeckelt, es gibt also keine Budgetobergrenze, was potenziell Nachholeffekte ermöglicht. Konkret heißt das, dass für KZV-Bereiche, für die Einzelleistungsvergütung gilt, die Festlegung einer Vergütungsobergrenze für diese beiden Jahre ausgesetzt ist. Damit wird jede einzelne Leistung voll bezahlt! Das stellt sicher, dass zu erwartende Nachholeffekte nicht zu Lasten der Zahnärzteschaft gehen. Auch die bereits erwähnten neuen Leistungen, die jetzt noch dazukommen, sind also nicht durch eine Obergrenze gedeckelt.

Die Zuwächse durch diese Leistungen werden in Zukunft auch Rückgänge in anderen Leistungsbereichen ausgleichen. Die Morbidität verändert sich – wir haben auch dank der Erfolge des Berufsstands in der Prävention weniger Füllungen, Extraktionen und endodontische Behandlungen. Dafür nehmen zum Beispiel Parodontalerkrankungen zu. Dazu kommen die Prävention in allen Altersgruppen und der erhöhte Betreuungsbedarf, zum Beispiel bei Kleinkindern, bei Senioren und Pflegebedürftigen.
 

Für das Jahr 2020 hatte der Gesetzgeber den Auftrag erteilt, eine IT-Sicherheitsrichtlinie für Zahnarzt- und Arztpraxen zu erstellen. Die KZBV hat das gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Angriff genommen, im September 2020 scherte die KBV-VV aus und die KZBV konzentrierte sich auf eine eigene Fassung. Jetzt haben die Kassenärzte kurz vor Weihnachten eine deutlich abgespeckte Version verabschiedet. Wie ist der aktuelle Stand bei der KZBV?

Dr. Karl-Georg Pochhammer
Dr. Karl-Georg Pochhammer
Foto: KZBV/Spillner
Dr. Karl-Georg Pochhammer:Die IT-Sicherheitsrichtlinie hat in der Tat eine bewegte Geschichte und hat die KZBV in den vergangenen Monaten in Atem gehalten. Um das klarzustellen, auch weil es da Anfang des Jahres in der ärztlichen Presse Irritationen gab: Es gibt eine gemeinsame IT-Sicherheitsrichtlinie für Zahnärzte, Ärzte und Psychotherapeuten. Die KBV hat ihre Fassung dieser gemeinsamen Richtlinie für die Ärzte und Psychotherapeuten noch vor Weihnachten verabschiedet. Der einzige Unterschied zu der zahnärztlichen Richtlinie ist die Benennung der Zielgruppe Zahnärzte und ein auf die zahnärztliche Praxis angepasstes Beispiel.

Der Beirat der KZBV hat diese Richtlinie ebenfalls schon vor Weihnachten abgestimmt, die Vertreterversammlung hat sie dann in einer schriftlichen Abstimmung am 15. Januar 2021 mit großer Mehrheit beschlossen. Mit der von der KZBV erarbeiteten Fassung der IT-Sicherheitsrichtlinie haben wir eine bürokratiearme Lösung gefunden, die mit dem normalen Praxisalltag gut vereinbar ist. Es ist uns gelungen, mit wenigen gezielten Anforderungen ein adäquates Sicherheitsniveau für die Praxen festzulegen.

Die jetzt verabschiedete und mit dem Ministerium im Vorfeld abgestimmte IT-Sicherheitsrichtlinie wurde im Vergleich zu der ersten Fassung deutlich kompakter und in den Anforderungen auf das in Zahnarzt- und Arztpraxen notwendige Maß reduziert. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hat daher Ende des vergangenen Jahres auch offiziell für diese Richtlinie das gesetzlich vorgegebene Einvernehmen erteilt.
 

Was kommt da an Arbeit auf die Zahnarztpraxen zu?

Pochhammer: Wer sich schon bislang in Sachen Datenschutz, Datensicherheit und IT-Pflege an die bereits zuvor bestehenden gesetzlichen Vorgaben, insbesondere zum Beispiel die der Datenschutzgrundverordnung gehalten hat, wird mit der neuen IT-Sicherheitsrichtlinie eher wenig Arbeit haben. Und es geht ja nicht nur um den Schutz der Patientendaten, sondern auch der Daten der Praxis und der Mitarbeiter. Wir arbeiten heute fast alle mit digitalen Systemen, mit Praxisverwaltungssoftware und digitalen Röntgengeräten. Das hat viele Vorteile und das möchte eigentlich auch niemand mehr missen. Dass diese digitale Infrastruktur gesichert werden muss, sollte selbstverständlich sein. Die neue Richtlinie gibt jetzt den Rahmen dafür vor, was, wie und wann gewährleistet sein muss.

Die ersten Regelungen der Richtlinie treten zum 1. April 2021 in Kraft. Wir werden den Praxen und den KZVen dazu auch umfangreiche und gut verständliche Informationen und Hilfen zur Verfügung stellen. Die sogenannten Fachkreise, vornehmlich aus der Wirtschaft respektive der Beraterbranche, sind mit der Richtlinie weniger zufrieden. Sie hätten sich natürlich mehr und höhere Anforderungen gewünscht, vielleicht auch, weil sie davon für ihre Geschäftstätigkeit profitiert hätten. Das spricht auch dafür, dass wir im Bemühen, es für die Kolleginnen und Kollegen in den Praxen so einfach wie möglich zu halten, nicht alles falsch gemacht haben können.
 

Stichwort Telematikinfrastruktur und neue Anwendungen: Der Minister macht trotz Corona weiter hohen Druck – mit welchen Folgen?

Pochhammer: Es ist das passiert, was wir schon länger prognostiziert haben – In den vorgegebenen kurzen Fristen sind die notwendigen und aufwendigen Programmierungen und Testungen von den beteiligten Partnern und Unternehmen nicht zu leisten gewesen. Die gematik selbst ist mit wichtigen Vorgaben in Verzug. Auch die Verhandlungen mit den Kassen über die dafür erforderlichen neuen Leistungen und vor allem deren Honorierung laufen noch.

Eine ganze Reihe von Anwendungen sind jetzt in der TI verfügbar, wie etwa der elektronische Medikationsplan. Wir haben dazu und zu den kommenden Anwendungen vonseiten der KZBV für die Zahnärzteschaft bereits umfangreiche Informationen und Broschüren erarbeitet.

Die elektronische Patientenakte muss offiziell seit 1. Januar 2021 von den Kassen angeboten werden, aber eingesetzt wird sie erstmal lediglich in Testregionen. Ab 1. Juli soll sie – nach dem Willen des Gesetzgebers – dann bundesweit von Arzt- und Zahnarztpraxen befüllt werden können. Da aber die notwendigen Komponenten – nach Einschätzung der gematik – erst im Verlauf des ersten Halbjahres nach und nach zur Verfügung stehen werden, ist bereits abzusehen, dass eine flächendeckende Ausstattung der Praxen bis Jahresmitte nicht möglich ist.

Hendges: Für die ePA wird die erste echte zahnärztliche Anwendung als „Medizinisches Informationsobjekt“, kurz MIO, das digitale Bonusheft sein. Das kommt zum 1. Januar 2022. Dafür müssen unter anderem noch die Gebühren für die Erst- und Folgebefüllung der ePA festgelegt und im Bema verankert werden. Andere TI-Anwendungen verschieben sich auch immer wieder. Zum Beispiel ist die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst ab 1. Oktober 2021 verpflichtend, weil auch die Kassen bei diesem Projekt noch Zeit brauchen.

Pochhammer: Auch bei der Telematikinfrastruktur selbst gibt es noch einige „Baustellen“. Wichtig für Zahnärzte ist neben den nötigen Konnektor-Updates ein elektronischer Zahnarztausweis – auch Heilberufsausweis, kurz eHBA genannt -, der bei der zuständigen Kammer beantragt werden muss. Der liegt in vielen Praxen noch nicht vor, aber ohne den Ausweis geht in der TI künftig praktisch nichts mehr. Und auch mit dem eHBA läuft leider nicht alles ohne Probleme – einige PVS-Anbieter haben inzwischen Mühe, die Fülle der Umsetzungspflichten für die TI noch zu stemmen.

Hendges: Bei den eHBA ist in der Tat noch „viel Luft nach oben“ – Ende 2020 waren etwa 20.000 eHBA ausgegeben, in vielen KZV-Bereichen bewegt sich der Anteil der Praxen, in denen mindestens eine Zahnärztin oder ein Zahnarzt über einen eHBA verfügt, noch im unteren zweistelligen Prozentbereich.

Pochhammer: In der Tat – die Ausgabe läuft leider noch schleppend und es gibt von Zahnärztekammer zu Zahnärztekammer sowie bei den Anbietern große Unterschiede. Wir können lediglich alle Kolleginnen und Kollegen in den Praxen dringend auf das Thema hinweisen, verbunden mit der Bitte, sich schnell darum zu kümmern.
 

Wir haben eine Höchstzahl an Approbationen, aber trotzdem gibt es nicht genug Nachfolger für die ausscheidenden Vertragszahnärzte. Darauf haben Sie, Herr Hendges, auch in der Herbst-Vertreterversammlung der KZBV hingewiesen. Was bedeutet das konkret für die Versorgung?

Hendges: In der Tat nimmt die Zahl der Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte und damit auch die Zahl der Praxen schon seit einigen Jahren immer stärker ab. Dass es keine ausreichende Zahl potentieller Praxisnachfolgerinnen und Praxisnachfolger gibt, stimmt so jedoch nicht. Vielmehr wurde der Rückgang der Vertragszahnärzte bislang durch den Zuwachs angestellter Zahnärztinnen und Zahnärzte in den Praxen und in Medizinischen Versorgungszentren übertroffen, die Behandlerzahlen insgesamt stiegen also weiter an.

Erst im Jahr 2019 war dies trotz des zeitgleichen Höchststands an Approbationen nicht mehr der Fall, und auch in Zukunft dürfte sich diese rückläufige Entwicklung demographiebedingt weiter fortsetzen. Allerdings bedeutet das nicht automatisch, dass auch die Zahl der Praxen weiter sinken muss. Dies hängt wesentlich davon ab, dass es versorgungspolitisch gelingt, attraktive Rahmenbedingungen für die Niederlassung zu schaffen und angestellte Zahnärztinnen und Zahnärzte so verstärkt zu einer Praxisgründung oder -übernahme zu motivieren.

Die Babyboomer werden in den kommenden Jahren verstärkt in den Ruhestand gehen, und wir sehen schon jetzt in den Zulassungsausschüssen, dass diese Abgänge nicht aufgefangen werden können. Gerade in den neuen Ländern werden viele Zahnarztpraxen ganz aufgegeben, weil hier weniger Zahnärztinnen und Zahnärzte neu in die Niederlassung gehen.

Noch ist der Versorgungsgrad in den östlichen Bundesländern historisch bedingt hoch, aber die Alterskurve in den Altersgruppen 55+ eben auch. Und noch geraten wir versorgungspolitisch nicht in Gefahr von Unterversorgung. Aber die Entwicklung, die durch die Belastungen in der Corona-Pandemie offensichtlich noch verschärft wird – Kolleginnen und Kollegen entscheiden sich früher fürs Aufhören –, bereitet uns durchaus Sorgen.

Glücklicherweise ist es uns in bereits abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahren gelungen, auch den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen im Paragrafen 105 SGB V die Möglichkeiten zu verschaffen, die die Kassenärzte schon länger einsetzen müssen, um drohender Unterversorgung zu begegnen. Die KZVen können jetzt sogenannte Strukturfonds einrichten, aus denen Niederlassungen, Projekte und weitere Versorgungsvorhaben gefördert werden können und an denen sich auch die Kassen beteiligen müssen. Da steht uns ein neues Instrumentarium zur Verfügung, mit dem wir diesen Problemen besser begegnen und Anreize schaffen können. Wir werden das mit den KZVen zeitnah in einer weiteren Klausurtagung intensiv diskutieren und Modelle ausloten – einige KZVen sind hier auch schon aktiv geworden.

Eßer: Die KZVen werden ihre Instrumente hier schärfen müssen. Wir werden perspektivisch sicher eine Unterversorgung erleben – und die Corona-Pandemie wird sich auch auswirken, wenn wir dem nicht jetzt begegnen. Die KZVen müssen also tätig werden. Wir werden in der Klausurtagung die Möglichkeiten dafür genau analysieren und konkreten Handlungsbedarf aufzeigen. Dazu gehören dann auch Ideen, wie die „Zahnarztpraxis der Zukunft“ (ZPdZ) und andere Genossenschaftsmodelle, die es schon gibt oder die gerade entstehen.
 

Wir haben ja schon über die neue PAR-Richtlinie gesprochen. Blickt man auf die Leistungsbereiche, dann steht vonseiten des Gesetzgebers noch die Kieferorthopädie auf der Agenda, Stichwort „Mehrkosten“. Wie sieht es bei diesem Thema aus?

Eßer: Für die Mehrkostenregelung in der Kieferorthopädie sind wir in den Vorarbeiten schon gut aufgestellt. Die Mehrkosten sind das eine, das andere sind die medizinische Notwendigkeit und der Nutzen kieferorthopädischer Behandlungen für die Gesundheit der Patienten. Das ist ja in den vergangenen Jahren immer wieder infrage gestellt worden, zuletzt auch durch den Bundesrechnungshof. Das Bundesgesundheitsministerium muss dazu Zahlen liefern. Wir haben daher beim Institut der Deutschen Zahnärzte eine entsprechende Fragestellung mit einem separaten KfO-Arm in die nächste Deutsche Mundgesundheitsstudie, die DMS VI, aufnehmen lassen. Entsprechende Finanzmittel sind dafür vorhanden. So werden wir Antworten auf wichtige Fragen auch zur Morbidität in diesem Bereich bekommen.

Was das Verzeichnis von Mehr- und Zusatzleistungen angeht, sind wir im engen Austausch mit der Wissenschaft, hier der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie. Die Zusammenarbeit ist schon seit langem gut und konstruktiv. Das ist übrigens ein ganz wichtiger Punkt bei allen zahnärztlichen Leistungen in der GKV, ganz gleich ob diese neu in die Versorgung gekommen sind oder ob es sich um Leistungen handelt, die bereits schon länger in der Versorgung erbracht werden: Wir stimmen uns immer erst zunächst mit der Wissenschaft ab, damit wir den Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Etablierung neuer Leistungen oder der Überarbeitung von vorhandenen Leistungen im Blick haben.

 

Der KZBV-Vorstand anlässlich der virtuellen Vertreterversammlung der KZBV Ende Oktober 2020
Der KZBV-Vorstand anlässlich der virtuellen Vertreterversammlung der KZBV Ende Oktober 2020
Foto: KZBV/Spillner

 

Es sind in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe ganz neuer Leistungen in den Bema neu aufgenommen worden. Jetzt kommen noch die überarbeitete PAR-Richtlinie mit weiteren Leistungen und die Unterkieferprotrusionsschiene hinzu. Trotzdem ist immer wieder von negativen Stimmen aus der Zahnärzteschaft zu hören, das bringe alles nichts, das mit den Kassenleistungen werde immer schlechter, KZBV und KZVen täten nichts, um diesen vermeintlichen Zustand zu verbessern. Ärgert Sie das?

Eßer: Natürlich ärgert uns das. Vor allem weil es nicht stimmt. Diese neuen Leistungen sind ja „on Top“ zu dem bereits bestehenden Leistungskatalog hinzugekommen. Das ist also zusätzliches Honorarvolumen. Und wenn man das alles zusammenrechnet, was neu dazugekommen ist und was bereits absehbar noch dazu kommen wird, reden wir von einem Gesamtvolumen im hohen dreistelligen Millionenbereich für die Zahnärzteschaft. Viele Zahnärztinnen und Zahnärzte werden in ihren Praxen davon profitieren. Das lässt sich zum Beispiel sehr konkret anhand der Abrechnungszahlen in der aufsuchenden Betreuung ablesen. Aber das sind in der Regel auch diejenigen Praxen, die sich nicht immer unbedingt lautstark zu Wort melden. Da gibt es dann eher bei Veranstaltungen oder im kleinen Kreis positive Rückmeldungen zu bis dato erzielten Erfolgen für den Berufsstand.

Hendges: Diese neuen Leistungen sind ja auch in den Bema gekommen, weil sich die Morbidität in der Bevölkerung ändert. Die Patienten kommen mit entsprechenden Problemen in die Praxen. Mundgesundheit und Zahnmedizin haben sich in den vergangenen 30 Jahren verändert – und sie verändern sich weiter. Die Kariesprävention wirkt, wir haben seit Jahren rückläufige Zahlen bei den Füllungspositionen, auch Extraktionen werden immer seltener. Viele Menschen sind prothetisch sehr gut versorgt und die Mundhygiene ist viel besser dank der Aufklärungsarbeit der Zahnärzteschaft und des Fachpersonals.

Bei der Inanspruchnahme einzelner Festzuschuss-Befunde gibt es deutliche Verschiebungen. So wird häufiger festsitzender oder festsitzend kombinierter Zahnersatz in Anspruch genommen, herausnehmbarer Zahnersatz hingegen weniger. Das Volumen in Euro hingegen bleibt relativ konstant, wird aber auf Seiten der Kassen natürlich perspektivisch steigen, da die Festzuschüsse in der Höhe und damit auch die Bonusstufen angepasst worden sind.

Auf der anderen Seite verzeichnen wir einen Anstieg bei den Parodontalerkrankungen, eine Konzentration der Karies bei Kindern in Risikogruppen und einen höheren Betreuungsbedarf bei Senioren und Pflegebedürftigen – das war früher als Leistung in der GKV nicht abgebildet. Der Behandlungsbedarf verändert sich, und damit muss sich natürlich auch der Leistungskatalog immer weiterentwickeln, damit notwendige Behandlungen durchgeführt und bezahlt werden können.

Eßer: Das mit den negativen Äußerungen gilt ja nicht nur für den Bema. Auch jetzt in der Corona-Krise sind wir und andere KZV-Vorstände und sowie Mitarbeiter der Körperschaften zum Teil auf das Übelste beschimpft worden, bis hin zur Androhung von Gewalt.

Konstruktive Kritik ist wichtig, und auch wir haben in dieser Ausnahmesituation nicht alles richtigmachen können. Aber einige verbale Angriffe, ja mitunter regelrechte Anfeindungen gehen wirklich zu weit. Das sind zwar häufig nur kleine Gruppen, aber die sind eben sehr laut und bestimmen dann leider auch vielfach das Bild der Zahnärzteschaft in Politik und Öffentlichkeit stark mit.

Manchmal wünsche ich mir, dass sich die sogenannte „schweigende Mehrheit“ stärker gegen solche, für den gesamten Berufsstand negativen Äußerungen wenden würde. Der ganz überwiegende Teil der Zahnärzteschaft hat gerade jetzt unter schwierigen Bedingungen ganz selbstverständlich weiterhin die Patienten versorgt und viel Verantwortung für Mitarbeiter und Gesellschaft übernommen. Wir sind Mediziner und Freiberufler mit einer ethischen Verpflichtung und gesellschaftlichen Verantwortung. Das sollten wir nicht vergessen.
 

Bilanz 2020/Ausblick 2021: Wie blicken Sie zurück und was erwarten Sie von 2021?

Eßer: Das war unbestritten ein ganz außergewöhnliches Jahr. So etwas hat noch niemand von uns erlebt. Rückblickend haben wir nach den turbulenten Anfangswochen im März und April, als auch die gesamte Politik erst noch eine Orientierung in der Pandemie finden musste, das Krisenmanagement relativ schnell und gut in den Griff bekommen – mit großen Anstrengungen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und über das Jahr gesehen hat sich dann ausgezahlt, dass wir mit unserem Politikstil und der Effizienz am Ende in der Politik punkten und für die Zahnärzteschaft doch noch einige positive Regelungen erwirken konnten. Wir haben trotz Corona im Jahr 2020 viel für die Zukunft in den Zahnarztpraxen und für die zahnärztliche Versorgung der Patientinnen und Patienten erreichen können.

Hendges:Wir starten jetzt in das neue Jahr mit guten Voraussetzungen – in die vielen Verhandlungsrunden und in die Arbeit in den KZVen.

Eßer: Dass wir nach 17 Jahren hartnäckiger Arbeit jetzt eine neue, wissenschaftlich basierte PAR-Richtlinie bekommen, freut mich besonders. Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen werden uns zwar noch einige Zeit begleiten, aber die Perspektive für den Berufsstand und die Versorgung der Patienten ist aus meiner Sicht insgesamt positiv. Ich schaue daher zuversichtlich in das Jahr 2021.

Das Gespräch wurde via Videokonferenz geführt.

Titelbild: Der KZBV-Vorstand auf dem Frühlingsfest 2018 in Berlin (von links): Martin Hendges, stellv. Vorstandsvorsitzender, Dr. Wolfgang Eßer, Vorstandsvorsitzender, Dr. Karl-Georg Pochhammer, stellv. Vorstandsvorsitzender.

 

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