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Lauterbach’sche Pläne zum Stopp der Finanzinvestoren sind unter rechtlichen Gesichtspunkten schwer umsetzbar – ein Beitrag aus juristischer Sicht von Dr. Karl-Heinz Schnieder und Dr. Tobias List

(c) nitpicker/Shutterstock.com

Zur Überraschung vieler verkündete Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) kurz vor dem Jahreswechsel medienwirksam, 2023 ein Gesetz einbringen zu wollen, das eine Beteiligung von Finanzinvestoren („Heuschrecken“) an Arztpraxen zukünftig verhindern solle. Er wolle „einen Riegel davorschieben, dass Investoren mit absoluter Profitgier Arztpraxen aufkaufen“.

Der Minister meldete sich damit in einer bereits seit Jahren kontrovers geführten Debatte zu Wort, in der ihn die ärztliche und zahnärztliche Standespolitik ebenso wie die Gesundheitsminister der Bundesländer mehrfach zum Handeln aufgefordert hatten. Schon seit dem Eintritt von Investoren in die ambulante Versorgung werden diese von der Standespolitik sehr kritisch bewertet. Inzwischen liegen unter anderem Forderungspapiere der Bundesärztekammer zur MVZ-Regulierung, eine Entschließung des Bundesrats mit konkreten Forderungen und diverse Stellungnahmen, Gutachten und Rechtsgutachten sowohl der ärztlichen und zahnärztlichen Selbstverwaltung als auch vonseiten der MVZ-Verbände und Vertreter der MZV-Betreiber und Investoren vor.

Was hat es mit den Plänen des Gesundheitsministers und den Vorschlägen der Bundesärztekammer auf sich? Auch wenn ein Gesetzesentwurf (noch) nicht vorliegt (angekündigt war er für das Versorgungsgesetz II, und noch liegt das Versorgungsgesetz I nicht vor), sickern erste Pläne des Gesetzgebers durch. Aber schon jetzt zeichnet sich ab: Die Regelungsmöglichkeiten des Gesetzgebers sind begrenzt, und ein umfassendes Verbot für Finanzinvestoren, sich an Arztpraxen zu beteiligen, nach Einschätzung vieler Juristen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Fachanwälte für Medizinrecht Dr. Karl-Heinz Schnieder und Dr. Tobias List ordnen in ihrem folgenden Beitrag die aktuelle Diskussion rechtlich ein und geben einen Ausblick.

Blick auf Situation im Gesundheitsmarkt

Der ambulante vertragsärztliche Gesundheitsmarkt stellt seit je her ein sensibles Gebilde dar, bei dem der Gesetzgeber versucht, die verschiedenen Interessen der auf dem Markt tätigen Leistungserbringer in einen am Gemeinwohl der Patienten orientieren Ausgleich zu bringen. Vor diesem Hintergrund sind Medizinische Versorgungszentren (MVZ) besonders in den Blick der Öffentlichkeit geraten, da diese strukturell unternehmensgleich geführt werden können und über bestimmte Leistungserbringer auch institutionellen Fremdkapitalgebern („Investoren“) den Weg auf den deutschen ambulanten Markt eröffneten.

Aus Sicht der Investoren stellt vor allem die Größe des deutschen Gesundheitsmarkts einen besonderen Reiz dar. Die herausragende Stellung, die dieser nicht nur in Europa, sondern auch weltweit hat, wird am Maßstab des Ausgabevolumens sichtbar, das sich als eines der höchsten innerhalb Europas erweist. Der ambulante Versorgungsmarkt ist dabei nicht nur hinsichtlich des hohen Marktvolumens für Investoren interessant, sondern auch aufgrund der vor allem im Gegensatz zu anderen Wirtschaftsbereichen vorherrschenden weitgehenden Unabhängigkeit des Marktes von konjunkturellen Schwankungen. Die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen kann als durchaus krisenfest bezeichnet werden, was aktuell auch in der Corona-Pandemie sichtbar wird. (Hinzu kommen die sehr umfangreiche Abdeckung der Gesundheitsversorgung durch die solidarisch beitragsfinanzierte Gesetzliche Krankenversicherung und in der Zahnmedizin ein vergleichsweise hoher Anteil an zusätzlichen Selbstzahlerleistungen.)

Investorenbetriebene MVZ (iMVZ)

Während eine Beteiligung von Investoren an den übrigen vertragsärztlichen Teilnahmeformen (Einzelpraxen, BAG) bis heute aufgrund von vor allem entgegenstehenden berufs- und vertragsarztrechtlichen Regelungen nicht möglich ist, können versorgungsfremde Dritte nur über ein MVZ an der ambulanten Versorgung partizipieren.

Medizinische Versorgungszentren sind nach der Legaldefinition des Paragrafen 95 Absatz 1 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen Ärzte, die in das Arztregister eingetragen sind, als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind. Die Gründungsvoraussetzungen sowie die für diese Einrichtungen zulässigen Rechtsformen ergeben sich aus Paragraf 95 Absatz 1a, Absatz 1b und Absatz 2 SGB V.

Da Investorengesellschaften insofern nicht zu dem nach Paragraf 95 Absatz 1a SGB V zur MVZ-Gründung befugten Leistungserbringerkreis zählen, müssen sie sich an der Trägergesellschaft eines gründungsbefugten Leistungserbringers beteiligen, um über dieses „Trägervehikel“ MVZ kaufen, gründen und betreiben zu können. Nach den Gesetzesänderungen durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) im Jahr 2019 kommen dafür lediglich zugelassene Krankenhäuser im Sinne von Paragraf 108 SGB V in Betracht. Aufgrund der im Krankenhausbereich vorherrschenden Trägervielfalt nach Paragraf 1 Absatz 2 Satz 1 Krankenhausgesetz (KHG) verlieren Krankenhäuser, an deren Trägergesellschaft Kapitalinvestoren beteiligt sind, auch nicht ihren MVZ-Gründerstatus.

Unter den Kapitalinvestoren, die auf dem Gesundheitsmarkt aktiv sind, handelt es sich im Übrigen in der Regel um Private-Equity-Gesellschaften oder, seltener, Gesellschaften in Familienbesitz. Typischerweise begreifen diese Investoren ihre Beteiligung als Anlagestrategie für regelmäßiges fremdes Vermögen und versuchen nach relativ kurzer Haltensdauer, die Zieleinrichtung wieder – in den meisten Fällen an einen weiteren Fremdkapitalgeber – weiter zu veräußern.

Investorenbetriebene MVZ sehen sich im Rahmen der öffentlichen Diskussionen mehr denn je einer Vielzahl von Kritikpunkten ausgesetzt, die sich im Wesentlichen auf folgende Vorwürfe zusammenfassen lassen:

  • Anbieterdominanz von MVZ in Krankenhausträgerschaft
  • Gefahr der (ausschließlichen) Gewinnerzielungsabsicht in iMVZ
  • Abnahme der Versorgungsqualität: Patientengefährdung
  • Gefahr für ärztliche Unabhängigkeit
  • Gefahr für flächendeckende Versorgung

Verfassungsrechtliche Bewertung

Aus verfassungsrechtlicher Sicht würde – abgesehen von einer aus Sicht der Verfasser nur schwer umsetzbaren einfachgesetzlichen Regelung – ein umfassendes Verbot für Kapitalinvestoren, sich an MVZ-Strukturen zu beteiligen, gegen Artikel 12 Absatz 1 und Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz (GG; Freiheit der Berufsausübung/Gleichheitsgrundsatz) verstoßen. Im Rahmen des Artikel 12 Absatz 1 GG würde ein umfassendes Beteiligungsverbot zwar eine Berufsausübungsregelung darstellen, an deren Rechtfertigung allerdings aufgrund der einer Berufswahleinschränkung gleichkommenden Regelung strenge Anforderungen zu stellen sind.

Die Argumente im Einzelnen

Im Hinblick auf die Rechtfertigung der Einschränkung stellt zunächst der in der Diskussion häufig genannte Grund „Schutz der Anbietervielfalt auf dem vertragsärztlichen Versorgungsmarkt verbunden mit der Verhinderung einer Anbieterdominanz von MVZ mit Krankenhausträgergesellschaft“ keinen legitimen, das heißt, ein Kauf-/Beteiligungsverbot rechtfertigenden Zweck dar. Blickt man auf die vorhandenen Daten der Versorgungssituation auf dem vertragsärztlichen Markt, so überwiegt der Eindruck, dass ein solcher Grund vielmehr den Markt vor Wettbewerb schützen wollte. Denn: Der Anteil von MVZ mit Krankenhausträgerschaft ist in den vergangenen Jahren zwar gestiegen, allerdings trifft dies zum einen für alle MVZ unabhängig von der Trägerschaft zu, zum anderen stellen diese MVZ, also solche mit Krankenhausträgerschaft, immer noch einen erheblich geringen Anteil an der Gesamtversorgungssituation dar. Daher kann auch im Hinblick auf die vorhandene wissenschaftliche Datenlage nicht erwartet werden, dass auch bei einem noch rasanteren Anstieg dieser Versorgungsform eine Anbieterdominanz von MVZ mit Krankenhausträgerschaft entstehen wird.

Gleiches gilt für die anderen Vorwürfe. Insbesondere ist bei den Investoren-MVZ keine schlechtere Versorgungsqualität erkennbar und Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Patientengesundheit sind auch nicht ersichtlich. Die in diesem Zusammenhang häufig vorgetragene Gefahrenprognose hinsichtlich der Versorgungsqualität und Patientengesundheit sind insofern inkonsistent und unhaltbar – dies schon deswegen, weil trotz der jahrelangen Erfahrung mit medizinischen Versorgungszentren im ärztlichen Bereich keine nachweisbaren tatsächlichen Anhaltspunkte für die Gefährdung der Versorgungsqualität und des Patientenwohls bei MVZ mit Krankenhausträgergesellschaft beziehungsweise Investorenbeteiligung vorliegen.

Bei einer vorzunehmenden Gefahrenprognose würde auch der dem Gesetzgeber im sozialrechtlichen Bereich zuerkannte weite Einschätzungsspielraum zu keinem anderen Ergebnis führen. Insgesamt wird kein spezifischer Zusammenhang zwischen den Gefährdungen der ärztlichen Versorgungsqualität mit den damit verbundenen Gefahren für die Gesundheit der gesetzlich krankenversicherten Patienten und der unbeschränkten MVZ-Gründungsbefugnis für Krankenhäuser zu erkennen sein.

In Bezug auf die behauptete verstärkte Renditeausrichtung bei der Abrechnung von ärztlichen Leistungen durch Investoren-MVZ ist schon nicht erkennbar, auf welcher Datengrundlage diese Einschätzung erfolgt. Auffälligkeiten im Abrechnungsverhalten können außerdem vielerlei Gründe haben, die jedoch mitnichten den Schluss rechtfertigen, dass in MVZ mit Investorenbeteiligung überwiegend „lukrative“ Leistungen erbracht werden. Diesbezüglich muss außerdem betont werden, dass auch iMVZ den gleichen vertragsarztrechtlichen Kontrollen der Selbstverwaltungsorgane (Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach den Paragrafen 106 ff. SGB V etc..) unterliegen wie jeder andere Vertragsarzt beziehungsweise sonstige MVZ.

Auch im Übrigen würde ein umfassendes Verbot weder geeignet noch erforderlich und vor allem nicht angemessen sein. Nicht nachvollziehbar bei der Diskussion ist dabei insbesondere, aus welchen Gründen Krankenhäuser, an denen Investoren beteiligt sind, die Versorgung im stationären Bereich nicht gefährden, während das MVZ mit Krankenhaus- und Investorenbeteiligung die in der ambulanten Behandlung befindlichen Patienten gefährden soll. Denn insofern ist ausschließlich ein Verbot im ambulanten Bereich geplant. Ebenso wenig ist die Regelung in Bezug auf die beabsichtigte Verbesserung der flächendeckenden Versorgung geeignet. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, wie die Einführung von MVZ-Gründungsbeschränkungen für einzelne Anbieter vertragsärztlicher Leistungen zu einer Sicherstellung oder Verbesserung der vertragsärztlichen Versorgung führen soll.

Vorhandene Regelungen der Binnenorganisation verschärfen

Soll die Versorgungsqualität, die Patientengesundheit und folglich auch die Finanzierbarkeit der Gesetzlichen Krankenversicherung geschützt werden, wäre es im Ergebnis erforderlich und ausreichend gewesen, die Regelungen zur Binnenorganisation des MVZ weiter restriktiver zu gestalten und entsprechende Sicherungsmechanismen zu regeln. Die Organisationsform eines medizinischen Versorgungszentrums sieht eine klare Trennung zwischen der Gründer- und Trägerebene sowie der Ebene der ärztlichen Leistungserbringung vor. Medizinische Versorgungszentren sind insofern dem restriktiven Zulassungsrecht und die dort tätigen Ärzte, die regelmäßig Mitglied der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung sind, vor allem auch der Kontroll- und Disziplinargewalt der Selbstverwaltungskörperschaften unterworfen.

Zu den Regelungen zum Schutz der Integrität ärztlicher Behandlung vor sachfremden Einflüssen zählen daneben insbesondere auch das ärztliche Berufsrecht sowie die speziellen verpflichtenden Vorgaben zur Binnenorganisation eines jeden MVZ. Eine herausragende Stellung kommt dabei dem ärztlichen Leiter eines MVZ zu, dessen primäre Aufgabe es ist, die Qualität der Behandlung im MVZ und den Schutz der Patienten vor sachfremden Einflüssen sicherzustellen und die Einhaltung der vertragsarztrechtlichen Vorgaben zu gewährleisten. Selbst wenn man der Meinung wäre, die vorhandene Regulierung reiche nicht zum umfassenden Schutz der schützenswerten Gemeinwohlbelange aus, dann stellten die Verschärfung und Weiterentwicklung der bestehenden Regelungen jedenfalls relativ mildere Mittel dar.

In Bezug auf den allgemeinen Gleichheitssatz aus Artikel 3 Absatz 1 GG ergibt sich die Verfassungswidrigkeit eines Verbots aus mehreren nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlungen. Zum einen würde eine unterschiedliche Behandlung von zugelassenen Krankenhäusern und den anderen in Paragraf 95 Absatz 1a SGB V genannten Leistungserbringern bei der MVZ-Gründung sowie zum anderen von medizinischen Versorgungszentren und Krankenhäusern erfolgen. Im Lichte von Artikel 12 Absatz 1 GG sind die diskutierten Differenzierungsgründe aber nicht sachgerecht (s.o.). Die Inkohärenz ergibt sich in diesem Zusammenhang vor allem aus einer unterschiedlichen gesetzgeberischen Bewertung des Gesundheitsschutzes gesetzlich krankenversicherter Patienten in vergleichbaren Situationen. So werden entsprechende Gefahren nur bei einer Krankenhausbeteiligung auf dem ambulanten Markt gesehen, während dies beim stationären Bereich überhaupt keine Erwähnung findet. Im Ergebnis entsprechen die unterschiedlichen Bewertungen und Rechtsfolgensetzungen in diesem Zusammenhang nicht dem Gedanken der Folgerichtigkeit und dem Gebot der Kohärenz.

Ausblick auf Europäisches Recht

Die Verfassungswidrigkeit der geplanten, die Investorentätigkeiten einschränkenden Regelungen, insbesondere ein umfassendes „Verbot“, wirft auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten (EU) viele Fragen auf.

Schwerpunktmäßig sind Gründungs- und Betriebsbeschränkungen für bestimmte Leistungserbringer an der Niederlassungsfreiheit nach Artikel 49, 54 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu beurteilen. Nach Artikel 49 Absatz 2 AEUV umfasst die Niederlassungsfreiheit die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen. Von diesem Schutzbereich werden damit auch die Beteiligung an Arztpraxen sowie die Gründung und der Betrieb von MVZ erfasst.
Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit können, soweit sie in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sofern sie geeignet sind, die Erreichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist.

Die Frage nach der Unionskonformität von umfassenden Verboten für Investoren, sich an Arztpraxen zu beteiligen beziehungsweise diese zu kaufen, beurteilt sich im Wesentlichen an den vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil zum Fremdbesitzverbot an Apotheken vom 19. Mai 2009 festgelegten Maßstäben: Danach erkennt der EuGH den Mitgliedstaaten ein Wertungsspielraum im Bereich des Gesundheitsschutzes zu, der es auch erlaubt, bei Ungewissheit hinsichtlich des Vorliegens oder der Bedeutung der Gefahren für die menschliche Gesundheit Schutzmaßnahmen treffen zu können, ohne warten zu müssen, bis der Beweis für das tatsächliche Bestehen dieser Gefahren vollständig erbracht ist.

Außerdem können die Mitgliedstaaten zum Schutz der finanziellen Stabilität der Sozialversicherungssysteme strenge Anforderungen aufstellen. Entscheidend ist, dass nach dem EuGH die Mitgliedstaaten das diesbezüglich zu erreichende Schutzniveau selbst festlegen können sollen. Wählt ein Mitgliedstaat also ein hohes Schutzniveau, kann dem nicht entgegengehalten werden, es sei nicht erforderlich, weil liberalere Niederlassungsreglementierung ausreichten. (EuGH, Urteil vom 19. Mai 2009. Az.: C-171, 172/07 Rn. 30 = EuZW 2009, 409 (410).)

Unabhängig von der Frage, ob der dem Gesetzgeber im vom EuGH zu entscheidenden Fall – Fremdbesitzverbot an Apotheken – zuerkannte Wertungsspielraum im Bereich des Gesundheitsschutzes entsprechend weit auch in Bezug auf den hier zu beurteilenden vertragsärztlichen Bereich gilt, wären die hier zu beurteilenden Einschränkungen für MVZ-Beteiligungs- und MVZ-Gründungsmöglichkeiten auch nicht vom weiten Wertungsspielraum gedeckt. Das Recht der Mitgliedstaaten zur Bestimmung des Schutzniveaus führt insofern nicht automatisch zur Rechtfertigung von Beschränkungen der Grundfreiheiten. Insbesondere folgt daraus nicht, dass jede sachlich auch noch so fernliegende Regelung eines nationalen Gesetzgebers im Gesundheitsbereich unter europarechtlichen Gesichtspunkten bedenkenlos ist. In diesem Zusammenhang fordert der EuGH etwa vor allem im Rahmen der Geeignetheit einer die Niederlassungsfreiheit einschränkenden Regelung, dass diese das Ziel systematisch und kohärent verfolgen muss.

Wie vorstehend ausgeführt, würde ein generelles Investorenbeteiligungsverbot an MVZ den Anforderungen an eine systematische und kohärente Gefahrenprognose nicht gerecht werden. Letztlich ist ein etwaiger Wirkungszusammenhang zwischen den angedrohten Einschränkungen und dem bezweckten Schutz der Patientengesundheit, des vertragsärztlichen Wettbewerbs, der Sicherstellung der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung und einer flächendeckenden Versorgung nicht zu erkennen. Insbesondere auch im Hinblick auf die durch die ärztliche Unabhängigkeit zu schützende Patientengesundheit wären umfassende Verbote auf nationaler Ebene weder geeignet noch erforderlich. Obgleich plausible Anhaltspunkte für Fehlentwicklungen fehlen, würden weitere restriktive Regelungen auch gegen die nach Artikel 49, 54 AEUV garantierte Niederlassungsfreiheit verstoßen.

Fazit

Statt – wie geschehen und nunmehr von Prof. Dr. Karl Lauterbach gefordert – weitergehende Beschränkungen auf der Ebene der MVZ-Gründung zu schaffen, sollte zum Schutz der legitimen Gesetzeszwecke – vornehmlich zum Schutz der ärztlichen Unabhängigkeit vor sachfremden Einflüssen – vielmehr versucht werden, bestehende Regelungen der MVZ-Binnenorganisation anzupassen und diese – falls erforderlich – zu ergänzen. Verfassungsrechtlich würden punktuelle regulatorische Verbesserungen der Binnenorganisation des MVZ mildere Mittel gegenüber den belastenden Eingriffen auf der darüber gelagerten Gründerebene darstellen. Diesbezüglich wäre es nach Auffassung der Verfasser zum im Vordergrund der öffentlichen Diskussion gestellten „Schutz der ärztlichen Integrität vor sachfremden Einflüssen“ ausreichend, die Stellung und Funktion des ärztlichen Leiters des MVZ weitergehend und präziser gesetzlich auszugestalten.

Dr. Karl- Heinz Schnieder, Fachanwalt für Medizinrecht,
Dr. Tobias List, Tätigkeitsschwerpunkt Medizinrecht, KWM LAW Münster/Berlin

 

RA Dr. Karl-Heinz Schnieder
RA Dr. Karl-Heinz Schnieder
Foto: kwm Rechtsanwälte
Dr. Karl-Heinz Schnieder ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht und Mediator (cfm). Nach seinem Studium war er zwei Jahre als Referatsleiter Recht der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe tätig, seit 1994 ist er als Rechtsanwalt zugelassen.
Schnieder ist Geschäftsführender Partner der Rechtsanwaltskanzlei „KWM LAW“ mit Standorten in Münster, Berlin, Hamburg, Hannover, Bielefeld, Essen. Er ist Lehrbeauftragter der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der privaten Hochschule für Logistik und Wirtschaft, SRH Hamm. Schnieder ist auch als Autor und Referent tätig mit zahlreichen Publikationen zum Arzt-, Zahnarzt- und Tierarztrecht und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im Deutschen Anwaltsverein; der Deutschen Gesellschaft für Kassenarztrecht e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen.
Neben seiner juristischen Tätigkeit ist er auch Initiator und Gründer der Gesundheitsregion-Stadt e.V., medizinische Netzwerke in Deutschland mit zurzeit zehn Gesundheitsregionen in Deutschland www.gesundheitsregion-deutschland.de. Kontakt zum Autor unter schnieder@kwm-law.de. Foto: kwm

RA Tobias List
RA Tobias List
Foto: KWM Rechtsanwälte
Dr. Tobias List absolvierte ein Studium „Economics and Law“ und ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Münster und war als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referendar unter anderem in international tätigen Kanzleien, im Auswärtigen Amt und im Generalkonsulat in Atlanta (USA), im Bundeswirtschaftsministerium und im Landgericht Münster tätig. 2018 promovierte er über ein medizinrechtliches Thema. Die Arbeit ist unter dem Titel „Private-Equity-Investments im Gesundheitssektor“ auch als Buch erschienen. Seit 2019 ist er angestellter Rechtsanwalt in der Rechtsanwaltskanzlei „KWM LAW“. List ist auch zertifizierter Datenschutzbeauftragter. Kontakt zum Autor unter list@kwm-law.de. Foto: kwm


 

 

Quelle: KWM LAW/Quintessence News Politik Praxis

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