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Vorteile sind der Knochen- und Weichgewebeerhalt vor allem bei Heranwachsenden

Klinische Ausgangssituation der bereits 18-jährigen Patientin nach erfolglosem Einstellungsversuch des verlagerten Zahns 13.

Bei einer Lückensituation aufgrund eines vorzeitigen Zahnverlusts, zum Beispiel durch Trauma oder Nichtanlage, gibt es neben den gängigen Therapiekonzepten wie kieferorthopädischem Lückenschluss, Implantation oder Brückenprothetik die autogene Zahntransplantation als alternative Therapiemöglichkeit. Insbesondere bei Heranwachsenden kann dieses Verfahren – neben der ästhetischen Rehabilitation – Vorteile hinsichtlich eines Knochen- und Weich­gewebeerhalts bieten, um die kritische Phase des skelettalen Wachstums zu überbrücken. Aber auch bei Erwachsenen ist die autogene Zahntransplantation eine Therapieoption.

Prof. Karin Huth et al zeigen in ihrem Beitrag für die Quintessenz Zahnmedizin 3/2022, das neben der korrekten Indikations­stellung die Erfolgsprognose von vielen Faktoren wie dem chirurgischen Vorgehen, dem medikamentösen Regime, der Nachsorge sowie dem Komplikationsmanagement abhängig ist. Suffiziente Patienten-Compliance und organisiertes Recall-System vorausgesetzt, können langfristig gute Erfolgs- und Überlebensraten beobachtet werden, welche insbesondere für komplexe Patientenfälle eine Perspektive bieten.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wird 2024 wie der Verlag selbst 75 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit elf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.
 

Einleitung

Durch vorzeitigen Zahnverlust, Eruptionsstörungen oder Nichtanlagen können Lückensituationen entstehen, welche einer Therapie aus funktionellen, ästhetischen oder phonetischen Gründen bedürfen. Die geläufigste Option ist hierbei die prothetische Rehabilitation, beispielsweise durch implantatgetragene Suprakonstruktionen, adhäsive Maryland- oder klassische Brücken. Insbesondere bei Nichtanlagen wird regelmäßig der kieferorthopädische Lückenschluss überlegt. Alternativ dazu besteht die Möglichkeit einer autogenen Zahntransplantation, welche seit Langem in der Literatur beschrieben6 und derzeit mit rund 1.400 Fällen pro Jahr in Deutschland unter Krankenhaus­bedingungen praktiziert wird31. Über die Fallzahlen in privaten Praxen konnten keine Daten ermittelt werden.

Vor allem im Wachstum sind einigen Therapieoptionen Grenzen gesetzt. Der Lückenschluss bedarf in der Regel einer langen Therapiedauer und somit einer andauernden Patienten-Compliance. Als Therapierisiken werden zudem die Einstellung von Fehlverzahnungen im Seitenzahngebiet mit potenziell begleitenden Beschwerden aufgrund einer kraniomandibulären Dysfunktion (CMD) oder das Auftreten von Resorptionen an stark bewegten Wurzeln sowie Gingivarezessionen – insbesondere bei Platzmangelsituationen und Vestibulärstand der Zähne – beschrieben34. Mit Ausnahme der einflügeligen Adhäsivbrücken sind sowohl der verblockende prothetische Zahnersatz im Sinne einer Brücke als auch die enossale Implantation bei Heranwachsenden im Regelfall kontraindiziert, da diese zu regionalen Wachstumshemmungen führen können5. Zudem kann ein Offenhalten der Lücke bis zum implantierbaren Alter – je nach Zeitpunkt und Ursache des Zahnverlusts – eine lange Zeit der aktiven Lückenhaltung bedeuten, währenddessen ausgeprägte Atrophievorgänge möglich sind. Dies vermag die spätere Versorgung mit einer Brücke oder einer Implantatkonstruktion sowohl funktionell als auch ästhetisch zu erschweren, wobei Letzteres oftmals nur mit vorheriger Knochenaugmentation durchführbar ist. Die autogene Zahntransplantation als Alternative des Lückenmanagements hingegen kann in diesen Fällen Vorteile bieten. Es wird berichtet, dass das lokale Knochenangebot vor Atrophie geschützt und zudem bei fortschreitendem skelettalem Wachstum in seiner Entwicklung stimuliert wird18, weshalb hier auch von einem potenziell osteoinduktiven Verfahren mit Verzicht auf Fremdmaterial die Rede ist36. Auch Zeit- und damit Geldersparnis im Vergleich zu konventionellen Therapieansätzen werden in der Literatur genannt6, was natürlich stark vom individuellen Fall abhängig ist.

Bei der autogenen Zahntransplantation werden Zähne beziehungsweise Zahnkeime chirurgisch entnommen und demselben Individuum an anderer Position wieder eingesetzt22. Die Indikation ist häufig bei Jugendlichen vor Abschluss des skelettalen Wachstums zu sehen, da – wie schon erwähnt – bei Lückensituationen ohne physiologische Belastung der entsprechenden Kieferabschnitte eine Wachstumshemmung der Hart- und Weichgewebe einsetzt, was Probleme wie Zahnstellungsanomalien, Sprechstörungen oder Dysgnathien zur Folge haben kann10. Aber auch bei adulten Patienten vermag die autogene Zahntransplantation eine Therapiealternative im Sinne eines „biologischen Zahnersatzes“ darzustellen. Dies kann insbesondere dann gelten, wenn nach lange bestehender Lückensituation eine fortgeschrittene Atrophie des betroffenen Kieferabschnitts eine ästhetisch und hygienisch zufriedenstellende brücken- oder implantatprothetische Restauration schwierig macht30. Es wird beschrieben, dass sich auch in solchen Fällen die Transplantation positiv auf das Wachstum des lokalen Gewebes auswirkt und dass eine physiologische Vertikalentwicklung ermöglicht werden kann18.

Prinzipiell wird zwischen einer Milchzahntransplantation im Wechselgebiss und der Transplantation bleibender Zähne unterschieden.

Milchzahntransplantation

Die Milchzahntransplantation findet meist in der Ober­kieferfront im Wechselgebiss statt (in Regio 12 bis 22 im Patientenalter von ca. sechs bis zwölf Jahren)35. Nichtanlagen (welt­weite Prävalenz je nach Region ca. 5 Prozent und Anteil der Oberkieferfrontzähne daran etwa 30 Prozent29) und Traumata (weltweite Lebenszeitprävalenz von etwa 25 Prozent mit statistischer Häufun­g im Kindesalter27) sind hier besonders häufig und können funktionell sowie psychisch belastend für die betroffenen Kinder und Jugendlichen sein. Die Milchzahntransplantation ist primär als temporäre Therapie anzusehen, um einen gewebeunterstützenden Lückenhalter mit ästhetischer und phonetischer Funktion zu schaffen16. Eine klassische Alternative stellt beispielsweise die Kinderprothese dar. Das Milchzahntransplantat kann aber auch als langfristiger Ersatz genutzt werden, etwa bis eine dentale Implantation bei abgeschlossenem Kieferwachstum oder ein kieferorthopädischer Lückenschluss durchführbar sind, sofern es nicht zu einer vorzeitigen Resorption der Milchzahnwurzel und damit zu einem Verlust kommt. Zudem ist das Milchzahntransplantat als erster Therapieschritt im Rahmen des sogenannten Zwei-Phasen-Transplantationskonzepts durchführbar25. Hierbei schließt sich nach Abschluss des Zahnwechsels unter nahendem Verlust des versetzten Milchzahns die Transplantation eines bleibenden Zahns in die Region an.

Als Spenderzähne fungieren meist die Milcheckzähne des Ober- oder Unterkiefers, welche aufgrund ihrer Wurzellänge eine gute klinische Festigkeit nach Einheilung versprechen und sich kunststoffadhäsiv ästhetisch umformen lassen35. Die Entnahmestellen können in der Regel unkompliziert offengehalten und mittelfristig durch die erup­tierenden bleibenden Zähne besetzt werden. Es ist durch physiologisch fortschreitende Resorption der Wurzel des Milchzahntransplantats mit einer Exfoliation nach durchschnittlich 3,7 Jahren zu rechnen16, was oftmals reicht, um den Zeitraum bis zur weiteren definitiven Therapie zu überbrücken. Eine aktuelle Studie, welche 64 transplantierte Milchzähne an 44 Patienten in einem Zeitraum von 2006 bis 2018 dokumentierte, bezifferte diesbezüglich die durchschnittliche Erfolgsrate mit 76 Prozent, während die Patientenbefragung eine mediane Schulnote von 1,4 und damit eine breite Zufriedenheit der Patienten mit dem Therapie­prozedere ergab16. Dabei wurde der Erfolg dergestalt definiert, dass zum Zeitpunkt der letzten Intervallkontrolle (aber mindestens 6 Monate nach Transplantation) zirkulä­re Taschensondierungstiefen von ≤ 3 mm, ein Lo­ckerungsgrad von ≤ II und ein negativer Perkussionstest vorlagen. Häufigster Grund für die Indikation zur Milchzahntransplantation stellte im Rahmen der Studie das dentale Trauma mit 60 Prozent Anteil dar. In 38 Prozent der beobachteten Fälle schloss sich die Weiterbehandlung durch ein bleibendes Prämolarentransplantat (Zwei-Phasen-Transplantationskonzept) an, in 18 Prozent wurde die Zeit bis zum Durchbruch des bleibenden Zahns überbrückt und in jeweils 10 Prozent der Fälle erfolgte anschließend ein kieferorthopädischer Lückenschluss oder eine enossale Implantation16.

Ein Fallbeispiel (Abb. 1a) zeigt einen neunjährigen Patienten, der den Zahn 21 durch einen Zahnunfall verlor. In Ermangelung eines geeigneten Transplantats der zweiten Dentition erfolgte zunächst eine Transplantation des Milchzahns 53 auf die Position 21, gefolgt von einem kunststoffadhäsiven ästhetischen Aufbau (Abb. 1b bis d). Nach drei Jahren kam es zur progredienten Lockerung des Milchzahns aufgrund natürlicher Wurzelresorption. Bei mittlerweile ausreichender Wurzelreifung wurde nachfolgend der Zahn 15 unter Entfernung des Milcheckzahns auf die Position 21 transplantiert (Abb. 1e; Zwei-Phasen-Transplantationskonzept). Dieser wurde ebenfalls ästhetisch adaptiert und in die zwischenzeitlich eingebrachte Multiband-Apparatur eingegliedert (Abb. 1f und g). Die derzeit bestehende Lückensituation in Regio 15 wird kieferorthopädisch offengehalten und voraussichtlich durch ein Weisheitszahntransplantat (18 oder 28) besetzt. Alternativ kann aber auch eine nachfolgende Implantation oder ein kieferorthopädischer Lückenschluss mit Mesialisierung der Molaren 6, 7 und 8 diskutiert werden. Der Vorteil des mehrstufigen Behandlungskonzepts ist hierbei in der jederzeit ästhetisch und funktionell reha­bilitierten Oberkieferfront unter Erhalt des Knochen- und Weichgewebeniveaus in der Wachstumsphase zu sehen.

Transplantation bleibender Zähne

Die Transplantation bleibender Zähne kann im Vergleich zur Milchzahntransplantation – je nach Indikation und Patientenwunsch – nicht nur eine temporäre Behandlungsoption, sondern auch eine definitive Therapie darstellen. Primäre Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene mit frühem Zahnverlust38. Aber auch Patienten im mittleren Alter können davon profitieren37.

Am häufigsten wird hierbei ein Weisheitszahn auf die Position eines fehlenden Molaren transplantiert17. Daneben zählt auch die chirurgische Einordnung eines verlagerten Eckzahns, welcher auf kieferorthopädischem Wege nicht einstellbar war, zu den autogenen Transplantationen11. Auch Transplantationen der Weisheitszähne auf Position eines Prämolaren oder von Prämolaren auf Inzisivi-Positionen des Oberkiefers sind möglich. Entscheidend ist immer die sorgfältige Planung, vor allem hinsichtlich der Zahn­größe im Verhältnis zur Lückengröße und hinsichtlich des Entwicklungsstands des potenziellen Transplantats. Der Zeit­punkt und die Region der Transplantation sollten so gewählt sein, dass Lückengröße und Zahnkronenbreite nahe­zu identisch sind, das heißt, dass eine kieferortho­pädische Lückenöffnung abgeschlossen ist und sich das Wurzelwachstum auf etwa ein Dreiviertel der Gesamtlänge beläuft21. Letzteres lässt ein noch offenes Foramen apicale erwarten, was für die erwünschte Revaskularisierung nach initialer Einheilung von großer Bedeutung ist3. Nichtsdestotrotz sind auch Transplantationen von Zähnen mit abgeschlossenem Wurzelwachstum möglich, wenngleich diese häufiger einer Nachbehandlung im Sinne endodontischer Maßnahmen bedürfen4 (siehe Abschnitt „Komplikations­management“).

Ist die autogene Transplantation bleibender Zähne als definitive Therapie angesetzt, müssen hinsichtlich einer Therapiereevaluation komplexere Maßstäbe als nur das Verbleiben im Mund angelegt werden, sodass Überlebens- von Erfolgsraten abzugrenzen sind, wobei Letztere beispielsweise die Bewertung des parodontalen Status stärker einbeziehen. Leider kommt es – insbesondere in der internationalen Literatur – oft zu einer Gleichstellung der beiden Termini oder es werden grundsätzlich verschiedene Kriterien festgelegt, welche den Erfolgsfall beschreiben sollen, sodass Erfolgsraten in der Regel deutlich niedriger ausfallen als Überlebensraten15. Auch ist von großer Bedeutung, ob die Studie Zahntransplantate mit offenem oder bereits geschlos­senem Apex beobachtet. Folglich ergibt sich in der Literatur eine große Bandbreite an Erfolgs- beziehungsweise Überlebensraten von Zahntransplantaten. So werden 5-Jahres-Überlebensraten von groß angelegten, meist retro­spektiven Studien bzw. Metaanalysen neueren Datums mit durchweg hohen Werten von 89,723, 951 oder sogar 98 Prozent3 angegeben. Die Erfolgsraten hingegen sind häufig nicht klar definiert, nicht angegeben oder schwanken stark: Für das gleiche 5-Jahresintervall nennt die Literatur Werte von 57,533 bis 89 Prozent3.

Abbildung 2a zeigt den radiologischen Ausgangsbefund einer 16-jährigen Patientin mit kariös tiefzerstörten Molaren 16 und 26. Nach Rücksprache mit der behandelnden Kieferorthopädin, die einen retromolaren Platzmangel mit Retention der Weisheitszähne diagnostizierte, und auch in Anbetracht des Wunschs der Patientin sowie der Eltern nach einer möglichst zeitnahen Behandlung wurden die Zähne 16, 26 sowie 38, 48 entfernt und die Zähne 18 sowie 28 bei noch offenem Apex seitengleich auf die Positionen 16 und 26 transplantiert (Abb. 2b). Es erfolgte keine weitere kieferorthopädische Therapie aufgrund der bereits ausgeformten Zahnbögen. 5 Jahre post operationem zeigten sich beide Transplantate klinisch und radiologisch reizfrei in situ (Abb. 2c und d). In diesem Fall konnte auf weitere konservierende Therapien wie beispielsweise endodontische oder kunststoffadhäsive Maßnahmen bei suffizienten Appro­ximal- und Okklusalkontakten sowie reizfreier Klinik ohne Resorptionen oder entzündliche Osteolysen verzichtet werden. Die Sensibilitätsprüfung war auch nach fünf Jahren beidseits positiv, ferner ließ sich ein weiteres Wurzelwachstum nach Transplantation von jeweils ca. 3 mm beobachten – beides Zeichen einer erfolgreichen Revaskularisation, obgleich sich im Laufe der Zeit eine beidseitige Pulpenobliteration radiologisch er­heben ließ.

Zur ergänzenden Illustration soll ein weiterer komplexer Fall gezeigt werden, um das Potenzial und die Grenzen solcher Transplantationen hinsichtlich einer schrittweisen Therapie bei einem im Wachstum befindlichen Individuum zu veranschaulichen. In Abbildung 3a bis d ist der Fall einer anfänglich 13-jährigen Patientin mit primärer Durchbruchsstörung („Primary failure of eruption“, PFE13) im Oberkiefer- und Unterkieferseitenzahngebiet sowie Nichtanlage des Weisheitszahns 18 zu sehen. Nach erfolglosem Ausschöpfen der kieferorthopädischen Möglichkeiten und in Ermangelung einer Therapiealternative wurden im 16. Lebensjahr in einem ersten Eingriff die Zähne 17 (auf Position 16), 15, 27, 37 und 47 durch Transplantation in Okklusionsebene eingestellt (vgl. Abb. 3b). Dieses Vorgehen mag auch unter dem Begriff „chirurgische Extrusion“ in Erinnerung sein. Zahn 16 ließ sich bei komplexer Wurzelkonfiguration mit extremer ankylotischer Retention im Boden des Sinus maxillaris nicht unbeschädigt bergen und musste daher entfernt werden. Zahn 28 wurde als Reservezahn vorerst belassen. Abbildung 3c zeigt den Fall nach erfolgter Bracketierung und operativer Entfernung der Weisheitszähne 38 und 48 aus Gründen des retromolaren Platzmangels im
Verlauf (Alter der Patientin zu diesem Zeitpunkt: 18 Jahre). In einem letzten Schritt wurde der Weisheitszahn 28 auf Position 17 transplantiert (Alter der Patientin zu diesem Zeitpunkt: 21 Jahre). Abbildung 3d zeigt den radiologischen Status der mittlerweile 23-jährigen Patientin im Rahmen der 7-Jahres-Verlaufskontrolle bei reizfreien Verhältnissen und physiologischer Bissrelation. Der Verdacht auf radiologische Unregelmäßigkeiten, beispielsweise in den apikalen Bereichen in Regio 37 und 47, zeigte im Rahmen der Verlaufs­kontrolle keine Progredienz und auch keine klinische Symptomatik, weswegen von einer Behandlungs­konsequenz Abstand genommen wurde.

Chirurgisches Vorgehen

Nach eingehender Planung und Auswahl des Transplantats sowie des Zeitpunkts wird der operative Eingriff terminiert, welcher in lokaler Anästhesie oder Intubationsnarkose durchgeführt werden kann. Eine in situ befindliche Multiband-Apparatur erleichtert die postoperative Retention des Transplantats im Zahnbogen und ist für nachfolgende Feinjustierungen hilfreich, stellt aber keine zwingende Notwendigkeit dar. Prinzipiell können diskret abweichende Vorgehensweisen recherchiert werden, wobei sich folgendes Prozedere in der Literatur wiederholt8,19: Es wird das ausgewählte Transplantat unter größtmöglicher Schonung und ohne Berührung des Desmodonts aus seinem knöchernen Bett entnommen und in ein wässriges Nährmedium (4 mg Dexamethason, 100 mg Doxycyclin und 10 ml 0,9-prozentige Natrium­chlorid (NaCl)-Lösung35) zwischengelagert. Je nach Schwierigkeit kann es dazu einer Osteotomie mit Schwächung des umgebenden Knochens und einer Darstellung durch Bildung eines Mukoperiostlappens bedürfen. Nach Bergung des Zahns wird das zukünftige Lager zu einer passenden Neoalveole für das Transplantat durch Osteotomie umgearbeitet, wozu ebenfalls die Bildung eines Mukoperiostlappens in marginaler Schnittführung notwendig werden kann. Nach Einsetzen des Transplantats erfolgt die kunststoffadhäsive Schienung am Labialbogen einer Multiband-Apparatur oder durch einen Titan-Trauma-Splint (TTS) an den Nachbar­zähnen (in der Regel für einen Zeitraum von 21 Tagen; siehe Abschnitt „Nachsorge und Weiterbehandlung“), was eine Mobilisierung des Zahns in der initialen Einheilphase weitestgehend flexibel unterbindet21. Abschließend wird eine speicheldichte plastische Deckung mit dem umliegenden marginalen Weichgewebe durch Rückstichnähte durchgeführt – auch im Bereich der Entnahmestelle.

Die Abbil­dungen 4a bis d illustrieren den chirurgischen Ablauf anhand des Beispiels einer 18-jährigen Patientin, deren retinierter Oberkiefereckzahn sich auf kieferorthopädischen Zug über einen Zeitraum von etwa drei Jahren nicht einstellen ließ. Abbildung 4e zeigt das klinische Bild nach Entbän­derung.

Nachsorge und Weiterbehandlung

Es gilt primär, eine initiale Einheilung des Transplantats sowie der Entnahmeregion sicherzustellen. Hinsichtlich der Notwendigkeit einer perioperativen Antibiose gibt es keine gesicherten Daten in der Literatur. Allerdings wird häufig ein intraoperativer, intravenöser „Single shot“ von 100 mg Doxycyclin verabreicht, gegebenenfalls gefolgt von einer fünftägigen postoperativen Antibiose per os (Doxycyclin 50 bis 100 mg 1-0-1, in Abhängigkeit von Patientenalter und -gewicht)32. Bei Patienten unter 12 Jahren ist Doxycyclin kontraindiziert. Es verbleiben die Alternativen Amoxicillin/Clavulansäure und Clindamycin. Neben der antiinflammatorischen Wirkung des Antibiotikums gilt zudem eine antiresorptive Wirkung des Doxycyclins als vorteilhaft9. Bei Bedarf kann eine zusätzliche Schmerzmedikation mit Ibuprofen 200 bis 600 mg (je nach Patientengewicht) verordnet werden. Kühlung und körperliche Schonung sowie eine Nikotin- und Alko­holkarenz für sieben Tage sind anzuraten.

Kontrolltermine finden in der Regel am ersten postoperativen Tag (Wundnachsorge) sowie nach sieben (Entfernung des Nahtmaterials) und 21 Tagen (Entfernung der Schienung) statt21. Bei Heranwachsenden in kieferorthopädischer Behandlung kann eine Bracketierung und Feineinstellung des Transplantats mit regulären, federnden Kräften zeitnah nach Schienenentfernung durchgeführt werden14,20. Auch wenn eine gewisse Lockerung des Transplantats noch nach 3 Wochen der Einheilphase bestehen kann, ist eine möglichst frühe (Teil-)Belastung des Transplantats sinnvoll,
um eine vorzeitige Ankylose in suboptimaler Position zu vermei­den21. Erfahrungsgemäß kann mit einer kompletten periradikulären Reossifikation in Abhängigkeit von der vormaligen Defektgröße zuweilen erst über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten gerechnet werden. Ein regelmäßiges klinisches und radiologisches Recall ist immens wichtig, wobei auf Resorptionserscheinungen, apikale oder periradikuläre Osteolysen, Obliterationen, welche als vitales Zeichen und damit als physiologisch zu werten sind, sowie die Ausbildung eines physiologischen Parodontalspalts und ein etwaiges fortschreitendes Wurzelwachstum geachtet werden sollte26. In der Praxis haben sich diesbezüglich enge Intervalle von drei Monaten im ersten Jahr und anschließend jährliche Kontrollen bewährt.

Falls nötig, kann das Transplantat durch eine kunststoff­adhäsive Füllungs- oder (Teil)-Kronentherapie hinsicht­lich der ästhetischen (Oberkieferfront) und funktionellen (Okklusions- und Approximalkontakte im Seitenzahnbereich) Anforderungen angepasst werden.

Komplikationsmanagement

Im Laufe der Einheilung und Nachuntersuchungen kann es zu pathologischen Befunden kommen, welche häufig multifaktoriell bedingt sind. Die Literatur zählt zahlreiche Einflüsse auf, welche von einer Traumatisierung des Transplantats vor Entnahme, beispielsweise durch langjährigen kieferorthopädischen Zug nach Freilegung, über eine möglicherweise unsachgemäße Operationstechnik bis hin zur insuffizienten Mundhygiene des Patienten reichen6. Bei den selten auftretenden initialen Entzündungssymptomatiken oder Wundheilungsstörungen empfiehlt sich eine mehr­malige Spülung des Situs mit 0,9-prozentiger NaCl-Lösung und eine antibiotische Therapie per os mit Amoxicillin/Clavulanäure oder Clindamycin für fünf Tage2. Bei Perkussionsauffälligkeiten, radiologisch darstellbaren Resorptionen oder entzündlichen Osteolysen sollte die Einleitung einer Wurzelkanalbehandlung angeraten werden. Im Falle von apikal-entzündlichen Pathologien ist abschließend eine definitive Guttapercha-Wurzelfüllung angezeigt7, wohingegen bei Resorptionsvorgängen eine Calciumhydroxideinlage über längere Zeit verbleiben kann24. Man erhofft sich davon eine Stagnation der resorptiven Vorgänge28.

Sollten sich Ankylosezeichen wie etwa ein heller Klopfschall oder eine Persistenz des Transplantats in Infra­position abzeichnen, ist dies unterschiedlich zu bewerten. Bei adulten Patienten nach Abschluss des Wachstums – beispielsweise aufgrund einer absichtlichen Transplantation in diskrete Nonokklusion, um störende dynamische Be­lastungen in der Einheilphase zu unterbinden – kann dies akzeptiert und durch okklusale Konstruktionen ausgeglichen werden, sofern eine fortschreitende Resorption ausbleibt12. Bei Jugendlichen im Wachstum und während einer kieferorthopädischen Therapie darf jedoch keine Gewebehemmung riskiert werden. Daher sollte eine Entbänderung des Transplantats stattfinden, da sonst die Gefahr von stressbedingten Resorptionen am Zahn und vor allem von reaktiver Intrusion der Nachbarzähne besteht. Anschließend kann angedacht werden, das vorzeitig arretierte Transplantat durch vorsichtige chirurgische Anluxation aus der unphy­siologischen knöchernen Verbindung zu lösen und dieses im Erfolgsfall für weitere kieferorthopädische Krafteinwirkung zugänglich zu machen12.

Konklusion und Ausblick

Die autogene Zahntransplantation stellt eine interdisziplinäre Therapiealternative bei Lückensituation insbesondere im skelettalen Wachstum dar. Sie kann als temporäre (Milchzahntransplantation) bzw. semipermanente bis permanente (Transplantation bleibender Zähne) Behandlungsoption betrachtet werden. Speziell hinsichtlich der herausfordernden Sonderfälle von Nichtanlagen, PFE oder kieferorthopädisch nicht einzugliedernden verlagerten Eckzähnen sowie des traumatischen Zahnverlusts im Jugendalter kann die Transplantation Vorteile bieten. Hier ist dezidiert der Erhalt der Hart- und Weichgewebe sowie die Vermeidung von Fremdmaterial in wichtigen Phasen der horizontalen und vertikalen Kieferentwicklung zu sehen. Bei adulten Patienten können Transplantationen als prä­implantologische oder lückenschließende Maßnahme im Sinne eines „biologischen Zahnersatzes“ bei bereits erfolgter Kieferatrophie Optionen eröffnen. Einschränkend muss erwähnt werden, dass es sich um ein invasives chirurgisches Vorgehen handelt, das zum einen einer Intubationsnarkose bedürfen kann und zum anderen ein Infektionsrisiko als seltene Komplikation birgt. Zudem ist der Erfolg abhängig von Planung und Indikationsstellung sowie von der technischen Durchführung und der Erfahrung des Operateurs. Auch muss eine gute Mundhygiene der oft jugendlichen Patienten und eine gewisse Compliance hinsichtlich der regelmäßig wahrzunehmenden Recall-Untersuchungen gegeben sein.

Ein Beitrag von Prof. Dr. Karin Christine Huth, Dr. Sebastian Meinzer, Prof. Dr. Dirk Nolte, München

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Zahnmedizin 03/2022 Zahnmedizin

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