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Blick über den dentalen Tellerrand hinaus auf nichtdentogene Schmerzursachen und Zusammenhänge

Eine zervikale invasive Resorption am lingualen Parodontalspalt von Zahn 36.

Dr. Dr. Frank Sanner

Schmerzdiagnostik und -behandlung sind zentrale zahnärztliche Aufgaben. Gerade bei persistierenden Zahnschmerzen liegen häufig nichtodontogene Ursachen zugrunde, die selten und schwer zu erkennen sind. Autor Dr. Dr. Frank Erhard Sanner beleuchtet in seinem Beitrag für die Quintessenz Zahnmedizin 7/21 das Spektrum der Ursachen für Zahnschmerzen im zahnmedizinischen Praxisalltag und berücksichtigt vor allem Aspekte wie „Welche Verdachts­momente sprechen für nichtodontogene Schmerzen?“ oder „Wie ist die diagnostische Vorgehensweise?“
Die nichtodontogenen Schmerzursachen werden der neuen internationalen Schmerzklassifikation für orofaziale Schmerzen („International classification of orofacial pain“, ICOP) zugeordnet.

Die „Quintessenz Zahnmedizin“, Monatszeitschrift für die gesamte Zahnmedizin, ist der älteste Titel des Quintessenz-Verlags, sie wurde 2019 wie der Verlag selbst 70 Jahre alt. Die Zeitschrift erscheint mit zwölf Ausgaben jährlich. Drei Ausgaben davon sind aktuelle Schwerpunktausgaben, die zusätzlich einen Online-Wissenstest bieten mit der Möglichkeit, Fortbildungspunkte zu erwerben. Abonnenten erhalten uneingeschränkten Zugang für die Online-Version der Zeitschrift und Zugang zur App-Version. Mehr Infos, Abo-Möglichkeit sowie ein kostenloses Probeheft bekommen Sie im Quintessenz-Shop.

Einleitung

Eine zentrale Aufgabe in der zahnärztlichen Praxis ist die Diagnostik und Behandlung, besser noch die Vermeidung von Zahnschmerzen, da diese für die Patienten häufig mit Furcht und Angst verbunden sind6,16. Zudem steht der Wunsch nach schmerzfreier Behandlung für Patienten bei der Beurteilung eines Zahnarztes an prominenter Stelle8. Die korrekte Erkennung des schmerzenden Zahns und der Ursachen der Zahnschmerzen ergibt sich aus der Bewertung aller vorhandenen anamnestischen, klinischen und radiologischen Informationen, da Patienten den Schmerz nicht immer korrekt am verursachenden Zahn verorten können9,13.

Fast immer finden sich nämlich die Ursachen bei zahnärztlichen Schmerzpatienten nach Erheben der Anamnese, der klinischen Befunde und gegebenenfalls der Röntgendiagnostik bei akuten Zahnschmerzen. Schmerzanamnese und -lokalisation passen in den meisten Fällen zu einem krankhaften Zahnbefund wie beispielsweise einer tiefen Karies in Kombination mit einer akuten Pulpitis oder einer periradikulären Entzündung. Symptomatische Pulpitiden und periradikuläre Entzündungen sind die häufigsten Schmerzursachen20,24

Typisch bei einer symptomatischen irreversiblen Pulpitis ist, dass der Schmerz am verursachenden Zahn sowohl spontan als auch thermisch und mechanisch provoziert werden kann17. Mit zunehmender pulpaler Entzündung wird der Schmerz für den Patienten immer schwieriger zu lokalisieren. Röntgenologisch und klinisch sind häufig eine Karies oder die Folgen eines Zahntraumas zu erkennen.

Bei einer symptomatischen periapikalen Parodontitis hingegen wird der Schmerz klarer lokalisierbar13, der betreffende Zahn ist sowohl klopfschmerzhaft als auch bei Aufbiss empfindlich und zeigt in der Regel keine Kältesensibilität mehr. Der periradikuläre Kieferknochen ist häufig druckschmerzhaft. Eine Schwellung oder ein Abszess können zusätzlich vorliegen. Röntgenologisch zeigt sich zunächst eine zunehmende Verbreiterung des (periradikulären) Parodontalspalts.

Neben diesen akuten odontogenen Schmerzen sind die meisten atypischen und persistierenden Schmerzen über eine Dauer von drei Monaten nichtodontogener Natur, da Regelmechanismen die Schmerzreaktion bei Entzündungen im Laufe der Zeit abschwächen, während die Entzündung schmerz­frei chronifiziert21.

Persistierende Schmerzen sind daher häufiger nichtodontogen und schwerer zu erkennen. Die Patienten, die unter diesen Schmerzen leiden, stehen teils unter erheblichem Leidensdruck und haben mehrere Therapieversuche hinter sich. Der Blick über den dentalen Tellerrand hinaus auf nichtdentogene Schmerzursachen und Zusammenhänge ist Ziel des folgenden Überblicks, der an den entsprechenden Stellen auf die neue internationale Schmerzklassifikation für orofaziale Schmerzen („International classification of orofacial pain“, ICOP) von 202010, die alle Möglichkeiten für Schmerzen im orofazialen Bereich beschreibt und klassifiziert, eingehen wird. Die jeweilige Klassifikation der ICOP wird in dieser Übersicht den verschiedenen Krankheitsbildern zugeordnet. Sie ist kostenlos im Internet einsehbar10.

Im zahnärztlichen Alltag ist zu berücksichtigen, dass odontogene und nichtodontogene Zahn­schmer­zen gleichzeitig vorliegen können. Neben akuten Schmerzen werden persistierende (mehr als zwei Stunden täglich für mehr als drei Monate) und episodische Schmerzen (weniger als 15 Tage im Monat) unterschieden10.

Atypische odontogene Zahn­schmerzen (ICOP 1.1)

Atypische und länger andauernde Zahnschmerz­anamnesen finden sich gelegentlich auch bei einer odontogenen Genese, zum Beispiel bei verdeckter Karies unter Restaurationen (Abb. 1) oder tiefen Füllungen, Infraktionen und Längsfrakturen sowie bei externen Resorptionen in Pulpanähe (Abb. 2). Ebenso können Frakturen3, die bis zum peripulpalen Dentin reichen, Gründe für kurzzeitige, beim Kauen blitzartige, aber auch anhaltende pulpitische Schmerzen sein (Abb. 3). Die Zuordnung der Zahnschmerzsymptomatik kann gerade bei Molaren im Lauf des Entzündungsprozesses dadurch erschwert sein, dass ein Teil der Pulpa in einem Wurzelkanal nekrotisiert sein kann, während Teilbereiche noch pulpitische, das heißt, sensible beziehungsweise hypersensible Reaktionen zeigen und sich somit ein Mischbild ergibt. Bevor an nichtodontogene Schmerzen gedacht wird, sollte zunächst erneut die Möglichkeit von odontogenen Schmerzen reevaluiert werden. Im Folgenden werden nichtodontogene Zahnschmerzen in fünf Gruppen unterteilt.

Schmerz von umgebenden Strukturen

Intraorale Herpesviren-Infektionen (ICOP 1.2.1 und 1.2.3)

Intraorale Virusinfekte wie Herpes Zoster führen zu Schmerzen in dem betroffenen Bezirk – auch schon drei bis vier Tage vor Auftreten der typischen Viren­bläschen (Abb. 4), sodass zunächst keine Auffälligkeiten an den Schleimhäuten zu erkennen sind, der Schmerz den Patienten aber schon den Zahnarzt aufsuchen lässt5. Bei Herpes Zoster ist typischer­weise die Infektion mit einem deutlichen Krankheitsgefühl verbunden.

Speicheldrüsenentzündungen (ICOP 1.2.2)

Speicheldrüsenentzündungen können zu akuten und anhaltenden Schmerzen im Wangen- und Kieferbereich führen25, die vor allem beim Essen zunehmen können. Blockiert beispielsweise ein Speichelstein den Speichelkanal, kann es zu Speichelstau und einer Sialadenitis kommen (Abb. 5). Der Patient bemerkt einen zunehmenden Druck und Schmerzen beim Kauen von Nahrung in diesem Bereich.

Tumoren (ICOP 1.2.3.4)

Orofaziale Tumoren und Tumoren des Nasen­rachenraums führen in fortgeschrittenen Stadien zu Schmerzen. Teils sind die Schmerzen der erste Hinweis auf das Vorhandensein eines Tumors und führen zum Erkennen des Tumors. Typischerweise markiert auch das Auftreten von Schmerzen den Übergang einer Schleimhaut-Dysplasie zu einer Neoplasie4,12.

Sinusitis maxillaris

Eine akute Sinusitis maxillaris7 führt zu Schmerzen im seitlichen Oberkiefer. Durch die anatomische Nähe zu den Wurzeln der Oberkiefermolaren besteht eine Verwechslungsgefahr mit schmerzhaften Entzündungen der oberen Molaren. Typisch für eine akute Sinusitis sind Schmerzen beim Kopftiefbeugen, teils Erschütterungsschmerz, Druckschmerz bei Palpation im Tuber- und im Fossa-canina-Bereich, eine radiologischen „Verschattung“ in der Kieferhöhle. Anamnestisch besteht häufig ein Zusam­menhang mit vorangegangenen respiratorischen Infekten wie einem einseitigen Schnupfen. Eine Überprüfung der Zähne beinhaltet die Sensibilitätsprüfung aller nichtwurzelbehandelten Zähne, die bei Sinusitis positiv ausfällt, und einen radiologischen Ausschluss von periapikalen Läsionen.

Übertragene Schmerzen

Unter übertragenen Schmerzen versteht man, dass sich Schmerzquelle und Ort der gefühlten Schmerzen voneinander unterscheiden und der Schmerz „übertragen“ wird. Dies wird verursacht durch die Konvergenz von Schmerzfasern aus der Peripherie im Hirnstamm (Abb. 6). Weiterleitende Nervenstrukturen integrieren gleichzeitig verschiedene Zuflüsse, was zu übertragenen Schmerzen führen kann18. Bekannt ist die Verwechslung mit Nachbarzähnen oder sogar Zähnen im Gegenkiefer (vgl. Abb. 11).

Nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Trigeminusgebiets kann es zu übertragenen Schmer­zen im Kieferbereich wie zum Beispiel Unterkieferschmerzen bei Herzinfarkt11 oder Schmerzen im Kopf-Nacken-Bereich bei muskulären oder arthrogenen Schmerzquellen kommen. Erkennbar wird eine solche muskuläre Schmerzquelle, wenn der typische Schmerz hier provoziert und auch nach Lokalan­ästhesie an dieser Stelle zum Abklingen gebracht werden kann.

Neuropathische Schmerzen (ICOP 4.1. und 4.2)

Schmerzen können nicht nur durch Entzündungen oder Traumata der Pulpa oder des periradikuläres Gewebes und somit über eine Aktivierung der peripheren Schmerzrezeptoren entstehen, sondern auch im Nervensystem selbst (Abb. 7 und 8) durch traumatische und krankheitsbedingte Läsionen2 wie beispielsweise bei multipler Sklerose auftreten. Dies kann zu Schmerzen in dem von dem Nerv versorgten Gebiet führen. Typisch ist die Kombination der Schmerzen mit einer sensorischen Störung des schmerzhaften Bereichs, wobei die sensorische Störung entweder in einer abgemilderten oder einer verstärkten Reizreaktion bestehen kann. Das Spektrum der Sensibilitätsstörungen ist groß und reicht von einer kompletten Taubheit beispielsweise nach einer iatrogenen Nervendurchtrennung bis hin zu einer Allodynie, bei der ein an sich schmerzfreier Reiz wie die Berührung mit einer Parodontalsonde zu einem Schmerz führen kann.

Diese Schmerzen können anhaltend, anfallsartig oder gar blitzartig wie bei einer Trigeminusneuralgie sein. Betreffen neuropathische Schmerzen den Zahnbereich, ist häufig keine dentale Schmerzur­sache erkennbar. Zahn und Kiefer schmerzen jedoch trotzdem.

Blitzartige neuropathische Schmerzen: Trigeminusneuralgie (ICOP 4.1.1)

Typisch für die Trigeminusneuralgie ist der getriggerte oder spontan blitzartig einschießende Schmerz meist im 2. und 3. Trigeminusast26. Der Zahnarzt sollte mit dieser Schmerzform vertraut sein, denn Patienten mit einer Trigeminusneuralgie konsultieren initial häufig einen Zahnarzt. Es kommt hier zu blitzartig einschießenden Schmerzen, die beispielsweise durch Kauen, Wind auf der Wange, Zähneputzen oder Zahnberührungen ausgelöst, also getriggert werden können. Der Schmerz ebbt meist nach maximal 2 Minuten ab und kann direkt folgend nicht noch einmal durch den gleichen Reiz ausgelöst werden (Refraktärzeit). Eine mögliche Ursache für eine Trigeminusneuralgie ist ein Gefäß-Nerven-Kontakt kurz vor Eintritt des Trigeminusnerven in den Hirnstamm, durch den der Nerv traumatisiert wird.

Der zweite Hirnnerv, der für neuralgiforme Schmer­zen bekannt ist, ist der Nervus glosso­pharyngeus. Die Neuralgie dieses Hirnnerven kann zu blitzartigen Schmerzen im Unterkiefer- und Schlundbereich führen.

Idiopathische Schmerzen (ICOP 6.3)

Persistierende Schmerzen ohne odontogene Ursachen wurden schon frühzeitig beschrieben und unterlagen verschiedenen Nomenklaturen von „atypischer Odontalgie“20 über „Phantomschmerz“ bis hin zu „persistierende dentoalveoläre Schmerzen“14, bis sie in der ICOP10 als „Persistent idiopathic dentoalveolar pain – 6.3“ (PIDP) klassifiziert wurden. Dieser Schmerz kann Zähne oder auch zahnlose Areale betreffen. Die Patienten haben häufig eine lange Leidensgeschichte und berichten typischerweise über mehrere fehlgeschlagene Behandlungsversuche. Es gibt folgende typische Befunde bei PIDP:

  • fehlende krankhafte Befunde der vermeintlich betroffenen Zähne,
  • persistierende Schmerzen, die mehr als zwei Stunden täglich bestehen und seit mehr als drei Monaten andauern,
  • häufig assoziiert mit nichterfolgreichen Behandlungsversuchen,
  • ungewöhnliche Schmerzauslösung und -verstärkung,
  • nach Zahnbehandlung häufig verstärkter Schmerz, nach Zahnextraktion gelegentlich auf anderen Kiefer­bereiche übergehend,
  • unzuverlässige Wirkung von Analgetika und/oder Antibiotika,
  • Nachtschlaf ungestört und mehr oder weniger lange schmerzfreie Periode nach dem Aufwachen,
  • negative und positive sensorische Störungen möglich, die anders als nach Nervenverletzungen keinem Versorgungsgebiet zuzuordnen sind,
  • teils pulsierende und brennende beziehungsweise kribbelnde Schmerzqualität,
  • häufiger bei Patientinnen anzutreffen als bei Patienten.

Bei der PIPD ist die frühzeitige Differenzierung gegenüber odontogenen Schmerzen wichtig, um eine adäquate interdisziplinäre schmerztherapeutische Therapie einleiten zu können. Im Zweifel sind hierbei weitergehende Untersuchungen wie die dia­gnostische Lokalanästhesie, die Anfertigung von digitalen Volumentomografie (DVT)-Aufnahmen und gegebenenfalls Kernspinuntersuchungen zur Differenzierung und Diagnoseabsicherung notwendig.

Nicht selten liegen gleichzeitig beziehungsweise parallel odontogene Befunde und nichtodontogene Schmerzen vor, da der aktuellen Untersuchung häufig zahnärztliche Interventionen in der betroffenen Region vorausgegangen sind. Die Differenzierung ist wichtig, da die Patienten häufig unter einem hohen Leidensdruck stehen und unnötige und zumal invasive zahnärztliche Interventionen die Symptomatik verstärken können23. Die Behandlung erfolgt durch einen Schmerztherapeuten oder Neurologen.

Kopfschmerzvarianten (ICOP 5)

Es gibt Kopfschmerzformen19, die nicht nur im Schädel­bereich, sondern auch in der Gesichts- und Kieferegion zu Schmerzen führen können. Eine Behand­lung der Zähne im betroffenen Bereich führt zu keiner Besserung. So gibt es auch bei Migräne Ausprägungen, die mit Schmerzen im Kieferbereich verbunden sein können (ICOP 5.1). Die Kopfschmerzformen sind hinsichtlich der Dauer der Schmerz­anfälle, Lokalisation, Rhythmizität und Begleitphänomene voneinander zu unterscheiden. Die Kriterien sind im Einzelnen in der ICOP-Klassifikation 5.2 bis 5.410 beschrieben. Diesen Kopfschmerzformen gehören auch die „Trigemino-Autonomen Kopfschmerzformen (TAK)“ an, bei denen nicht nur ein Schmerz im vom Nervus trigeminus versorgten Gebiet vorliegt, sondern auch typischerweise ipsilateral ein Schmerzreflex im autonomen Nervensystem ausgelöst wird, der je nach Ausprägung zu Nasenlaufen, Augen­tränen, Augenrötung, Lidödem, hängendem Augenlid, Pupillenverengung und Schwellungsgefühl der Wange führen kann (Abb. 9 und 10). All diesen Kopfschmerzformen sind folgende Charakteristika gemein:

  • Bei Lokalanästhesie der betroffenen Zähne wird die betreffende Region taub, aber der Schmerz bleibt.
  • Bei starken Schmerzen treten wie oben beschrieben Symptome des autonomen Nervensystems auf.
  • Es gibt zwischen Phasen starker Schmerzen Intervalle völliger Beschwerdefreiheit.

Auch hier sollten Diagnostik und Behandlung in schmerztherapeutische oder neurologische Betreuung gegeben werden.

Rote Flaggen und erweiterte Diagnostik

Nach dem vorangegangenen kurzen Überblick der wichtigsten nichtodontogenen Schmerzursachen soll das diagnostische Vorgehen besprochen werden. Zur Erkennung nichtodontogener Schmerzursachen oder einer verdeckten odontogenen Problematik sind teilweise Maßnahmen notwendig, die über die Basisuntersuchung und die Zahnreihen hinausgehen. Ein strukturiertes Vorgehen ist bei der Schmerzanamnese (Tab. 1) und der klinischen Befunderhebung (Tab. 2) notwendig, um kein Kriterium zu übersehen.

Die Basisdiagnostik umfasst die Inspektion und die dentale, parodontale, funktionelle und sensorische Befunderhebung sowie Maßnahmen zur Schmerzprovokation. Da die Schmerzen im Seitenzahnbereich auch vom Gegenkiefer herrühren können, sollte dieser hier immer mituntersucht werden (Abb. 11). Eine Überprüfung eines okklusalen Traumas sollte auch in diesem Zusammenhang erfolgen.

Ergibt sich bei der Basisuntersuchung kein hinreichender Verdacht, kann bei ungenauer Schmerzlokalisation eine diagnostische Lokalanästhesie zur Ermittlung des schmerzhaften Zahnes durchgeführt werden. Kommen zwei oder mehr Zähne als Schmerzursache infrage, wird ein Zahn nach dem anderen lokal anästhesiert. Wenn keine Kontraindikation vorliegt, kann dies auch im Unterkieferseitenzahnbereich in kleinen Abschnitten mittels der intraligamentären Anästhesie erfolgen.

Es gibt typische Symptome und Befunde, die gene­rell einen Anfangsverdacht für das Vorliegen eines nichtodontogenen Schmerzen begründen können, wie er in den oberen Abschnitten dieses Arti­kels beschrieben wurde.

Allen voran ist es das Fehlen eines zahnbezogenen Befundes (Karies, Fraktur/Infraktur, parodontale/ periapikale Läsion, Resorption), der die Schmerzen erklären könnte. Hinzu kommen eine ungewöhnliche Symptomatik und ein abweichender Behandlungsverlauf. Weitere allgemeine Hinweise auf nichtodontogene Schmerzen sind:

  • Brennen, Taubheit und Kribbeln,
  • schmerzassoziiertes, einseitiges Tränenlaufen, Na­se­laufen auf der betroffenen Seite,
  • blitzartige Schmerzen,
  • Begleiterkrankung (Sinusitis, Virenbläschen, Otitis),
  • Gefühlsstörung der Gingiva (Taubheitsgefühl, Al­lodynie),
  • Lokalanästhesie betäubt regional, aber Schmerz bleibt
  • auch lange, völlig beschwerdefreie Intervalle möglich (untypisch für Zahnschmerz),
  • Lichtscheue und Geräuschempfindlichkeit,
  • mittellinienüberschreitende Schmerzen.

Liegt ein Anfangsverdacht vor, sollten neben der Basis­untersuchung eine erweiterte strukturierte Anamnese erhoben und weitere Untersuchungen durchgeführt werden, die die Besonderheiten der nichtodontogenen Schmerzursachen abdecken.

Bei fraglicher Schmerzursache im Falle eines wurzelbehandelten Zahns kann die intrakoronale Diagnostik (IKD)1 angebracht sein. Die Trepanation, Freilegung und intrakoronale beziehungsweise intrakanaläre In­spektion ermöglichen Erkenntnisse über verdeckte Wurzelfrakturen, infizierte Wurzelkanäle oder Restpulpitiden.

Bei persistierenden Schmerzen und fehlenden klinischen und paraklinischen Befunden anhand eines klassischen Röntgenbilds kann entsprechend des Statements der „European Society of Endodontics“ eine DVT-Diagnostik angebracht sein15.

Fazit

Es gilt: Keine Therapie ohne Diagnose! Führt die Diagnostik zu keiner wahrscheinlichen Diagnose, sollte ebenfalls keine Therapie erfolgen beziehungsweise ein Zahn nach dem anderen behandelt werden. Der diagnostische Prozess ist dann zu überdenken und gegebenenfalls um weitere Tools zu erweitern. Ergibt sich erneut keine Diagnose, sollte man auch nichtodontogene Ursachen in den Diagnoseprozess einschließen, gegebenenfalls die entsprechenden zusätzlichen diagnostischen Maßnahmen veranlassen und interdisziplinären Rat einholen.

Ein Beitrag von Dr. Dr. Frank Erhard Sanner, Frankfurt am Main

Literatur auf Anfrage über news@quintessenz.de

Quelle: Quintessenz Zahnmedizin 7/21 Zahnmedizin Endodontie

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